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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 4-5
57. Jahrgang | April
Magazin
Positionsbestimmungen aus Frankfurt
Komponisten und Autoren im Gespräch: die kompletten Messe-Interviews unter
www.nmzmedia.de
Jan Müller-Wieland, Komponist, Sikorski
Die Tradition ist das Aufregendste. Sie kann sich ja nur bilden, wenn sie
was zu vermitteln hat, wenn sie Niveau hat. Die Tradition in der Musikgeschichte
oder Literaturgeschichte ist die Tradition der Nicht-Langeweile-Erzeugung.
Es geht darum, Spannungen zu erzeugen, Konflikte darzustellen und somit um
die Tradition der Konfliktgeschichte in der Musik. Die großen Stücke
sind immer Stücke mit großem Konfliktpotenzial. Insofern sehe
ich mich fast flehentlich als Traditionalisten.
Einen Hörer denke ich beim Schreiben nicht mit.Beim Erfindungsprozess
interessiert mich erst mal nur die Situation des Stückes, seine Dramaturgie.
Der Aufführungsraum ist aber auch wichtig. Ich versuche, so dramaturgisch
wie möglich zu denken, aus dem Stück selbst heraus.
Es geht mir bei Vokalmusik darum, den Text durch das Vertonen und durch
meine klanglichen Ideen auf eine andere Wirklichkeitsstufe zu transportieren.
Es
geht dabei nicht um Dekonstruieren, sondern um Transformieren.
Michael
Kube, Musikwissenschaftler, Neue Schubert-Ausgabe
Man muss sehr genau unterscheiden zwischen Überlieferungsfragmenten und
Fragmenten, an denen Schubert im Sinne eines Particells wirklich herumprobiert
hat und nur erste Niederschriften überliefert sind. In dem einen Fall
ist es so, dass wir tatsächlich einen Notentext bieten können, der
aufführbar ist.
Natürlich mit dem großen Problem, dass dieser
Notentext irgendwann in der Mitte eines Werkes beginnt und dann auch wieder
genauso plötzlich abbricht. Andere Probleme ergeben sich bei Particell-Fragmenten,
wo ein Komponist noch ganz im Stadium des Suchens und des ersten Experimentierens
ist, da steht an erster Stelle zunächst einmal die diplomatische Übertragung,
das heißt die Übertragung Ton für Ton. Im Rahmen der Schubert-Ausgabe
ist aber geplant, daneben in einem Anhang auch einen von Korrekturen bereinigten
Notentext zu geben, um damit der Praxis dienlich zu sein, die dann vielleicht
im Sinne von Luciano Berio damit musikalisch frei verfahren kann.
Michael
Dartsch, Musikpädagoge, Autor, Breitkopf & Härtel
Jeder Instrumentalunterricht kann die Barriere, die zwischen Schülern
und Neuer Musik häufig schon besteht, überbrücken helfen, indem
er einfach zeigt, wie die Neue Musik gemacht ist, was ihre Faktur ist, wie
sie ihre Wirkung erzielt.
Es ist möglich, den Studierenden die Angst vor dem Gruppenunterricht zu
nehmen und zu zeigen, was an Chancen und Potenzialen darin steckt. Eine Verabsolutierung
von Gruppenunterricht wäre aber auch nicht das Ideal, weil Musik ein so
individueller Ausdruck des Komponisten ist, dass es auch des individuellen
Ausdrucks des Interpreten bedarf. Eine Ergänzung beider Unterrichtsformen
halte ich für sehr sinnvoll. Hierzu müssten allgemein pädagogische
und psychologische Elemente verschmolzen werden mit originär musikpädagogischen
Ansätzen: Welche Ziele, Inhalte, Methoden, Materialien sind in der Gruppe
angemessen? Das wäre, sehr einfach formuliert, die Aufgabe einer Didaktik
des Gruppenunterrichts.
