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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 16
57. Jahrgang | April
Hochschule
Mit schwungvollem Tanz in die Klangwelt der Alten Musik
Studierende und Dozenten der Hochschule für Künste Bremen
gestalteten ein Familienkonzert für „Die Glocke“
Wenn die Stimmen von 150 Grundschulkindern durch das Treppenhaus
der Hochschule für Künste Bremen schallen, kann das nur
eines bedeuten: Öffentliche Generalprobe zum Familienkonzert
im Bremer Konzerthaus „Die Glocke“. Dort hat sich eine
1999 entstandene Konzertreihe etabliert, bei der einmal im Monat
am Sonntagvormittag Kinder und Erwachsene zum gemeinsamen Zuhören
und Mitmusizieren eingeladen sind. Die Hochschule für Künste
Bremen ist hierbei einer der festen Partner: Regelmäßig
wird ein Konzert vom Fachbereich Musik gestaltet, so zuletzt vom
Studiengang Elementare Musikpädagogik und von der Schlagzeugklasse.
Das Vorkonzert im Konzertsaal der Hochschule gehört traditionsgemäß dazu.
Anfang des Jahres lud ein Projektensemble unter der Leitung
von Jürgen Schrape (Choreographie) und Detlef Bratschke (Musik)
zu einem außergewöhnlichen Konzert in der Reihe ein.
Unter dem Titel „Auf spitzen Sohlen“ wurden historische
Tänze zu Musik aus dem 16. bis 19. Jahrhundert präsentiert.
Bemerkenswert daran ist neben der Tatsache, dass Konzerte mit ausschließlich
Alter Musik für ein überwiegend junges Publikum ohnehin
Seltenheitswert haben, dass hier die Verbindung von Musik und Bewegung,
von Eindrücken für Ohr und Auge gleichermaßen zum
besonderen Erlebnis wurde. Musik und Tanz trugen gleichberechtigt
zum Gesamteindruck bei, waren miteinander verwoben und verstärkten
sich gegenseitig.
Die von einem eigens für dieses Projekt zusammengestellten
kleinen Orchester gespielte Musik war die Grundlage für die
Aktionen des Tanz-ensembles; gleichzeitig verdeutlichten die Tänze
die unterschiedlichen Musikstile, die in ihrer Differenziertheit
sonst oft nur von Spezialisten der Alten Musik verstanden werden.
Beide Ensembles setzten sich aus Studierenden der Abteilung Alte
Musik und einigen Gästen zusammen, wobei manche Musiker zwischendurch
ihren Platz hinter dem Notenpult verließen, um auf der Bühne
mitzutanzen. Alle Tänzerinnen und Tänzer dieser Aufführung
sind nämlich in erster Linie Instrumentalisten oder Sänger/-innen.
Historischer Tanz ist jedoch für zwei Semester Pflichtfach
im Studium Alte Musik, damit die Studierenden das Wesen der von
ihnen gespielten Musik, die oft vom Tanz herkommt oder beeinflusst
ist, besser verstehen können.
Es war für Jürgen Schrape eine Premiere, ein Tanzprogramm
mit Erwachsenen für Kinder zu entwerfen. Entgegen seinem üblichen
Ansatz, in einem Konzert den Schwerpunkt auf die Darstellung einer
Epoche zu legen, hatte er für das Bremer Familienkonzert bewusst
Tänze aus verschiedenen Epochen ausgewählt, um Vielfalt
und Abwechslung in das siebzigminütige Programm zu bringen.
Dieses reichte von einem deutschen Triolet-Walzer (Walzer zu dritt) über
französische Barocktänze wie Loure und Gigue bis zurück
zu den Balletti der italienischen Spätrenaissance. Die Musiker
hatten die Originalmusik teilweise für ihre Besetzung bearbeitet.
Die Choreographien stammten überwiegend direkt aus historischen
Tanzanweisungen wie der 1588 erschienenen „Orchésographie“ von
Thoinot Arbeau, einige waren von Jürgen Schrape in Anlehnung
an Originalquellen entworfen worden.
Viele wohlüberlegte Details trugen zur großen Abwechslung
im Programm und zur Verständlichkeit des Dargestellten bei:
Jürgen Schrape und Klauspeter Andritzky schufen mit ihrer
charmant- natürlichen, dialogisch gestalteten Moderation eine
Verbindung zwischen Kindern und Künstlern, zwischen heutiger
Zeit und Vergangenheit. Sie gaben auf prägnante Art und Weise
Informationen zu Namen, Herkunftsländern und Entstehungszeiten
der Tänze, hatten auch einmal einer Tänzerin beim Schnüren
ihres Korsetts zu helfen und zeigten außerdem, dass auch
sie die alten Tänze beherrschten. An einer großen Zeitleiste
konnten die Kinder mitverfolgen, aus welchem Jahrhundert die jeweils
dargebotenen Tänze stammten. Der Vergleich zwischen ihrem
eigenen Alter und dem der Musik machte ihnen am Anfang des Konzertes
deutlich, um welche zeitlichen Dimensionen es sich dabei handelte.
