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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 1
57. Jahrgang | April
Leitartikel
Messe gelesen
Nachdem Leipzig trotz seit Jahren totgesagter Buch-Branche immer
noch höchst lebendig liest, hat man auch ein paar hundert
Kilometer weiter westlich endlich verstanden: Frankfurt musiziert.
Was einmal „Musikmesse“ hieß, zum drögen
Handelsplatz von Hard- und Software verkommen war, hat sich zum
globalen Zentrum musikkultureller und musikindustrieller Innovation
gemausert.
Ausgelöst durch das Ableben der abgetakelten Berliner Plaudertasche „Popkomm“ fand
bekanntlich die phonographische Wirtschaft eine neue Heimat in
der Main-Metropole. Dank eines engen konzeptionellen Schulterschlusses
mit der ortsansässigen Musikhochschule und ihren Außenstellen
in Lhasa, Johannesburg, Wladiwostok und Auckland konnte dem einst
provinziellen Musikpreis „Echo“ eine internationale
und substanziell interkulturelle Prägung jenseits des platten
Marketing-Events verliehen werden. Die frisch gewonnene Glaubwürdigkeit
lockt allein an die zweihunderttausend ausländische Besucher
alljährlich auf das Frankfurter Messegelände.
Begünstigt durch den Bau eines weiteren, akustisch optimal
flexiblen Konzertsaales (Fassungsvermögen: 18.000) und klug
geplanter Kooperation mit den regionalen Veranstaltungshäusern
(Alte Oper, Jahrhunderthalle Höchst) finden die Musik-Präsentationen
aller Couleur vor regelmäßig ausverkauften Häusern
statt. Dieses Umfeld sorgt für ein hochmusikalisiertes Klima,
in dem der Handel (die jährliche Verdoppelung der Umsätze
auf der Messe spricht für sich) ebenso aufblühen konnte
wie die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Musiklebens nicht
nur in Deutschland.
Nebenbei finanziert allein die Lizenzierung dieses Veranstaltungskonzeptes
an Städte wie Moskau, Shanghai, San Francisco oder Sydney
mittlerweile die bundesweite Aktion „Jedem Kind ein Instrument“ komplett.
Die Zahl der Musikschulen in der Bundesrepublik hat sich folglich
binnen eines halben Jahrzehntes verdreifacht. Ihre Ausstattung
gilt weltweit als vorbildlich – die Besoldung der Lehrkräfte
auf Studienrats-Niveau als angemessen. Die hunderttausend neu geschaffenen
zukunftssicheren Arbeitsplätze im Bereich Musikpädagogik,
Instrumentenbau, Verlagswesen und Medien beleben die wirtschaftliche
Gesamtsituation unseres Landes spürbar, gelten als ausgesprochener
Wachstums-Motor.
Und so nimmt es kaum Wunder, dass Kanzlerin Gitta Connemann in
Anwesenheit von Bundespräsident Wolfgang Rihm während
ihrer Messe-Eröffnungs-Keynote das paritätische Zusammenwachsen
von Geist und Geld, wie es die Musikszene vorgelebt habe, als „vorbildlich – nicht
nur für die anderen Kunst-Sparten, sondern für alle gesellschaftliche
Kräfte hierzulande“ apostrophierte. Die Live-Übertragung
von Connemanns aktiver Teilnahme am dreitägigen Workshop „Musizieren
50+“ auf 3Sat erzielte Quoten-Rekorde. Sie lasen einen Bericht über
die Frankfurter Musikmesse 2020.
Was gibt es vom diesjährigen Marktplatz zu berichten: Wieder
ein bisschen mehr „Proll Light and Sound“, leichte
Umsatzsteigerungen, sehr leichte angebliche Besucher-Zuwächse – the
same procedure as every year (nmz 4/2006). Die Hoffnung stirbt
zuletzt.