Ich bin Komponistin mit einer ganz speziellen Ausprägung, nämlich
für Kindergartenlieder. Das kommt daher, weil ich viel mit Kindern von
vier bis acht Jahren arbeite. In der Schweiz gibt es viele Lieder, auch mit
großer Tradition, die unbedingt gepflegt werden müssen. Aber wenn
man Neues mit Kindern ausprobieren will und selbst Freude an Musik hat, ist
es nicht weit entfernt, dass man selbst Lieder schreibt. Meine Lieder sind
kurz und prägnant, leben im Moment. Sie sollen das Wesentliche mit wenigen
Worten aussagen, sowohl im Text als auch in der Musik. Das ist vor allem in
der heutigen Zeit wichtig für die Kinder, denn sie müssen mit einer
großen Reizüberflutung zurechtkommen. Daher müssen die Lieder
so kurz und ansprechend sein, dass die Kinder motiviert sind, zu wiederholen,
zu verändern und damit zu spielen.
„
fli, fla, flo!“ ist ein neuer Band, der jetzt beim Hug-Verlag herausgekommen
ist. Es sind Lieder auf Schweizerdeutsch mit hochdeutscher Übersetzung.
Das Titellied „fli, fla, flo!“ ist jedoch international. Ich denke
da an die Globalisierung und die vielen fremdsprachigen Kinder, die wir in
der Schweiz haben und die auch angesprochen werden wollen.
Samir Odeh-Tamimi, Komponist, Ricordi
Ich bin israelischer Staatsbürger; ich bin in Israel geboren und aufgewachsen,
aber ich bin palästinensischer Herkunft.
Jede Art von Kunst, die im öffentlichen Raum stattfindet, ist politisch.
Und jede Art von Kunst, die die Kommunikation nach außen sucht, ist auch
politisch. Deshalb bin ich auch ein politischer Komponist. Jemand, der aus
dieser Region kommt, kann nicht unpolitisch sein.
Kann man überhaupt mit Musik die Welt verändern? Nein, man kann sie
nicht verändern. Aber man kann immer einen Beitrag leisten. Ich fühle
mich auch verpflichtet, meinen Beitrag zu leisten. Zum Beispiel, wenn ich jüdische
Gedichte vertone. Mir ist nicht nur die palästinensische Geschichte wichtig,
sondern die Geschichte der beiden Völker. Ich habe ja beide in mir – und
ich habe beide Kulturen genossen.
Es geht mir nicht darum, Kulturen miteinander zu verbinden. Ich denke als
Komponist nicht so. Trotzdem bin ich in einer Welt geboren, wo der Klang ganz
anders
ist als der Klang in Deutschland und in Europa. Diese beiden Klänge der
verschiedenen Kulturen trage ich in mir. Die mischen sich sicherlich unbewusst.
Charlotte Seither, Komponistin, Bärenreiter
Kompositionsaufträge sind wichtig. Zum einen für den Broterwerb,
zum anderen stellen sie oft Aufgaben, die man sich so nicht gestellt hätte,
sie konfrontieren mit inhaltlichen Beschränkungen oder Erweiterungen,
einem ganz besonderen Konzept oder mit bestimmten Musikern, die einen eigenen
Kontext mitbringen.
Ich finde es aufschlussreich, wenn man sich die Strukturen in den Kompositionskursen
für Kinder und Jugendliche anschaut. Im Grundschulalter gibt es oft erstaunlich
viele Mädchen, die clever sind, eine große Begeisterungsfähigkeit
mitbringen und ein hohes Imaginationspotenzial. Nach der Schule, bei der Aufnahmeprüfung,
kommt ein Großteil dieser Mädchen nicht bei uns an den Hochschulen
an. Nach dem Studium sind es noch einmal deutlich weniger. Das Potenzial ist
aber da.
Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass der Berufsweg des Komponisten
so schwierig ist und gerade bei Frauen von so vielen zusätzlichen Faktoren
abhängt, die nichts mit den Inhalten zu tun haben. Aber natürlich
liegen auch viele Dinge am System: wie sich Förderstrukturen gestalten,
vor allem aber, wie Frauen informell unterstützt oder befördert werden.
Da haben wir noch sehr viel Arbeit zu leisten.
