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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 37
57. Jahrgang | April
Bücher
Ein Stück Schönheit, das man mit hinausträgt
Elke Heidenreich und Christian Schuller dokumentieren ihr Projekt „Kölner
Kinderoper“
Elke Heidenreich, Christian Schuller: Das geheime Königreich.
Oper für Kinder, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007,
192 S., € 24,90, ISBN 978-3-462-03959-7
Inmitten der mit Leidenschaft und sichtlicher Freude am Gegenstand
vorgetragenen Beschreibung der Gründung und Entwicklung des
Kölner Kinderopern-Projekts steht dieser in der Überschrift
zitierte Satz in Elke Heidenreichs und Christian Schullers Buch „Das
geheime Königreich“. Er beleuchtet blitzartig das Zentrum
jenes „geheimen Königreichs“ der Oper für
Kinder, von dem das Buch in Bild und Text berichtet. Es ist ein
liebevoll gemachtes Buch mit rund 200 größtenteils farbigen
und großformatigen Abbildungen des Theaterfotografen Klaus
Lefebvre, das die Opulenz und Detailliebe von 20 seit 1996 entstandenen
Inszenierungen nachvollziehbar macht, versehen mit lebendig geschriebenen
Zwischentexten, die knapp und informativ über Komponisten,
Werke und Bearbeitungskonzepte Auskunft geben. Ein Buch, das seine
Leser in den Bann zieht, egal ob es sich um Kinder oder Erwachsene
handelt, und für die Oper für Kinder auf faszinierende
Weise wirbt, die selbst zwischen zwei Buchdeckeln nichts von dem
ihr innewohnenden Zauber verliert. Es war ein Glücksfall,
als 1996 auf Anregung des damaligen Intendanten der Kölner
Oper, Günter Krämer, die Projekt-Idee geboren wurde.
Mit Christian Schuller, damals noch junger Regisseur am Haus und
heute Oberspielleiter, einem tatkräftigen Förderverein,
der opernbegeisterten Elke Heidenreich und dem New Yorker Künstler
und Architekt Mark Beard haben die richtigen kreativen Köpfe
zusammengefunden, um eine damals keineswegs leicht durchsetzbare
Idee zu realisieren. Nur mit Hilfe der großzügigen Finanzspritze
eines japanischen Nahrungsmittelkonzerns konnte die „Kölner
Kinderoper in der Yakult-Halle“, wie sie genannt wurde, etabliert
werden. Dass die Schwierigkeiten der kontinuierlichen Folgefinanzierung
des Projekts in den Anfangsjahren nicht gering gewesen sind, weiß der,
der das Projekt über die Jahre hinweg aufmerksam beobachtet
hat, sehr wohl. Christian Schullers Zähigkeit, sein Erfindungsreichtum
in der Gestaltung des Spielplans und sein Mut, als junger Regisseur
sich einem Genre zu verschreiben, das in den 1990er-Jahren durchaus
nicht lorbeerträchtig war und von der Szene kaum ernst genommen
wurde, sind bis heute Garanten für Erfolg und hohe künstlerische
Qualität. Gemeinsam mit der hoch motivierten und ihre ganze
Popularität in die Waagschale werfenden Elke Heidenreich ist
aus dem „Opernhaus im Opernhaus“ ein vorbildliches
Modell geworden, das später so manches Nachfolgeprojekt an
deutschen und österreichischen Opernhäusern entstehen
ließ.
Mit Heidenreichs/Schullers Buch liegt mehr als die Dokumentation
und Bilanz eines erfolgreichen Projekts vor. Das Buch ist zugleich
Werkstattbericht und an den Beispielen entlang eine wohl dosierte
Einführung in die Gattung Oper. Die mit lockerer Hand geschriebenen
Zwischentexte informieren über die Komponisten, geben musik-
und operngeschichtliche Einordnungen der Werke, beschreiben an
ausgewählten Textbeispielen Bearbeitungskriterien und veranschaulichen
die Inszenierungsarbeit. Dies alles geschieht knapp, aber treffend
und auf höchst unterhaltsame Weise. Den Bildteil begleiten
jeweils Personenverzeichnis und Inhaltsangabe zu den Werken. „Kinderoper
ist nicht ‚klein’“, heißt es im Vorwort
von Elke Heidenreich, „sie ist nur im Sujet, in der Geschichte,
die erzählt wird, dem Niveau der kindlichen Erfahrungswelt
angepasst. Künstlerisch gibt es keine Abstriche oder Kompromisse,
alles könnte auch so im großen Haus laufen.“ Die
Sänger stammen aus dem Opernstudio und dem Ensemble, die maximal
18 Musiker kommen aus dem Gürzenich-Orchester oder der Musikhochschule
Köln. Dieses künstlerische Credo ist ebenfalls sehr eindrucksvoll
im Spielplan der Kölner Kinderoper verwirklicht. Eigentlich
handelt es sich in der Mehrzahl der von Schuller durch unermüdliche
Recherche ausgegrabenen und inszenierten Werke um Opern für
Erwachsene, geschickt bearbeitet, von Elke Heidenreich mit Zwischentexten
ausgestattet und auf das „Kinderopern-Maß“ von
durchschnittlich 60 Minuten gebracht. Das internationale Repertoire
reicht von Richard Wagner („Die Feen“) bis hin zu Gegenwartswerken
von zum Beispiel Robert Chauls oder Jirí Pauer. Klassiker
wie Strawinskys „Le Rossignol“ und Ravels „L’enfant
et les sortilèges“ sind ebenso dabei. Das Repertoire
hat einen beachtenswerten Schwerpunkt in zahlreichen Raritäten
aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Mit Werken aus den
1920er-Jahren wird ein spezielles Kapitel Operngeschichte geschrieben.
Es handelt sich nicht nur um selten aufgeführte, ja vergessene
Werke, die ins Gedächtnis zurückgerufen werden, sondern
zugleich um Komponisten wie Ernst Toch, Wilhelm Grosz, Hans Gál,
Ernst Krenek, Bernhard Sekles, die seit der Machtergreifung der
Nationalsozialisten 1933 verfolgt und aus dem Land gejagt wurden.
Da wird Kinderoper unversehens zum zeitgeschichtlichen Dokument. „Das
geheime Königreich“ enthält auch diese Dimension,
unaufdringlich und ohne erhobenen Zeigefinger. Den Autoren gelingt
in Wort und Bild nicht nur ein schönes und informatives Buch,
das man gerne und mit Genuss liest, sie lassen die 20 Produktionen
lebendig werden und legen nicht zuletzt beredtes Zeugnis dafür
ab, dass Oper für Kinder ein Ereignis von hohem künstlerischem
Rang sein kann – eben „ein Stück Schönheit,
das man mit hinausträgt in sein Leben.“