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2008/04 | Seite 6
57. Jahrgang | April
Bad Boy Of Music
Was interessant klingt, und was man wirklich gerne hört
Musik hört man sich im Idealfall gerne an. Und wenn einen
ein Schubertlied so rührt, dass man sich ein Tränchen
nicht verkneifen kann, dann darf man durchaus auch die „Repeat“-Taste
drücken, das ist (noch) nicht verwerflich.
Bad
Boy Of Music
Das Gegenteil davon ist Musik, die einen nervt und langweilt – und
die man sich demzufolge auch nicht freiwillig anhört.
Klingt im Grunde einfach – wie so oft ist es aber in der
Neuen Musik komplizierter. Da gibt es zwar Stücke, die so öd
und sinnlos vor sich hinschmurgeln, dass noch nicht mal ihre eifrigsten
Verfechter sie freiwillig in ihren CD-Spieler legen würden,
außer natürlich sie müssen irgendeinen genauso öden
Murks darüber schreiben. Das Fehlen von simpler Lusterzeugung
beim Hörer wird aber nicht etwa als ein Manko dieser Musik
erkannt, sondern zur Qualität umgedeutet, und das mit Hilfe
eines einzigen Wörtchens: „interessant“.
Wie oft hört man dieses nach den unsäglichsten Aufführungen,
wenn man gerade die letzten 50 Minuten damit zugebracht hat, sein
Gewicht von der einen auf die andere Pobacke zu verlagern, während
vorne ein paar ernst dreinblickende Ausführende in schwarzen
Hemden die gerade angesagte Klang-hinterfragungsmucke zelebrierten.
Diesem Unmut gibt man aber nicht etwa in irgendeiner Form Ausdruck
(was ja eigentlich die körperlich gesündere Reaktion
wäre), nein, man schlendert in der sehnsüchtig erwarteten
Pause zum nächsten bekannten Konzertbesucher. Und da man sich
nicht als Banause outen will, fragt man diesen: „Und, wie
fandst’n du das?“ Und das Gegenüber, ebenso ängstlich
um seinen gepflegten Ruf als unglaublich moderner und aufgeschlossener
Mensch besorgt, antwortet dann „Also ich fand das wahnsinnig … interessant“.
Diese verlogene Unterhaltung endet dann zumeist mit einem wissenden
Nicken der beiden Gesprächspartner. In Wirklichkeit fanden
es aber beide schrecklich. Kein Wunder, dass man auf den Neue-Musik-Konzerten
oft so käsbleiche Typen trifft – so viel Unterdrückung
von Wahrheit tut ja auf Dauer auch nicht gut.
Gäbe es nicht ab und zu auch mal etwas Gescheites zu hören,
wäre man schon längst verzweifelt. Man staunt aber darüber,
wie viel Musik als „interessant“ deklariert wird, die
einem noch nicht einmal ein sadistischer Wärter in Guantanamo
auflegen würde.
Und damit meine ich jetzt nicht etwa schrille Klänge und gewagte
Dissonanzen (echte Dissonanz beim Fehlen jeglicher Konsonanz, die
als Kontrast dienen könnte, ist ja sehr schwierig hinzubekommen,
wenn es gelingt: Hut ab!), nein, ich meine Stücke, die so
autistisch und subventioniert selbstzufrieden rummurkeln, dass
sie einfach nur noch unerträglich … interessant sind.
Rein privat hält keiner soviel Quälerei aus. Daher
legt man in stiller Stunde nicht die neueste Scheibe des hochdekorierten
Komponisten XY auf, sondern vielleicht etwas Poppiges aus den 70ern,
als man noch jung und die Popmusik noch nicht ganz so schlimm war
wie heute. Rein an gemessener Zeit hören also selbst die größten
Chefideologen heimlich öfter Bob Dylan und die Beatles als
den letzten Donaueschingen-Sampler, und man kann es ihnen nicht
verdenken.
Eigentlich ein Wahnsinn angesichts der Tatsache, dass man ja die
Musik der Zukunft kreieren will. Umso schlimmer, dass noch nicht
mal die Komponisten selber ihre eigenen Werke gerne anhören
und heimlich andere Musik goutieren, zum Beispiel in ihrem Lieblingsfilm
(nicht etwa ein Experimentalfilm aus den 50er-Jahren, sondern natürlich„Titanic“).
Dort regiert nämlich die kitschig-bombastische Filmmusik von
James Horner, die zwar Geschmackssache ist, aber wenigstens eines
nicht: „interessant“.
Denn ganz so schlecht ist sie dann auch wieder nicht.