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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 3
57. Jahrgang | April
Magazin
Lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit
Wolf Biermann unterhielt sich auf der Musikmesse 2008 mit nmz-Herausgeber
Theo Geißler
Waren Sie schon einmal auf der Musikmesse? Wie fühlt man sich als derjenige,
der „vermarktet“ wird? Was müsste getan werden, um den Kontakt
zum Publikum zu intensivieren? Mit diesen Fragen begann die Serie von Interviews,
die die neue musikzeitung auf der Frankfurter Musikmesse 2008 mit Komponisten
und Autoren führte. Auf den Seiten 3, 4 und 5 dokumentieren wir die Interviews
in Auszügen. In voller Länge können die Messegespräche
unter www.nmzmedia.de abgerufen werden. Ein längerer Textauszug ist Wolf
Biermann eingeräumt. Er erklärt darin, warum seine Lieder besser
von Frauenstimmen gesungen werden können und wie einem seine liebsten
Feinde über Nacht abhanden kommen können.
neue musikzeitung: Wolf Biermann hat bei Peermusic Liederhefte herausgebracht,
Chorliteratur. Ist aus dem Liedermacher ein Erwachsenenpädagoge geworden? Wolf Biermann: Nein. So tief bin ich nie gesunken, dass ich zum Lehrer werde.
Wenn ich überhaupt belehre, dann nur unfreiwillig. Das ergibt sich dann
wie Luft holen. Denn das Beispiel, das man selber gibt, ist natürlich
doch für manche Leute lehrreich. Aber gelehrt habe ich nie. Ich habe jetzt
zum ersten Mal einige meiner Lieder in Noten verlegt. Viele meiner Lieder sind
ja nicht so, dass nur ich sie singen kann.
Wolf
Biermann: „Die Deutschen sind ein bisschen vermodert, vermottet“.
Fotos Seiten 3, 4 und 5: Johannes Radsack
nmz: Funktioniert denn diese „Sozialisierung“ von Biermann’schem
Liedgut? Denn der Interpret und der Autor beziehungsweise der Sänger Biermann
ist doch in seiner Authentizität nicht zu erreichen. Biermann: Das hört der eitle Affe gerne, aber es ist falsch. Sie kennen,
da Sie schon so alt sind, auf jeden Fall das Lied „Ermutigung“: „Du,
lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit.“ Das ist ja sehr
populär gewesen in der DDR. Aber da Sie, wie ich schon dunkel ahne, ein
Westmensch sind – nobody is perfect –, will ich es Ihnen auf die
Westnase binden: Dieses Lied „Ermutigung“ war in der DDR das populärste
Knastlied. Im volkseigenen VEB-Knast saßen die Häftlinge und sangen
dieses Lied. Und es flog wie ein Vogel durch die Gitterstäbe in ihre Zelle
rein. Die meisten, die es sangen, wussten nicht mal, wer es geschrieben hat.
Und Sie müssen zugeben, das ist nicht das Schlechteste, was mit einem
Lied passieren kann, dass es sich wegbewegt von dem, der es geschaffen hat.
Unter uns gesagt: Es ist das Beste, was überhaupt passieren kann. Und
so gibt es eine ganze Menge Lieder von mir, die volkseigen wurden, weil das
Volk sie sich genommen hat. Die Lieder, in denen ich mit Brachialgewalt über
mich rede, Biermann, die sind natürlich mehr oder weniger gefesselt an
meine Person. Aber es gibt sehr viele Lieder, und das sind vor allem solche,
die hier in diesen Noten dargestellt sind, die auch andere Männer, sogar
Frauen, singen können. Frauen sogar besser als Männer, wissen Sie,
warum? Wenn ein Mann meine Lieder singt, ist das leicht undankbar, weil dann
die Klugscheißer kommen und sagen: „Biermann singt ganz anders!“ Und
wenn er so singt wie ich, einmal dürfen Sie raten, was er dann hört: „Du
machst ja Biermann nach!“ Das heißt, es ist immer schlecht. Wenn
aber eine Frau die Lieder singt, dann spielt sie in dieser blöden Konkurrenz
nicht mit, und das Lied kann sich von mir wegbewegen. Dazu sind dann auch die
Noten da, und einige sind arrangiert für Klavier und Chor. Das hat sich
nicht so ergeben, weil wir das so wollten, sondern durch das lebendige Leben.
