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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 15
57. Jahrgang | April
Forum Musikpädagogik
Für ein gutes Betriebsklima außerhalb des Gehirns
Der „Eltern-Kind-Gipfel“ des VdM in Bonn schärfte
den kritischen Blick auf pädagogische Inhalte und Methoden
Das Sturmtief Emma brachte am ersten Märzwochenende dieses
Jahres einige Bahnverbindungen in Deutschland zum Erliegen. So
musste auch der „Eltern-Kind-Gipfel“ im Beethoven-Haus
in Bonn zwar mit Verspätung beginnen, doch von Stillstand
konnte hier keine Rede sein. Der Verband deutscher Musikschulen
(VdM) hatte in Zusammenarbeit mit seinem Kulturpartner WDR 3 zu
der Fachtagung „Musikalische Bildung von Anfang an“ eingeladen.
Bereits im Herbst 2006 fand ein Symposion zu diesem Thema statt,
dessen Fachbeiträge seit letztem Jahr in schriftlicher Form
in der Reihe „Arbeitshilfen“ des VdM vorliegen. Diese
ersten Arbeitshilfen widmen sich Hintergründen und komplexen
Zusammenhängen musikalischer Bildung und frühkindlicher
Entwicklung.
Gerald
Hüther. Foto: Heidi Wucher
Die diesjährige Tagung nun sollte Musikschullehrerinnen und
-lehrern, Erzieherinnen und Erziehern einen Einblick bieten in
die verschiedenen Lehrwerke und didaktischen Ansätze der Eltern-Kind-Gruppen.
Im zeitlich dicht getakteten Programm waren Konzepte von elf Autorinnen
und Autoren angekündigt. Ein Vortrag des Neurobiologen Gerald
Hüther mit dem Thema „Die Bedeutung früher Musikerfahrungen
für die Hirnentwicklung“ versprach spannende Informationen
aus der Forschung. Das „Kulturpolitische Forum“ mit
Vertreterinnen und Vertretern zweier Musikhochschulen, des VdM
und einer Expertin für Kindertagesbetreuung beleuchtete das
Thema aus verschiedenen Perspektiven.
Zur Eröffnung sprach Winfried Richter, Vorsitzender des Verbandes,
von der großen Verantwortung, die Lehrkräfte, Erzieherinnen
und Erzieher in dem Bereich Frühpädagogik tragen, und
betonte die Forderung nach hoch qualifizierter musikpädagogischer
Arbeit in Krippe, Kindergarten und Hort. Seine Kritik richtete
sich gegen passiven Musikkonsum oder rein imitierende Mini-Playbackshows.
Stattdessen plädierte er für eine Entwicklung hin zu
aktivem und kreativem Tun. Welche Beiträge die einzelnen Konzepte
zu dieser Forderung nach der qualitativ guten musikalischen Bildung
leisten, mussten sich die Teilnehmenden nach dem Gipfel individuell
beantworten. Anders als bei „Leopold“, dem Medienpreis
für „gute Musik für Kinder“ blieb eine Empfehlung
für ein bestimmtes Lehrwerk vonseiten der Veranstalter aus.
Der Projektleiter Michael Dartsch (Hochschule für Musik Saar)
betonte eingangs den Aspekt des Kennenlernens der verschiedenen
Ansätze und die Chance, eine persönliche Auswahl treffen
zu können. Dabei gab er dem Fachpublikum die Aufgabe mit auf
den Weg, über die Angemessenheit von Zielen, Inhalten, Methoden
und Materialien für die Eltern-Kind-Gruppe nachzudenken.