Felix Janosa, Komponist und Produzent, Terzio/Edition Conbrio
Jörg Hilbert entwickelt die Grundhaltung der Ritter-Rost-Bände,
und die kommt – da er Karikaturist ist – eher von der Ironie, von
der Brechung her, das heißt, er möchte erstmal die Wirklichkeit
ein wenig absurd darstellen. Das Pädagogische habe vielleicht ich in jeden
Band so ein bisschen reingeschmuggelt, weil ich meine, dass wir ein Thema für
jeden Band brauchen. Dass es im letzten Band zum Beispiel um die Schulprobleme
ging und im neuen Band „Ritter Rost und die Räuber“ nun ums
Geld. Es ist schon der Band zu Hartz IV, zur Schuldenfalle und so weiter. Das
liegt in der Luft, und deshalb machen wir auch den Ritter Rost dazu.
Wir haben unsere Tabubereiche: Ich sage nichts über seine Zeichnungen,
da darf er machen, was er will. Dafür darf ich bei der Musik machen, was
ich will. Das ist wie in einer Ehe. Man toleriert sich und schafft über
Jahre eine erfolgreiche Koexistenz.
Ich habe Spaß an Popmusik und die ist immer multistilistisch gewesen.
Das war sicher kein pädagogischer Impetus im Sinne von: Lernt mal mittelalterliche
Musik kennen, lernt mal Rap kennen. Wenn es jetzt so rüberkommt, dass
alle sagen, mit Ritter Rost könne man prima acht Musikstile auf einmal
kennen lernen, dann freut mich das aber.
Krzysztof Penderecki, Komponist, Schott Music
Ich bin es gewohnt, in meinem Zimmer in völliger Ruhe zu arbeiten. Ich
bin zum ersten Mal auf der Musikmesse. Wenn ich hier von allen Seiten Musik
und Geräusche höre, da werde ich schon nervös. Das ist kein
Platz für mich.
Als ich zu Dirigieren begann, steckte dahinter die Idee, dass ich immer meine
eigene Version eines Stückes machen wollte, die doch sehr oft stark von
anderen abweicht. Auch bin ich nicht der erste Komponist, der dirigiert. Im
19. Jahrhundert haben alle dirigiert. Dadurch lernt man natürlich die
Orchestermöglichkeiten viel besser kennen.
Seit Jahren möchte ich eine Oper für Kinder schreiben. Das wird vielleicht
das nächste große Projekt. Diese Oper für Kinder wird nicht
weit von einer Groteske entfernt sein. Man kann natürlich keine normale
moderne ernste Sprache benutzen für Kinder. Meine Oper Ubu Rex war schon
eine Groteske, es war schon eine Buffo-Opera. Und ich glaube, ich werde in
diese Richtung gehen.
Mein Arboretum, das ist schon mehr als Passion, das ist schon Beruf. Einen
Park anlegen, das hat man früher über Generationen gemacht. Jetzt
habe ich in der kurzen Zeit von 35 Jahren ein großes Arboretum mit 30
Hektar und 1600 verschiedenen Arten von Bäumen angelegt. Das ist schon
eine große Kollektion. Vor allem ist das ein Platz, wo ich mich am besten
fühle, weil das meine Bäume sind, von mir geplant. Bäume, die
mich überleben. Ich habe auch schon ein Denkmal gesetzt für meine
Bäume. Meine 8. Sinfonie, „Lieder der Vergänglichkeit“,
ist eigentlich ein Stück über Bäume, über menschliche Vergänglichkeit.
In einem gewissen Alter denkt man natürlich schon an Vergänglichkeit.
Robin Hoffmann, Komponist, Edition Peters
Ich biete etwas an, und wenn es angenommen wird, kann es sich verselbstständigen.
Das Schöne beim Komponieren ist ja, das sich etwas loslöst von einem – sonst
würde ich zum Beispiel improvisieren. Indem man einen Notentext fixiert,
bekommt er seine Eigenständigkeit, wird von Interpreten gespielt, wird
ausgedeutet. Wie er dann rezipiert wird, darauf habe ich dann keinen Einfluss
mehr.
Mir geht es darum, versteckte Strukturen zu komponieren, die nicht sofort
im Jetzt-Klingen erkannt werden, sondern nach längerer Beschäftigung.
Das schöne an Musik ist ja, dass sie nicht nur jetzt klingt, sondern dass
man voraushören kann, dass sie nachklingt. Das hat gar nichts mit Anspruch
oder Nicht-Anspruch zu tun, das sind einfach Realitäten des künstlerisch
geprägten klingenden Stoffes.
