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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 6
57. Jahrgang | April
www.beckmesser.de
Quoten und Inhalte
Die Logik der Einschaltquoten, Pferdefuß der heutigen Massenmedien,
ist ein Dauerärgernis, das man als Mediennutzer manchmal nur
noch achselzuckend zur Kenntnis nimmt. Zu übermächtig
ist der kommerzielle Druck, der dahinter steht. Doch manchmal wird
dieses üble populistische Geschäftsprinzip unverhofft
ins grelle Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gerückt,
was für die so genannten Verantwortlichen, die sich für
nichts als den Profit verantwortlich fühlen, dann äußerst
unangenehm ist.
So geschehen nun vor Ostern, als führende Vertreter beider
christlicher Konfessionen die Feiertagsprogramme des Privatfernsehens
scharf kritisierten. Die mit Blick auf hohe Einschaltquoten eingesetzten
Brutal- und Horrorfilme betrachteten sie als zynische Begleitmusik
zum Osterfest und als Ausdruck eines Todeskults, der dem Sinn von
Ostern als Fest des Lebens diametral widerspricht. Pointiert wurde
festgestellt: „Die CDU hat das Privatfernsehen doch gefördert
und glaubte, die TV-Qualität werde sich bessern. Ich war da
immer schon skeptisch. Nicht immer sorgt der freie Markt für
Qualität.“ Das sagte Reinhard (nicht Karl) Marx, der
neue Erzbischof von München.
Unbequeme Wahrheiten, die umso
schwerer wiegen, als man ihnen nicht vorwerfen kann, sie kämen von der ewigen Nörglertruppe
der bösen linksliberalen Besserwisser. Entkräftet werden
sie auch nicht durch die Widerreden seitens der Angegriffenen und
ihrer publizistischen Helfer etwa in „SZ Online“,
wo die Proteste in gut neoliberaler Manier als Meinung von vorgestrigen
Medienbanausen abgetan und in eine rechte parteipolitische Ecke
abgeschoben wurden.
Verräterisch war die Argumentation der SAT.1-Sprecherin im
Hinblick auf einen als besonders anstößig empfundenen
Karfreitagsfilm: „,Stirb langsam’ ist ein beliebter
Filmklassiker, was die Zuschauerquote am Karfreitag auch gezeigt
hat. Insofern ist er ein angemessener Feiertagsfilm.“ Auch
um diesen Klartext darf man dankbar sein: Angemessen ist, was Quoten
bringt, Inhalte spielen keine Rolle. Die Aussage ist in höchstem
Grad zitierfähig.
Und nun – um dem Verdacht entgegenzuwirken, hier würden
wieder einmal die kostbaren nmz-Spalten für sachfremde Reflexionen
missbraucht – die Gretchenfrage: Was hat das alles mit Musik
zu tun? Sehr viel, gerade wenn man die Bemühungen um eine
bessere Medienpräsenz der zeitgenössischen Musik betrachtet.
Auch hier gilt die Quote als unschlagbares Argument. Doch der Vergleich
ist auch etwas windschief; es gibt zu viele Unterschiede, inhaltlich
und argumentativ.
Eine klare, allgemein akzeptierte Wertebasis, auf die sich die
Kirchen bei ihrer Argumentation abstützen können, fehlt
bekanntlich der zeitgenössischen Musik. Da reicht etwa der
formale Hinweis auf den Minderheitenstatus nicht. Er reicht bei
gesellschaftlichen Minderheiten, die sich bei ihrem Bemühen
um Anerkennung auf die Menschenrechte berufen können. Doch
bei der Neuen Musik geht es nicht um solche existenziellen Fragen,
sondern um kulturelle Optionen. Hier läuft die Forderung nach
Minderheitenschutz ins Leere, und erst recht das kuriose Einklagen
eines subventionierten Rechts auf „experimentelles Scheitern“,
wie es gelegentlich zu hören ist. Diese Mentalität, ein
schwaches Abfallprodukt der philosophisch gut begründeten
negativen Ästhetik der Nachkriegszeit, erhebt künstlerisches
Versagen zur Tugend. Wer will dafür schon etwas zahlen?
Glaubhafte Legitimationsstrategien bedürfen glaubhafter
Inhalte, und hier tut sich leider vielerorts ein großes Loch
auf. Es geht nicht um Kirchenkantaten und Staatssinfonien, sondern
um die Reflexion grundlegender Fragen im Werk selbst.
Diese laufen letztlich auf die alles entscheidende Frage hinaus:
Wozu schreibe ich eigentlich Musik? Die Stücke, denen solche
Auseinandersetzungen anzuhören sind, finden unwillkürlich
mehr Resonanz als jene, die bloß wegen der besseren Präsenz
am Markt geschrieben wurden. Das Publikum spürt den Unterschied.
Nur so kann, um einen alten Begriff auszugraben, „gesellschaftliche
Relevanz“ entstehen. Und nur so gibt es auch mehr Rückhalt
in der Öffentlichkeit, wenn wieder einmal um bessere Sendeplätze
und Konzertprogramme gestritten wird.