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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 12
57. Jahrgang | April
Nachschlag
Nur auf die Marke kommt es an
Die Neue Musik ist angekommen: bei der maßgeblichen Instanz,
die heute gesellschaftliche Relevanz misst, bei der Fernsehwerbung.
Zwei namhafte Fahrzeughersteller benutzen zeitgenössische
Musik als Werbeträger für ihre Produkte aus der unteren
bis gehobenen Mittelklasse. Ein Ford Focus wird mit Szenen aus
einer futuristischen Konzert-Uraufführung inszeniert, ein
Mercedes-Kombi spielt die Hauptrolle in einer fiktiven Opernstory.
Zwei Auto-Marken, die darauf setzen, ihr Image via Musik an den
Kunden zu transportieren.
Dass es auf die Marke ankommt, ist auch im Musikbetrieb zu konstatieren.
Der Komponist von heute kann sich erst etwas zurücklehnen,
wenn er zur Kulturmarke avanciert ist. Bis dahin muss seine Businesstrategie
heißen: präsent sein. Präsenzlücken werden
sofort von neuen Talenten geschlossen. Was dem Autohersteller die
Modellfolge ist, ist dem Komponisten der Folgeauftrag. Und das
Tempo zieht an: das Resultat sind 1,7 Uraufführungen täglich
in Deutschland, die aber ohne Folgeaufführungen meist folgenlos
bleiben.
Neue Musik als Teil des Marktgeschreis – soll man sich nun
darüber freuen, dass sie inzwischen gesellschaftlich akzeptiert
ist? Oder ist damit die viel zitierte postmoderne Beliebigkeit
endgültig zementiert? Ist die Widerspenstigkeit gegen Kommerz
und Kulturindustrie, aus der Neue Musik und Jazz stets ihre Vitalität
bezogen haben, als Energieressource endgültig versiegt und
dient nur noch als Pointe für den Werbespot?
Wie weit aktuelle Musikproduktion und Markt immer noch auseinander
liegen, zeigte die Einladung von nmz und nmzMedia zu einem Messegespräch
an die Komponisten Charlotte Seither, Krzysztof Penderecki, Samir
Odeh-Tamimi, Jan Müller-Wieland, Johannes Maria Staud und
Robin Hoffmann. Obwohl sie doch die eigentlichen Auslöser
dieser musikalischen Verwertungskette sind, war die Messe für
beinahe alle Komponisten eine Premiere. Vom Lärm des Betriebs überwältigt
saßen sie vor der Kamera bei ConBrio in der Halle 3. Nach
dieser ersten Schreckreaktion zeigten sich ganz unterschiedliche
Bewältigungsstrategien. Die einen sehnten sich zurück
ins ruhige Komponierzimmer, die anderen nutzten die Gelegenheit
und erforschten das Treiben um die Noten. Was die Konfrontation
von Künstler und Kommerz ergeben hat, wissen wir noch nicht.
Ob wir uns auf so launige und qualitätsvolle Produktionen
wie das Radiostück von Mauricio Kagel „Playback Play“ (1996/97)
freuen dürfen?
Kagels Kommentar: „Im Frühjahr 1996 besuchte ich zum
ersten Mal eine Musikmesse. Die vielfältigen Aspekte einer
solchen Veranstaltung, in der Instrumente und elektronische Geräte
ausprobiert werden und musikalische Darbietungen aller Art zur
gleichen Zeit stattfinden, wo die Neugierde des Kunden, das auftrumpfende
Angebot der Fachgespräche sich zu einem unerhörten Kontinuum
vermischen, haben mich zu dieser Komposition inspiriert.“ Mauricio
Kagels Idee schreit geradezu nach einer Fortführung. Die nmz
denkt deshalb darüber nach, 2009 in Medienpartnerschaft mit
einem Autohersteller einen Kompositionswettbewerb „Into Musikmesse – das
Messecamp der nmz“ zu initiieren. Junge Komponisten werden
für vier Tage in verschiedenen Hallen der Messe zu einem Überlebenstraining
ausgesetzt und sollen, angeregt durch diesen ästhetischen
Schock, ein Stück für Alphorn, Harmonika, Fachbesucherchor,
Schlagwerk und Lightshow komponieren. Szenische Elemente wie Massenszenen
mit Schulklassen und Ähnliches sind erwünscht. Die Kompositionen
müssen den Richtlinien der neuen EU-Lärmschutzverordnung
entsprechen.