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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 10
57. Jahrgang | April
Cluster
Abgebrannt im Paradies
Als der Bundesverband der Musikindustrie Mitte März seine
neuesten Branchen-Werte bekannt gegeben hatte, in der alten PanAm
Lounge in Berlin, im 10. Stockwerk des Hauses Eden, gegenüber
dem Haupteingang des Zoologischen Gartens, fühlte man einen
Hauch von Morgenwind durch das elende Musikgeschäft ziehen.
Endlich stagniere die Abwärtsbewegung der Tonträgerverkäufe,
der Downloadmarkt expandiere, rückläufig seien die Zahlen
für
das Musikverbrennen auf CD. So gab unter diesen Offenbarungen sogar
das dunkeltrübkalte Sturmwetter seinen Zorn auf und ließ den
offiziellen Vertretern des Verbandes das Licht der Erkenntnis angedeihen.
Der Vorstandsvorsitzende des Musikindustrieverbandes, Dieter Gorny,
rückte gleich zu Beginn die im Eingangsbereich als Pappfiguren
präsenten Musiker von Tokio Hotel ins Zentrum des kreativen
Kerns der Musikindustrie. Das Motto von Gornys Predigt: „Musik – Motor
für Milliarden“. Ein eingängiger Slogan, so grandios,
als hätte ihn Richard Wagner selbst auf den Weg gebracht.
Aber der nmz-Leser fragt sofort: Milliarden was? Menschen, Mäuse,
Moneten, Manager? Motor für Kreativleistungen wie Schnuffels „Kuschel-Song“ und
Alex C.s „Doktorspiele“ oder sein „Du hast den
schönsten Arsch der Welt“, Push-Hits von Casting- oder
sonstigen Eventbands und Fernsehdurchreichmusiktouristen aus aller
Welt? Da versagt selbst Tokio-Hotel-Sänger Bill die Stimme.
Bedenklich wird es jedoch dann, wenn eigene Studien kunterbunt
in Grafiken gefasst werden, die zum Ergebnis haben sollen, dass
bei der sogenannten Internetpiraterie moralische Appelle folgenlos
bleiben, hingegen der zivilrechtliche Abmahnweg total erfolgreich
sei. Das dazu vorgelegte Chart würde genau genommen jedoch
nur den Schluss zulassen, dass Breitbandanschlüsse illegale
Downloadaktivitäten nicht fördern, Zivilverfahren fast
gar nichts bewirken. Da ging also die Sonne der Statistik leider
wieder unter und ließ die Musikindustriellen weiter im Dunkeln
sitzen, die umso lauter polterten.
Tatsächlich ist es aber so, dass die Sonne erst in ein paar
Milliarden Jahren abbrennen wird. So lange wird sie noch Wärmemotor
für Milliarden Menschen bleiben.