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2008/04 | Seite 12
57. Jahrgang | April
Ferchows Fenstersturz
Buenas Noches Hymne
Weil es seit Jahren keine Sommerhits mehr gibt und die Plattenverkäufe
dem jährlichen Umsatz des örtlichen Skibasars entsprechen,
hat man sich seitens der Phonobranche entschlossen, alle zwei Jahre
eine Bilanz bereinigende Fußball-Hymne zu küren. Die
nennt sich recht attraktiv offizieller EM-Song oder WM-Hymne. Und
muss unter Androhung von Kriegserklärungen an das Gastgeberland
vom FIFA-Chef Joseph S. Blatter persönlich abgesegnet werden.
So belferten zur WM 2006 die Sportfreunde Stiller zwar ohne Blatter-Segen,
dafür auf Malle-Niveau „54, 74, 90, 2006“. Und
nicht wenige der Mitschreier dachten, es ginge in Wahrheit um die
allabendliche Bierschlagzahl. Dabei mussten sich die Sportfreunde
den Hymnenkampf mit äquivalenten Abtörnern wie Herbert
Grönemeyer (Zeit, dass sich was dreht), Bob Sinclair (Love
Generation), Oliver Pocher (Schwarz und Weiß), Wise Guys
(Weltmeister), James Blunt (High), Nelly Furtado (Forca) und Anastacia
(Boom) teilen. Eine Furcht einflößende Ansammlung von
Hymnen, deren unwürdiger Weg ans Licht lieber ungeklärt
bleibt.
Nun wäre ein Loblied noch erträglich. Doch der Markt
braucht es schmutzig. Deshalb wird es zur EM 2008 in Österreich
und der Schweiz nicht eine, sondern dutzende geben: Die privaten
TV-Sender versuchen ihre missratenen Popklone mit Horrorsongs aus
der Versenkung zu hieven. Dicht gefolgt von den öffentlich-rechtlichen,
die eine vom entnervten Programmdirektor talentlose Jungband für
eine utopische Mission verpflichten: Den 70jährigen Durchschnitts-Seher
weit vor der EM mit Gitarrenrock und deutschen Texten bekannt zu
machen. Dazu gesellen sich substanzlose EM-Songs aller Plattenfirmen
um Newcomer einzuäschern oder Altstars zu exhumieren. Nicht
zu vergessen die Alkohol-Firmen, deren Plörre sich nur während
drei Minuten qualvoller musikalischer Einfallslosigkeit hinunterspülen
lässt. Vorbei die Zeiten, als Udo Jürgens 1978 mit der
Nationalmannschaft „Buenos Dias Argentina“ zelebrierte.
Oder Michael Schanze 1982 mit den deutschen Kickern zur WM in Spanien „Olé España“ als
Gassenhauer einer sich im Anschluss verlierenden Generation präsentierte.
Gut, selbst Schanze und Jürgens wollten ihre Platten verkaufen.
Doch die Phonoindustrie war damals noch kein Haifischbecken. Das
waren doch alle Freunde von Dieter Thomas Heck.
Wie auch immer. Die EM naht. Da passt eine Pressemitteilung der
UEFA ins Bild: One-Hit-Wonder „Shaggy“ (1995 mit „Boombastic“ erfolgreich)
wird den offiziellen EM-Song 2008 „Like a Superstar“ rappen
oder sprechen. Singen kann er ja nicht. Shaggy stammt aus Jamaika.
Ein Land, das mit den EM-Gastgebern soviel gemeinsam hat wie Kuhglocken
mit der Copacabana. Credibility ist eben alles. Auf die Sportkameradschaft
ein dreifaches „Hip Hip Hurra“.