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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 13
57. Jahrgang | April
Kulturpolitik
Erosionen auf Dresdens Grünem Hügel der Moderne
Das Europäische Zentrum der Künste Hellerau steuert einer
finanziell und programmatisch ungewissen Zukunft entgegen
Die Sächsische Staatsoper Dresden, nach ihrem ursprünglichen
Baumeister als Semperoper bezeichnet, und das Europäische
Zentrum der Künste Hellerau, beheimatet in der denkwürdigen
Architektur Heinrich Tessenows, sind nicht nur durch das Elbtal
getrennt. Beide Stätten der Kunst sind exakt achteinhalb Kilometer
voneinander entfernt. Zugleich liegen Generationen, Jahrhunderte
gar, zwischen dem halbwegs solide finanzierten Staatstheater und
dem lau budgetierten Wagnis vor den Toren der Stadt. Kaum ein Touristenbus
verirrt sich ins Experimentierfeld. Sie alle verrußen nur
zu gern den Theaterplatz.
Szene
aus der Tanzplan Dresden-Produktion „Memori“ von
Wayne McGregor, März 2007. Foto: Costin Radu
Busse sind in Dresden ebenso allgegenwärtig wie die Toren
der Stadt. Erstere entschleunigen den Verkehr und prägen das
Stadtbild, dessentwegen sie Dresden angesteuert haben. Letztere
blockieren ganz anders, indem sie hier nichts entscheiden, da reinreden
und überall Bedenken vor sich hertragen wie schwere Bürden.
Abgepolstert freilich sind sie noch mehr als die besten der Busse.
Nur meist nicht so helle. Sonst wüssten sie die vorhandenen
Schätze der Stadt vielleicht in ihrer Gesamtheit zu fördern.
Dass Dresden seit Augusteischen Zeiten einen hervorragenden Ruf
als Kunststätte und Stadt der Künste besitzt, steht außer
Frage. Freilich ist es ein sächsischer August gewesen, der
sich gern mit Italiens Hervorbringungen zu schmücken verstand.
Touristenverführer verkaufen heute gern als Barockpracht,
was rings um die tatsächlich barocke Kirche Gaetano Chiaveris
entstand: Brühlsche Terrasse und Sempers Opernbau sind überwiegend
Bauten des 18. und 19. Jahrhunderts, nach Kriegsschäden im
20. wieder aufgebaut.
Zu dessen Beginn aber entfaltete sich in der Gartenstadt Hellerau
etwas wirklich Neues, Beispielgebendes, das Strahlkraft weit über
die sächsischen Grenzen hinaus hatte. Tessenows Festspielhaus
wurde Deutschlands Zentrum der Reformbewegung, Emile Jaques-Dalcroze,
Adolphe Appia und Mary Wigman sind die wohl berühmtesten Aushängeschilder
des Neuen gewesen. Die deutschen Nazis hatten bekanntermaßen
eigene Kunstvorstellungen, mithin wurde der Aufbruch bald schon
wieder unter Stiefel und Ungeist erstickt. Auch nach 1945 dümpelte
das Gelände als Militärkaserne vor sich hin, erst seit
dem Abzug der Sowjets kam wieder Kultur zu ihrem Recht. Inzwischen
sind Gartenstadt, Gebäudeensemble „Deutsche Werkstätten
Hellerau“ sowie in vielversprechenden Ansätzen auch
das Festspielhaus wiederhergestellt. Der alliierte Bombenhagel
vom Februar 1945 ging an Hellerau glücklicherweise vorüber.
Udo Zimmermanns Visionen
in den Amtsstuben demontiert
Für so ein Projekt braucht es Macher, Menschen mit Visionen.
Schwer zu finden in einer Stadt, die einzig ihre Rückbesinnung
pflegt. Mit Udo Zimmermann, immerhin einem gebürtigen Dresdner,
schien rasch der rechte Mann gefunden. Der einstige Kruzianer und
früh etablierte Komponist, der später auch als Dirigent
und Intendant von sich reden machte, war pfiffig genug, bereits
zu DDR-Zeiten ausgerechnet im „Tal der Ahnungslosen“ ein
Zentrum der zeitgenössischen Musik zu etablieren, das trotz
deutsch-deutscher Mauer europäischen Geist atmete und lebte.
In den 1990er-Jahren zog das Zentrum auf die Baustelle Hellerau.
Zimmermann war zeitgleich mit der Oper Leipzig und der Deutschen
Oper Berlin befasst – und wie kaum ein Zweiter in der Lage,
quasi als Stehaufmännchen just nach seinem jähen Hinauswurf
aus Berlin durch einen windelweich gewordenen Senat für Dresden
respektive Hellerau den „Grünen Hügel der Moderne“ auszurufen.
Und die eigene Person, ganz selbstverständlich, als einzig
denkbaren Bezwinger sowohl des Hügels als auch der Moderne.
An etwaige Untiefen mochte er dabei noch gar nicht gedacht haben.
Sonst hätte er Hellerau kaum so vollmundig als das „Europäische
Zentrum der Künste“ propagiert.
