nmz 2008/04 | Seite 24
57. Jahrgang | April
Musikbildung
Kulturelle Bildung soll neu formuliert werden
Gespräch mit Klaus-Martin Heinz über die Herausforderungen
an die Musikakademien
Die Jahrestagung des Arbeitskreises der Musikbildungsstätten
in Deutschland fand vom 18. bis zum 20. Februar in der Akademie
Remscheid statt. Im Zentrum stand ein Vortrag von Prof. Dr. Max
Fuchs, Direktor der Akademie Remscheid sowie Vorsitzender der Bundesvereinigung
Kulturelle Jugendbildung, des Instituts für Bildung und Kultur
und des Deutschen Kulturrates, unter dem Titel „Nationale
und internationale Tendenzen in der Bildungs- und Kulturpolitik“.
Die nmz sprach darüber mit Klaus-Martin Heinz, Vorsitzender
der Musikbildungsstätten in Deutschland und Leiter der Landesmusikakademie
Rheinland-Pfalz.
neue musikzeitung: Was waren die zentralen Aussagen des Vortrages
von Max Fuchs? Klaus-Martin Heinz: Einheitliche Tendenzen in der Bildungs- und
Kulturpolitik stellte Max Fuchs nicht fest; eher sieht er heterogene
Entwicklungen. Einerseits erfährt Kulturelle Bildung einen
nationalen wie internationalen Aufschwung. Darauf deuten unter
anderem nationale Initiativen hin, aber auch der Schlussbericht
der Enquete-Kommission oder die erste UNESCO-Weltkonferenz zur
künstlerischen Bildung in Lissabon. Andererseits sind Schwächen
in der Umsetzung prinzipiell begrüßenswerter Impulse
ebenso wenig zu übersehen wie bildungstheoretische Überlegungen,
die durch eine zu starke Konzentration der Bildungspolitik auf
die durch PISA getesteten Fächer ausgelöst wurden und
zur Marginalisierung künstlerischer Schulfächer führen
könnten.
Aus diesem Szenario erwachsen Aufgaben, zu deren Lösung auch
die Musikbildungsstätten etwas beitragen können: Deutungsangebote
von Kultureller Bildung sollten neu formuliert werden, Kultureinrichtungen
sollten im Schulterschluss neue Professionalität entwickeln,
die Wirkungsweisen Kultureller Bildung müssten erforscht werden.
Die größte Herausforderung stellt die Entwicklung der
Ganztagsschule dar.
nmz: Zurzeit bewegen die arbeitsrechtlichen
Auseinandersetzungen um den Direktor der Bayerischen Musikakademie
Hammelburg, Hermann
Grollmann, die Direktoren und Leiterinnen und Leiter der 24 Musikakademien.
Auch an anderen bayerischen Musikakademien ist die Tendenz zu konstatieren,
dass die pädagogischen und künstlerischen Direktoren
abgeschafft werden. Sind das bayerische Einzelfälle oder bundesweite
Tendenzen? Heinz: Trotz persönlicher Betroffenheit hat sich der Arbeitskreis
in größter Ruhe und Sachlichkeit mit dem Bericht aus
Hammelburg beschäftigt. Vieles, was sich dort ereignet hat,
ist wohl als Einzelerscheinung zu betrachten, aber eben nicht alles!
Die Auseinandersetzung enthält nämlich im Kern auch die
Tendenz, die Personalunion von künstlerisch/pädagogischer
und geschäftlich/administrativer Leitung aufzulösen.
Zwar scheinen sich derartige Pläne derzeit auf Bayern zu begrenzen,
doch sehen die Akademieleitungen Anlass genug, darauf hinzuweisen,
dass der Erfolg der von ihnen geführten Einrichtungen in erster
Linie aus der Verbindung von Tagungs- und eigenem Bildungsbetrieb
resultiert. Daher halten sie die Bündelung von künstlerisch/pädagogischer
und geschäftlich/administrativer Kompetenz in einer einzigen
Person für unverzichtbar.
nmz: Haben Bundes- und Landesakademien die gleichen Ziele?