Nötig ist sehr viel Gehör-Bildung! Das weckt Interesse am ästhetischen
Gegenstand. Der ist auch in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden. Wir
haben es ja mit einem Publikum Neuer Musik zu tun, das an Größe
sämtliche Zeiten bisher übertrifft. Die Publikumszahlen wachsen.
Das heißt nicht, dass man nicht vor einem neuen Stück auch ratlos
steht, entscheidend ist, dass man sich nicht einschüchtern lässt,
neugierig bleibt. Diese Neugier müssen wir vermitteln und die Freude daran,
nicht alles verstanden zu haben, sondern nur die Hälfte, was viel schöner
ist, weil man die andere Hälfte vielleicht später noch versteht.
Jede Bezeichnung eines Stils ist eine Ideologie, ob es nun einen „ismus“ hinten
dran hat oder nicht.
Johannes Maria Staud, Komponist, Universal Edition Wien
Ich habe mich von Frühzeit an für größer besetzte Stücke
interessiert. Desöfteren habe ich mich gefragt, warum ich nicht viel
Kammermusik geschrieben habe. Wenn ich ein Streichquartett komponiere, komponiere
ich für eine Zuhörerschaft, die sich sozusagen als Kenner ausgibt.
Damit hatte ich immer Probleme. Ich fand, dass bei größeren Besetzungen
die Vielzahl der Kombinationsmöglichkeiten eine andere war.
Als Komponist ist man gefordert, dem Orchesterapparat etwas abzuverlangen.
Ich glaube, es geht darum, das perfekte Medium zu suchen, um eine Vorstellung
umzusetzen. Zur Zeit schreibe ich an einem Stück für Klarinette,
Violine, Cello und Klavier, das wird Ende Mai uraufgeführt. Dann schreibe
ich ein Stück fürs Cleveland Orchestra, 15 Miniaturen, wahrscheinlich
für großes Orchester. Ich versuche immer, etwas zu machen, was ich
noch nie gemacht habe. Ich habe noch nie für eine große Besetzung
Miniaturen geschrieben.
Es gibt ja auch diese Begierde, Neue Musik an Plätzen zu spielen, die
nichts mit der Musik zu tun haben. Ich finde, das ist oft eine Anbiederung,
die gefährlich ist. Konzertsäle sind schließlich dazu gebaut,
damit die Musik dort sehr gut klingt. Es geht nicht wie in der Popmusik um
die Maximierung der Zuhörerschaft, sondern darum, ob man Personen findet,
die sich das anhören wollen. Es geht nicht um Erwartungshaltungen des
Publikums. Als Komponist geht es darum: Habe ich mein Bestmögliches getan?
Wiederhole ich mich nicht? Ich glaube, für ein Publikum zu schreiben,
wäre nicht ehrlich.
Benedikt Poensgen, Intendant der Händel-Festspiele Göttingen,
Herausgeber, Carus Verlag
Wir kennen Mendelssohn eigentlich mehr als Wiederentdecker Bachs, aber dass
er auch für Händel eine bedeutende Rolle gespielt hat, ist völlig
untergegangen, ebenso seine Fassung von Händels „Acis und Galathea“.
Carl Friedrich Zelter hatte Mendelssohn quasi aufgegeben, vor der Aufführung
der Matthäus-Passion erst einmal „Acis und Galathea“ zu bearbeiten.
Im Gegensatz zu Mozart hat er die Stimmen nicht nur in das Instrumentarium
seiner Zeit übersetzt, sondern auch in die musikalische Substanz eingegriffen:
Er hat zusätzliche Stimmen geschrieben, Paukenwirbel an besonders dramatischen
Stellen eingeführt und ganz genaue dynamische Angaben gemacht. Soweit
man weiß, ist diese Fassung sogar unter Mendelssohn selbst nicht aufgeführt
worden, sondern erst 1869 in London. Aus diesem Material haben wir eine Handschrift
erwerben können, die jetzt unserer Edition bei Carus zugrunde liegt. Wir
werden am 13. Mai in Göttingen bei den Händel-Festspielen die Erstaufführung
dieser Ausgabe präsentieren, auf historischen Instrumenten unter der Leitung
von Nicholas McGegan. Im Anschluss wird es auch eine CD-Produktion bei Carus
geben.