Ich bin befreundet mit dem berühmten Göteborger Kammerchor. Genauer
gesagt, ich bin mit denen überhaupt nicht befreundet, sondern mit dem
Chef Gunnar Eriksson. Der ist die große Leuchte dort. Der ist der bewunderte
Mann, der so hinreißend modern Chor arrangieren und machen kann mit seinen
Sängern. Die Schweden sind auf diesem Gebiet sowieso im Durchschnitt
besser als die Deutschen. Die Deutschen sind so ein bisschen vermodert,
vermottet.
nmz: Ich habe mich schon gefragt, woher diese Schweden-Connection
kommt... Biermann: Das ist ein kleineres Volk, und die müssen mehr in die Menschheit
gucken. Die sind nicht so genügsam in sich selbst. Das heißt, die
lecken mehr am Jazz, die lecken mehr an dem, was in Indonesien gesungen wird,
im Gegensatz zu so großen Völkern wie den Deutschen, den Russen
oder den Amerikanern. Franzosen sind noch größer, so überfranzösisch,
die wundern sich ja, dass es überhaupt Menschen auf der Welt gibt, die
nicht Franzosen sind. Aber so kleine Völker wie die Ungarn oder die Polen,
also klein in der Zahl, oder die Schweden, die haben so riesige Elefantenohren,
während wir mehr so kleine Ohren haben. Und das geht alles in deren Kultur
mit rein. Das heißt, denen muss keiner stundenlang erklären, was
Big Bill Broonzy heißt und Lead Belly im Blues. Die wissen, was Jazz
heißt. Die wissen, was moderne Musik heißt. Und die kennen natürlich
auch das Beste an der deutschen Musik, was die meisten Deutschen gar nicht
mehr kennen: Das, was die Franzosen mit Bewunderung und mit Neid nicht „Chanson“ nennen,
sondern „le lied“, das Lied von Schubert und Schumann, von Brahms,
von Schönberg bis hin zu Hanns Eisler. Das heißt, das ist es, was
uns auszeichnet, was uns keiner nachmacht, womit die Deutschen sich schmücken
können, mit Recht ohne Angeberei, das ist das Beste, was wir überhaupt
haben. Das haben diese Schweden alles gefressen, und für die gilt auch
der Grundsatz: „Man kann nur das geben, was man hat.“ Nur die Lumpen
geben immer Sachen, die sie nie besessen haben. Diese Schweden haben also meine
Lieder mit solchen Riesenohren gehört und haben alles das in die Klavierbegleitung
und in die Chorarrangements reingesteckt, was in ihnen selber lebendig ist.
Die Volksmusik lebt die Lieder in Schweden auch viel lebendiger als die in
Deutschland die deutschen Lieder. Die Schweden singen, die sind im Singen gemacht.
nmz: Wie fühlt sich denn der deutsche Liedermacher Wolf Biermann in dieser
Bluenote-Welt, in diesem Jazz-Ambiente? Biermann: Ach, das ist eine Frage, die Sie sich noch mal überlegen müssen.
Wenn ich Konzerte in Amerika mache, wissen Sie, wie ich da angekündigt
werde? „Biermann, der preußische Blues, the Prussian Blues“.
Ich singe ja den Preußen-Blues, das ist die Ballade vom Preußischen
Ikarus, kennen Sie vielleicht. Das ist unser Blues! Und wenn man den Begriff
des Blues tiefer versteht, dann weiß man, dass der Flamenco der spanische
Blues ist, oder wie Garcia Lorca sagt: der „cante jondo“, der Gesang
von tief innen. Und jedes Volk hat in seiner Kultur diesen Blues oder diesen „cante
jondo“, diesen Gesang von tief innen. Auf deutsch heißt das dann
eben Biermann.
nmz: Starker Auftritt. Nun war ja die DDR damals auch
ein kleines Land. Wir haben über kleine Länder und ihre hohen Kreativitätspotenziale
gesprochen. Sie haben von außen seit 1976 zugeguckt und auch kommentiert,
wie diese „Systeme“ DDR/BRD zusammenwuchsen, angeblich. Ist das
im Kulturbereich gelungen? Biermann: Das weiß ich nicht. In der wirklichen Kultur gab es diese Trennung
niemals so wie mit der Mauer, mit dem Stacheldraht und den Hundelaufgräben,
wo man abgeschossen wurde. Wir lebten ja auch im 20. Jahrhundert. Wir hatten
Radios und wir hatten Tonbandgeräte. Das heißt, was in der Welt
gesungen wurde, kannte jemand in Leipzig, wenn er nicht gerade auf den Ohren
saß statt auf dem Hintern, genauso gut. Da gab’s nicht diese mechanische
Trennung. Da waren wir alle Angehörige der Gattung Mensch.