Welche Akademie-Profile wurden präferiert? Heinz: Auch wenn die Ziele von Bun-des- und Landesmusikakademien
sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden, können Abstimmung
und Koordination das Bildungsangebot insgesamt verbessern. Die
Gründung einer Landesmusikakademie in Wolfenbüttel, seit
1986 bereits Standort einer Bundesakademie, hat diesen Bedarf in
neuer Klarheit aufgedeckt. Dort wollen die Verantwortlichen miteinander
ein schlüssiges Konzept entwickeln. Nach Informationen aus
der Bundesakademie Wolfenbüttel bedürfen aber organisatorische
und bauliche Gegebenheiten noch abschließender Klärung.
Die Mitglieder des Arbeitskreises wollen die Ergebnisse dieses
Abstimmungsprozesses abwarten, bevor sie sich anschließend
ggf. dem Thema erneut zuwenden.
In der Praxis haben sich unterschiedliche Zuständigkeiten
von Bundes- und Landesmusikakademien in den Qualifizierungsmaßnahmen
für das Laienmusizieren bewährt. Nach dem sog. „Pyramidenmodell“ finden
die C-Lehrgänge (z.B. für Chorleitung oder Blasorchesterleitung)
oft an Landesmusikakademien statt, die B-Lehrgänge sind meist
an Bundesakademien angesiedelt. Zu erproben ist, wieweit andere
Bereiche analog strukturiert werden können. Die Zuordnung
spezieller Themen dürfte sich am erfolgreichsten unter Berücksichtigung
räumlicher und finanzieller Ressourcen von Haus zu Haus koordinieren
lassen. Ein bundesweit einheitliches Profil können die Landesmusikakademien
wegen der Unterschiedlichkeit ihrer Einrichtungen und ihres Umfelds
nicht anstreben. Unterschiedliche, aber gleichwertige Profile schließen
Präferenzen aus.
nmz: Welche Kooperationsmöglichkeiten von Musikhochschulen
und Musikbildungsstätten können Sie sich vorstellen?
Wo gibt es Überschneidungen, wo Konkurrenz? Heinz: Heikle Fragen zum jetzigen Zeitpunkt! Die
Antworten können
nur beide Partner in sorgfältiger Beratung miteinander finden.
Daher wünscht der Arbeitskreis, alsbald den Dialog mit den
Hochschulen aufzunehmen. Bei der Vorbereitung darauf wollen die
Musikakademien ihre Idiome herausarbeiten, um den Hochschulen solche
Formen der Zusammenarbeit vorzuschlagen, die beiden Partnern eine
Erweiterung ihrer Wirkungsmöglichkeiten in Aussicht stellt.
Erfahrungen aus einzelnen bereits praktizierten oder bestehenden
Kooperationen werden sicherlich einfließen.
nmz: Was haben Sie für die Jahrestagung 2009 geplant? Heinz: Zum Selbstverständnis der Akademien gehört es,
auf aktuelle Entwicklungen rasch zu reagieren. Daher wird die Jahrestagung
2009 erst gegen Ende dieses Jahres detailliert geplant, obwohl
es bereits Themenvorschläge gibt: Breites Interesse findet
die weitere Entwicklung der Kooperation mit den Musikhochschulen,
auch in Verbindung mit Zertifizierung und Akkreditierung von Bildungsangeboten.
Die von Max Fuchs eingangs genannten Aufgaben stellen eine Herausforderung
dar. Mehrfach hat die Thematik einer Jahrestagung Bezug genommen
auf Besonderheiten der gastgebenden Einrichtung. So könnte
das Treffen vom 16. bis 18. Februar 2009 in der Musikakademie Rheinsberg,
deren Einladung dankend angenommen wurde, wieder einen eigenen
Charakter erhalten.
Auch in diesem Jahr war die Wahl des Tagungsortes kein Zufall:
Die Akademie Remscheid feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges
Bestehen. Bei der Gründung 1958 stand das Musikheim in Frankfurt/Oder
Pate, das bereits 1929 Musik, Tanz und Laienspiel als Ergänzungsausbildung
für Lehrer, Jugendpfleger und andere Zielgruppen verbinden
wollte. Diese Ideen beeinflussen bis heute die Konzeptionen aller
24 Musikbildungsstätten in Deutschland, die dem Arbeitskreis
angehören.