Sie sollten sich als Querelen erweisen, die das Projekt fast
zum Stillstand verdonnerten. Die Untiefen zunächst der Finanzen,
Zwistigkeiten zwischen Denkmalpflege und Bauaufsicht, zu wenig
Tiefgang und Weitsicht auch im Kulturamt, im Rathaus sowieso. Dennoch
gelang es, die Forsythe Company ans Haus zu binden (und sie damit
zu retten, einer Quotenregelung zwischen den Bundesländern
Hessen und Sachsen sei Dank), dieser Schachzug hatte einige überregionale
Feuilletonaufmerksamkeit und zeitweise auch guten Kartenverkauf
zur Folge. Eine den Zuschuss von vier Millionen Euro pro Jahr rechtfertigende
Auslastung gelang damit noch nicht. Zumal baubedingt weitere Schließung
ansteht, langfristige Planung überhaupt nicht möglich
scheint. Was als Werkstatt, Labor gar, deklariert worden ist, bleibt
zumeist ohne Leben, schlicht, weil der Etat zum Beleben fehlt.
Ein gewisses Maß an Bereitschaft zum Risiko wäre vonnöten
gewesen, um dauerhaft Publikum heranzuführen.
Einer wie Zimmermann, im kommenden Herbst wird er 65 Jahre alt,
ist derart Wagnis stets eingegangen, seine Visionen leuchteten
noch stets heller als all die Amtsstuben im Hinterland. Doch dort
ist das Sagen – und so wurde entschieden, zum 1. Januar 2009
eine neue Leitung für das Festspielhaus zu suchen. Das bisherige
Team wurde aufgerieben, hat sich vielleicht auch zu sehr nach Bestandsschutz
gesehnt. Was nun aber kommt, heißt nicht mehr Intendant,
sondern Künstlerischer Leiter. Wahrscheinlich ist es kein
Wunder, dass für einen derart an Demontage leidenden Betrieb
keine „Lichtgestalt“ unter den Bewerbern auszumachen
gewesen sein soll.
Dieter Jaenicke will die Kunstsparten zusammenführen
Das hinderte die Lokalpresse nicht, von „Deutschlands interessantester
Kultur-Personalie“ zu schwafeln. Wäre dem so, hätten
gewiss große Namen Schlange gestanden. Dennoch wurde um den
Ausgang der Verhandlungen lange gebangt. Ende Februar sickerte
durch, was Dresdens Interimsbürgermeister in einer Pressekonferenz
bekanntgeben wollte, die er dann absagen konnte: Dieter Jaenicke
soll künftig das Festspielhaus leiten. Dieter Jaenicke? In
Dresden und Hellerau gilt er als ein Unbekannter. In Hamburg und
Hannover dürfte das anders sein, dort hat der
Soziologe, Erziehungs-, Religions- und Theaterwissenschaftler nachhaltig
als Gründer gewirkt. Zunächst rief er an der Leine ein
internationales Tanzfest ins Leben, 1985 dann das Festival des
Sommertheaters in der Hansestadt, das später bei der Kampnagel-Kulturfabrik
angedockt wurde. Andere Stationen des 58-Jährigen waren das
dänische Aarhus-Festival sowie das Weltkulturforum in Sao
Paolo und Rio de Janeiro. Das klingt nach internationalem Netzwerk
und lässt hoffen.
Niemand kann Erfolg garantieren, ohnehin ist der Begriff von
Lichtgestalten recht unterschiedlich definiert. Vielleicht würde der Mut
zur Ehrlichkeit helfen: Will man in der 800-jährigen Elbstadt
auch mal nach vorn blicken, oder bleibt man sich mit (pseudo-)barockem
Plüsch selbst genug? Bei letzterer Option würde alles
so bleiben, wie es nun einmal ist, in Dresden. Die Alternative
wäre ein Bekenntnis zum Aufbruch, auch etwas für Minderheiten
zu initiieren, ein wenig längeren Atem zu beweisen, der über
kommunalpolitische Legislaturperioden hinausgeht. Ein solches Bekenntnis
kostet, kostet nicht nur Geld, sondern auch geistige Anstrengung.
Es würde die Vision vom eigenständigen Kunstort, an dem
miteinander gelebt, probiert, diskutiert und aufgeführt wird,
dem heute beileibe noch nicht in ausreichender Zahl vorhandenen
Publikum nahezubringen helfen. Erst dann fahren Reisebusse auch
nach Hellerau. Jaenicke soll dort, wie es heißt, ein engeres
Miteinander von Musik, Tanz und Theater vorantreiben. Bereits vor
fünf Jahren hat er an einem Betreiberkonzept für Hellerau
mitgewirkt, der Ort ist ihm also nicht fremd.
Moderne kann nicht in Bemessungsgrenzen festgeschrieben werden,
ihr muss ein Feld eben dieses Ausprobierens zugebilligt sein. Wer
das nicht gewährt, sollte so ehrlich sein und sich zurückziehen
auf probate Kassenschlager, denen möglichst noch in schnöder
Regelmäßigkeit der Zuschuss gekürzt werden kann.
Dann lebe das barocke Dresden, und sei es auch nur erklärte
Fassade! Doch vielleicht wird achteinhalb Kilometer jenseits von
Semper-oper & Co. demnächst ja doch ein Öffnen gewagt?
Es wäre zu wünschen.