Vielfalt der Konzepte
Wer erhofft hatte, an diesem Wochenende einen direkten Vergleich
der verschiedenen musikpädagogischen Ansätze vornehmen
zu können, wurde enttäuscht. Zu unterschiedlich waren
die gewählten Schwerpunkte der Vorträge. Darüber
hinaus ließ die schlechte Zeiteinteilung vieler Referentinnen
und Referenten die vom Veranstalter geplanten und vom Publikum
eingeforderten Diskussionsrunden nicht zu. Allerdings lagen alle
vorgestellten Werke auch zur Ansicht aus. Durch die Vielfalt der
Konzeptionen wurde bei vielen Besuchern das Interesse geweckt,
sich tiefer gehend mit dem einen oder anderen Ansatz zu beschäftigen.
In der Kürze der Zeit konnten nur erste Eindrücke vermittelt
werden. Manche Autorinnen und Autoren fokussierten nur einen bestimmten
Unterrichtsinhalt aus ihrer Arbeit, einige beleuchteten die pädagogischen
Hintergründe oder das ästhetische Verständnis, das
ihrem Programm zugrunde liegt. Andere präsentierten mittels
professioneller Folien-Show sämtliche Materialien für
den Unterricht vom Baby bis zum Vorschulkind. Der Facettenreichtum
der Werke reichte von musikalischen Spielstunden bis zum Training
isolierter musikalischer Teilleistungen. Zu einigen Lehrwerken
wurden die jeweiligen Qualifizierungslehrgänge vorgestellt,
die mit einem Zertifikat oder einer Lizenz abgeschlossen werden.
Danach kann oder soll der Eltern-Kind-Kurs mit dem Namen des entsprechenden
Programms angeboten werden. Ein abgeschlossenes musikpädagogisches
Studium ist dabei nicht immer Voraussetzung. Die Frage aus dem
Publikum, wie der Stellenwert solch einer mehrtägigen Qualifizierungsmaßnahme
gegenüber einem achtsemestrigen Studium in Elementarer Musikpädagogik
oder Rhythmik zu sehen sei, konnte nicht zufriedenstellend beantwortet
werden.
Auch in der Podiumsdiskussion stellte der Kulturjournalist Michael
Köhler die Frage nach Qualität, Weiterbildung und dem
Stellenwert von musikalischer Bildung in der Elementarpädagogik.
Michael Kobold als Vertreter des VdM und Musikschulleiter versprach
den Zuhörern Qualität, wenn sie sich an der Verbandszugehörigkeit
einer Musikschule orientierten. Susanne Stempinski, Expertin für
Kindertagespflege, sprach eher von dem Bedarf nach niedrig schwelligen
Angeboten, die auch von bildungsfernen Schichten angenommen würden
und wünschte sich mehr Hochschulabsolventen in Kindertagesstätten,
Krippen und Geburtshäusern. Die stärkere Einbeziehung
musikalischer Inhalte in die Frühpädagogik wurde einhellig
begrüßt. Barbara Stiller (Hochschule für Künste
Bremen) nannte die verstärkte Beschäftigung der Erziehungswissenschaft
mit der frühen Kindheit den Schritt in die richtige Richtung,
machte aber auch deutlich, dass die musikalische Bildung Aufgabe
der Ausbildung an den Hochschulen für Musik sei. Seit den
1990er-Jahren ist die Beschäftigung mit der Zielgruppe der
unter Vierjährigen Bestandteil im Studiengang Elementare Musikpädagogik
(EMP) an Musikhochschulen. Hier werden Prinzipien, Inhaltsbereiche
und Grundlagen des Unterrichts mit Eltern-Kind-Gruppen vermittelt,
und es findet in keinem Fall eine Festlegung auf ein Konzept statt.
Die Verknüpfung der Berufsbezeichnung einer Lehrperson einer
Eltern-Kind-Gruppe mit einem Lehrwerk ist durchaus kritisch zu
betrachten. Vielmehr doch als ein Logo sollten elementar-musikpädagogische
Grundprinzipien und altersgemäße Herangehensweisen oberste
Prämisse sein.
