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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 37
57. Jahrgang | April
Bücher
Verblüffender Klavierpädagoge
Friedrich Wiecks Ausbildungsmethode in neuem Licht
Cathleen Köckritz: Friedrich Wieck. Studien zur Biographie
und zur Klavierpädagogik (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft,
Bd. 44), Georg Olms Verlag, Hildesheim u.a. 2007, 607 S., Abb., €
78,00, ISBN 978-3-487-13194-8
Friedrich Wieck dürfte dem Musikinteressierten, wenn überhaupt,
nur als etwas arg in Verruf geratener Vater Clara Wiecks und böser
Schwiegervater Robert Schumanns ein Begriff sein. Cathleen Köckritz
zeigt mit ihrer Dissertation, dass es sich auch heute noch lohnt,
mehr über Wieck zu erfahren als bloß Anekdotisches.
Wieck begann als Autodidakt, seine später so überaus
erfolgreiche pädagogische Methode beruht fast ausschließlich
auf Lektüre und eigenen Überlegungen.
Köckritz gliedert ihre Arbeit in zwei Teile, von denen der
erste, die fast 300 Seiten starke und mit hunderten von Fußnoten
gespickte biographische Studie, wohl eher den Spezialisten zu fesseln
vermag. Für den Musikpädagogen und -praktiker ungleich
spannender ist der zweite Teil, die Studien zur Klavierpädagogik.
Köckritz gelingt es, die von Wieck selbst niemals konkret
niedergeschriebenen klaviertechnischen Details seiner Ausbildungsmethode
aus unterschiedlichsten Quellen zu rekonstruieren. Wichtigste Bausteine
hierzu sind neben Friedrich Wiecks Aufsätzen und Spruchweisheiten
(die übrigens mitunter erstaunliche Nähe zu Robert Schumanns „Musikalischen
Haus- und Lebensregeln“ zeigen) Klavierübungen, die
seine Kinder Alwin und Marie Wieck nach seinem Tod unabhängig
voneinander herausgegeben haben. Vor allem die von der Forschung
bislang nicht berücksichtigten zwei Klavierschulen Alwin Wiecks
entpuppen sich hierbei als Fundgrube und notierte Gegenstücke
zu den verbalen Aufzeichnungen Friedrich Wiecks. Durch einen großen
Glücksfall hat sich im Zwickauer Robert-Schumann-Haus zudem
ein zweibändiges Manuskript Alwin Wiecks erhalten, das von
Köckritz erstmals ausgewertet, wegen seines erheblichen Umfangs
leider aber nur in Bruchteilen zitiert werden konnte. Es bleibt
zu hoffen, dass eine Herausgabe dieses Manuskripts im Nachgang
zur Arbeit möglich wird.
Der klaviertechnische Teil der Arbeit beginnt mit einer Positionsbestimmung,
um Wiecks methodischen Ort im 19. Jahrhundert präzise einzuordnen.
Im Anschluss daran werden die verschiedenen Kernbestandteile von
Wiecks Konzept herausgearbeitet: Zusammenarbeit mit den Eltern,
elementare Musiklehre, Ausbildung der Anschlagstechnik noch vor
Erwerb der Notenkenntnis, systematische technische Übungen
und Repertoirebildung. Überraschend ist, mit wie wenig täglichen Übungsstunden
Wieck bei seinem Unterricht auskommt, noch verblüffender,
in welch kurzer Zeit er die Prinzipien seines Unterrichts vermitteln
kann. Einen Großteil seiner Schüler und Schülerinnen
unterrichtet er selbst nur wenige Monate. Häufig findet parallel
zu seinem Unterricht anscheinend weiterer Klavierunterricht statt.
Hans von Bülow beispielsweise war 1845/46 Schüler Wiecks,
behielt aber gleichzeitig den Unterricht bei seiner langjährigen
Klavierlehrerin bei, das heißt Wieck bevorzugt eine Arbeitsteilung
und sieht sich selbst in der Rolle eines Vermittlers von klaviertechnischen
und interpretatorischen Grundlagen.
Köckritz bietet darüber hinaus eine Fülle weiterer
klaviertechnischer und pädagogischer Details, man wird regelrecht
erschlagen von Querverweisen und Fußnoten zu zahllosen weiteren
Dokumenten und historischen Parallelen. Es wäre zu wünschen,
dass aus der eher zäh zu lesenden Dissertation ein echtes
Lesebuch erwüchse, entschlackt von allem theoretischen Ballast
und auf das wesentliche konzentriert, die Vermittlung der pädagogischen
Methodik Friedrich Wiecks.