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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 14
57. Jahrgang | April
Kulturpolitik
Streit um das Projekt „Staatsoper-Gerette“
Warum überhaupt braucht Dresden eine Staatsoperette?
In Dresden ist seit einiger Zeit die Kultur eines der wichtigsten
Themen – zumindest wenn es darum geht, sie schrittweise abzuschaffen.
Sei es, über eine Brücke zu diskutieren, die eine einzigartige
Flusslandschaft gefährden würde und somit zur Aberkennung
des Weltkulturerbes für das Dresd-ner Elbtal führen könnte
oder sei es, nach einer Lösung zu suchen, wie für die
Staatsoperette Dresden ein neuer Standort gefunden werden kann,
da sie sonst einer unsicheren Zukunft gegenübersteht.
Viel war in letzter Zeit zu lesen über Sanierungsvorschläge
dieses weit außerhalb der Innenstadt liegenden Operettentheaters
in Dresden-Leuben, über die Suche nach einem geeigneten Bauplatz
im Dresdner Zentrum, über den heldenhaften Verzicht der Mitarbeiter
auf Gehaltserhöhungen während der nächsten zehn
Jahre, über eine eventuelle Kooperation mit dem Staatsschauspiel
Dresden, über Investoren – kurz: über politische
und finanzielle Streitigkeiten rund um das Projekt „Staatsoper-Gerette“.
Als die Diskussionen um Einsparungen an Dresdner Kultureinrichtungen
vor Jahren begannen, war die Stadt hoch verschuldet. Durch den
Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft im Frühjahr
2006 wurden der Stadt knapp eine Milliarde Euro in die Kassen gespült,
sodass sie über Nacht plötzlich schuldenfrei war. An
der Argumentation hat sich aber bis heute nichts geändert.
In diesem Geplänkel um Machbarkeitsstudien und Machtspielchen
wird jedoch ein Aspekt nahezu ausgeblendet, der aber allein die
Grundlage einer Diskussion um die Staatsoperette Dresden bilden
sollte: ihre musikalisch-künstlerischen Alleinstellungsmerkmale.
Warum ist die Staatsoperette Dresden in der regionalen, nationalen
und internationalen Kulturlandschaft so wichtig? Und was tut sie
dafür, um auch weiterhin als so wichtig wahrgenommen zu werden?
Die Staatsoperette Dresden kann, wenn ihre Vorgänger mit einbezogen
werden, auf 235 Jahre Tradition als musikalisches Volkstheater
in Dresden stolz sein. Dass das jetzige Operettentheater so weit
außerhalb des Stadtzentrums liegt, ist eine Folge der Luftangriffe
auf Dresden im Februar 1945. In den Vorstädten gründeten
sich schon bald nach Kriegsende wieder kleine Theatergruppen – so
auch in Leuben.
Das Theater war immer wieder prägend für die Entwicklung
der Operette im deutschsprachigen Raum und hatte vor allem nach
dem Zweiten Weltkrieg eine Vorreiterstellung inne. Durch die legendäre
DDR-Erstaufführung der „My Fair Lady“ im Oktober
1965 errang die Staatsoperette Dresden auch den Ruf einer Musicalbühne
von besonderer Qualität. Getragen von der daraus resultierenden
Euphorie folgten zahlreiche weitere Erst- und Uraufführungen,
die in den folgenden Jahren auf dem Programm des Theaters standen.
Heute ist die Staatsoperette Dresden das letzte und somit einzige
Operettentheater Deutschlands (abgesehen vom Hamburger Engelsaal,
einem kleinen Privattheater). Ist die Operette deshalb aber ein
aussterbendes Genre? Keinesfalls – man betrachte nur die
Projekte, die zurzeit hinter den Kulissen in Dresden entstehen.
Da ist zum einen die intensive Johann-Strauss-Pflege, durch die
heute unbekannte Werke des Komponisten zur Wiederaufführung
kommen, wie „Carneval in Rom“ oder „Das Spitzentuch
der Königin“. Des Weiteren hat sich die Operette Dresden
unter ihrem Dirigenten Ernst Theis gemeinsam mit MDR Figaro zum
Ziel gesetzt, ein nahezu vergessenes Stück Rundfunkgeschichte
aufzuarbeiten, indem sie Kompositionsaufträge des deutschen
Rundfunks aus den 20er-Jahren wieder neu einspielt. Im Jahr 1929,
sechs Jahre nach dem offiziellen Start des deutschen Rundfunks,
war die Welle der Begeisterung für dieses Medium in den Rundfunkanstalten
noch so groß, dass Werkaufträge an namhafte Komponisten
wie Franz Schreker, Hermann Reutter oder Eduard Künneke vergeben
wurden. Auf diese Weise entstand die damals völlig neuartige „Radiomusik“,
die heute in der Staatsoperette Dresden wieder aufgelegt wird.
Nicht zu vergessen aufgrund seiner Einzigartigkeit ist auch der
jährlich stattfindende Dresdner Operettenball, der dieses
Jahr im Kempinski Hotel bereits seine 14. Auflage erfahren hat.
Auch die Erfolge bei der Auslastung des Operettenhauses in Dresden-Leuben
sprechen eine eindeutige Sprache: Die in der vergangenen Spielzeit
trotz aller gegebenen Nachteile in Bausubstanz und lokaler Randlage
von 85 auf 89 Prozent gestiegene Sitzplatznachfrage zeigt die Staatsoperette
in einer Spitzenposition in Deutschland und unterstützt die
konservativ kalkulierte Verdopplung der Einnahmen in einem Neubau
in der Stadtmitte. Um ein neues Haus kräftiger gegenfinanzieren
zu können, wie es von Kulturobrigen in Dresden verlangt wird,
ist ein neuer Standort in der Dresdner Innenstadt notwendig, damit
ein größerer Saal und somit ein breiteres Spektrum der
Eintrittspreise möglich ist. Ob das der Postplatz, der Wiener
Platz oder ein anderer zentraler Standort ist – eine Lösung
des Problems ist längst überfällig.