Neurobiologie und Emotion
Nicht nur der Wissensdurst des Publikums nach mehr Hintergrundwissen
brachte dem Neurobiologen Gerald Hüther (Universität
Göttingen und Mannheim/Heidelberg) tosenden Applaus, sondern
auch seine erfrischende, überzeugende Ausführung über
die Auswirkung von Musikhören und Musizieren auf das Denken,
Handeln und Fühlen. Musik findet originär im sozialen
Zusammenhang statt und bietet damit optimale Voraussetzungen, denn „die
Hirnentwicklung muss als ein durch Interaktion mit der Außenwelt
gelenkter Prozess verstanden werden“, so Hüther. Musikalische
und sprachliche Kommunikation stellen eine wichtige Form von Interaktion
zwischen Mutter und Kind dar. Ein Schlüsselwort in Hüthers
Vortrag war der Begriff der „Kopplungsphänomene“.
Damit ist das gemeint, was im Gehirn geschieht, wenn zwei oder
mehrere Sinneskanäle durch ein bestimmtes Erlebnis gleichzeitig
aktiviert werden. Solche Kopplungsphänomene finden bereits
im Mutterleib statt und haben großen Einfluss auf die Entwicklung
der synaptischen Verbindungen im Gehirn. Sinneswahrnehmungen werden
mit gleichzeitig empfundenen Gefühlen als ein „Gesamtbild“ internalisiert.
Diese Verschaltungsmuster bilden wiederum die Grundlage für
neue Anknüpfungspunkte und neue Erfahrungen. Hüther betonte,
dass die Erinnerung an den Lerninhalt das mitgelernte Gefühl
wieder auslöst. Die Bedeutung von positiven psychosozialen
Bedingungen – Hüther spricht auch vom „Betriebsklima
außerhalb des Gehirns“ – für die Entwicklung
des kindlichen Gehirns sollten wir uns in unserem Berufsalltag
immer wieder vor Augen führen. Orientieren wir uns als Pädagogen
an diesen Erkenntnissen, so müssen wir besonders die Momente
unseres Unterrichts genau betrachten, in denen wir dem Eltern-Kind-Paar
die Gelegenheit geben, gemeinsam erfüllte Zeit zu erleben.
Die Erfahrungen mit Musik und das eigene Musizieren verursacht
Metakompetenzen wie Kreativität, Einfühlungsvermögen,
Selbstwahrnehmung, Beziehungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit
und Handlungsplanung. Diese Kompetenzen können nicht gelehrt
werden, sie müssen sich aus der Erfahrung heraus entwickeln.
Hüther schloss seinen Vortrag mit einem Zitat nach Heinrich
Roth: „Es kommt nicht darauf an, die Kulturgüter weiterzugeben,
sondern den Geist, der diese Kulturgüter hervorgebracht hat.“
So informativ und ergiebig der „Eltern-Kind-Gipfel“ war,
so viele Fragen hat er aufgeworfen. Musikschullehrerinnen und -lehrer
wünschten sich dringend die Fortsetzung des Gesprächs
und weitere Informationen. Der VdM reagierte ad hoc und bot an,
eine Internet-Plattform zum Gedankenaustausch einzurichten. Der
VdM hat mit den ersten Handreichungen zum Thema „Musikalische
Bildung von Anfang an“ eine Veröffentlichung hervorgebracht,
die Musikschullehrkräften sowie Studierenden gleichermaßen
wertvoll ist. Auch bei der Aktualisierung der bestehenden Lehrpläne
für die Grundstufe an Musikschulen soll die Zusammenarbeit
mit Mitgliedern des „Arbeitskreises Elementare Musikpädagogik“ (AEMP)
fortgesetzt werden. Lassen wir uns nach diesem Kongress also beflügeln
durch die Perspektive, mit einem pädagogisch und musikalisch
qualitativ hochwertigen Angebot für Eltern und Kinder Positives
bewirken zu können. Aber es dürfte sich auch der kritische
Blick geschärft haben, mit dem wir Inhalte und Methoden von
Konzepten für Frühkindliche Bildung betrachten.