nmz: Werden schon Pläne für weitere Editionen gemacht? Biermann: Ich mach gar nichts, sondern diese Leute, die
wir haben verführen
können, und zwar nicht mit Gequassel, sondern durch praktische Konzerte,
die wir gemeinsam gemacht haben. Wir sind aufgetreten, nicht nur in Stockholm
und in Göteborg und in Oslo, sondern auch in Hamburg und in Berlin an
der wichtigsten Stelle, die es in Berlin gibt. Einmal dürfen Sie raten:
das Berliner Ensemble, da wo ich herkomme, das Brechttheater. Das ist nicht
der Arsch der Welt, verstehen Sie? Dort haben wir diese Lieder zusammen gesungen,
und es hat sich gezeigt, dass das sehr lebendig ist und dass das für die
gut ist und für mich auch.
nmz: Warum ist hier der Preußische Ikarus noch nicht dabei? Biermann: Weil das ein fauler Hund ist, der das noch nicht
gemacht hat. Wir müssen ihn prügeln, bis er endlich zum Preußischen Ikarus gekommen
ist. Ich hab mich nicht eingemischt in meine eigenen Angelegenheiten. Ich hab
nicht gesagt, das und das machst du. So läuft das nicht in der so genannten
Kunst. Sondern ich habe gesagt: „Nimm, was dir schmeckt.“ Das ist
eine bessere Basis. Wenn man so alt ist wie ich, dann ist es fast schon egal,
ob man ein Lied mit 25 Jahren geschrieben hat oder mit 50 Jahren. Dann will
man nur noch wissen: Ist es ein schönes Lied oder nicht? Das hört
der mit seinen fremden schwedischen Ohren viel besser als ich.
nmz: Wie politisch kann man denn heutzutage als Liedermacher
noch sein. Ist man politisch auf Deutschland regionalisiert? So wie Sie das
schildern, sind
Sie ja eher ein Globalist geworden. Biermann: Das verdanke ich der Partei in der DDR. Wenn
die mich nicht rausgeschmissen hätten 1976, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre. Ich
hätte mich immer mehr verbissen in den Streit mit diesen reaktionären
Idioten. Auch gut, nichts dagegen. Wenn man unter den Drachen lebt, dann muss
man entweder dem Drachen in den Arsch kriechen oder ihn bekämpfen. Was
willst du anderes machen?
Und dann wurde ich in der DDR sozusagen der „Drachentöter mit dem
klingenden Holzschwert“. Mein Holzschwert war die Gitarre, aber weil
sechs Saiten darauf sind, ist es das „klingende“ Holzschwert. Aber
wenn dann der Drache nicht mehr da ist, jedenfalls nicht mehr über meinem
Kopf mich in seiner Gewalt hat, dann müsste ich ja ein Esel sein, wenn
ich nicht endlich an der Menschheit lecke, zu der ich ja nebenbei auch noch
gehöre. Für mich war das eine unglaubliche Befreiung.
Wissen Sie, was das Komische ist? Als es passierte, habe ich es nicht als
Befreiung empfunden, sondern als ein großes Unglück. Ich lief rum wie das
Leiden Jesu zu Pferde, weil ich verzweifelt war darüber, dass mir meine
treuen vertrauten Feinde abhanden gekommen waren.
Man vermisst doch nicht nur die Freunde, die man sowieso braucht, das wissen
Sie auch ohne mich. Aber wenn einem die vertrauten Feinde, auf die man
gut trainiert ist, geklaut werden, ist das auch ein Verlust von Heimat.
Man weiß gar
nicht mehr, wo man hinschlagen soll.
nmz: Gibt es denn ein paar neue Drachen, die dem Holzschwert-Drachentöter über
den Weg gelaufen sind? Biermann: Nein. Wir leben in einer Demokratie. Das ist,
wie Sie auch ohne meine Hilfe wissen, eine höchst unvollkommene Gesellschaft. Jeden Tag kriegen
wir eine Lektion darüber vor die Schnauze gehauen. Aber es ist keine totalitäre
Diktatur. Und es wäre geradezu pathetisch und verlogen und selbstmitleidig,
wenn man das Drachen nennen würde. Man soll nicht die Dinge vermischen.