Das Auf- und Abtreten der Tänzer gehörte meistens mit
zur Choreographie und schuf spannungsvolle Übergänge.
So mischte sich ein Harlekin schon vor seiner Nummer verstohlen
unter die Tänzer, um am Ende seiner „Chacoon“ hüpfend
und winkend wieder von der Bühne zu laufen, noch bevor die
Musik verklungen war. Mal traten die Tänzer paarweise und
sehr vornehm auf, mal stürzten sie als Gruppe durcheinander
rufend und scherzend auf die Bühne.
Viele der Tänze waren in kleine Szenen eingebettet, in denen
allen Akteuren ihre schauspielerischen Fähigkeiten und große
Spielfreude anzumerken waren. So wurden – zum Beispiel in
der Darstellung von einfachem (Bauern-)Volk und höfischer
Gesellschaft – die unterschiedlichen Charaktere der Rollen
und der Musikstile noch eindrücklicher. Große Aufmerksamkeit,
besonders unter den Jungen im Publikum, erfuhr ein ausschließlich
von den Männern des Ensembles aufgeführter Schwertertanz,
an dessen Ende die „Kämpfer“ erschlagen zu Boden
fielen.
Requisiten wie Hüte und Fächer wurden künstlerisch
in die Tänze integriert, und die Tänzer spielten zusätzlich
zur Musik des Orchesters typische Instrumente wie Zimbeln und Triangeln
bei einem türkisch inspirierten Tanz („Entrée
pour la Cérémonie des Turqs“) oder Kastagnetten
für die spanische Folia („Folie d‘Espagne“).
Denn während man heutzutage bei Historischem Tanz normalerweise
nur an Menuette in barocken Kleidern und Puderperücken denkt,
gab es damals, wie im Konzert gut zu erkennen war, ganz eigene
Klischees. Diese wurden auch durch spezielle, etwa exotisch-chinesisch
aussehende Tanzkostüme unterstützt, die es schon in der
Entstehungszeit der jeweiligen Musik neben der zeittypischen (höfischen)
Kleidung gegeben hat. Entsprechend betonten die von der Kostümwissenschaftlerin
Barbara Purrucker nach historischen Vorbildern entworfenen und
in aufwändiger Einzelanfertigung von ihr und Carla Linné genähten
Kostüme die verschiedenen Facetten des Historischen Tanzes
und trugen zur „Farbigkeit“ des Konzertes bei. Ein
gemeinsam mit den Kindern einstudierter Tanz zum bekannten Lied „Brüderlein,
komm tanz mit mir“ rundete das Programm ab.
Es war erstaunlich, mit welcher Vielseitigkeit, Genauigkeit,
Anmut und Ausdrucksstärke die (Laien-)Tänzerinnen und Tänzer
auftraten und selbst komplizierte Choreographien und Hebefiguren
wie ein Leichtes aussehen ließen. Aufs Beste unterstützt
wurden sie dabei vom Orchester, das Detlef Bratschke vom Cembalo
aus leitete, und einigen Sängern. Dabei kam der stark besetzten
Continuogruppe und dem Percussionspieler eine besondere Aufgabe
zu, denn bekanntermaßen ist ein stabiler Rhythmus unerlässlich
für Tänzer. „Tanzmusik muss vom Hocker reißen“,
so Jürgen Schrape, und um eine optimale Verständigung
zwischen Orchester und Tanzensemble zu erreichen, wurde eine Woche
lang jeden Abend gemeinsam geprobt.
Das Ergebnis konnte sich uneingeschränkt sehen und hören
lassen und begeisterte Kinder und Erwachsene gleichermaßen.
Das junge Publikum war so fasziniert und konzentriert, dass es
während der Generalprobe mucksmäuschenstill blieb und
sich am Ende gerne noch eine Zugabe erklatscht hätte. Doch
Jürgen Schrape erklärte, dass zuviel Applaus bei einer
Generalprobe Unglück brächte und lud stattdessen alle
ein, mit Freunden und Familien zwei Tage später in „Die
Glocke“ zu kommen, um das Programm noch einmal zu erleben.