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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 36
57. Jahrgang | April
Rezensionen - DVD
Entdeckungen, Fundstücke
Neue Werkeinführungen und Komponistenporträts auf DVD
Dass der größtmögliche technische Aufwand noch
keine Garantie für perfekte Werkeinführungen auf DVD
bietet, zeigten kürzlich die „Monumente der Klassik“ bei
Arthaus. Eine Nummer kleiner, aber dafür gelungener präsentiert
sich die Serie „Discovering Masterpieces“ bei EuroArts
(Vertrieb: Naxos) in ihren vier aktuellen Lieferungen.
Wie die Monumente-Serie bietet auch sie einerseits das komplette
Stück, hier in konventionell gefilmten Konzertmitschnitten,
andererseits ein Werkporträt mit einem Experten als Präsentator.
Nur im Falle von Bartóks „Konzert für Orchester“ (Bestellnummer
2056098) übernimmt der Dirigent diesen Part gleich mit, und
obwohl Pierre Boulez natürlich ein beredter Interviewpartner
ist, erreicht er nicht die Prägnanz der Wissenschaftler, die
sich bei den anderen Stücken ihre Einführung vorab offenbar
sauber zurecht gelegt haben.
Gemeinsam ist den Werkporträts ein gut rhythmisierter Wechsel
zwischen konkreter musikalischer Beschreibung und schön bebilderten
allgemeinen Hintergrundinformationen zu Komponist und Umfeld. So
kommt über Wulf Konolds Aufschlüsselung des „Chiara“-Themas
(C–H–A–A) aus Schumanns Klavierkonzert (2056068)
die Sprache auf dessen literarische Wurzeln, den Davidsbund und
die Gründung der Neuen Zeitschrift für Musik. Der nahtlose
Zusammenhang der Formbeschreibung leidet darunter etwas, auch die
anfangs herausgestellte Besonderheit des Verhältnisses von
Klavier und Orchester wird nicht weiter verfolgt, dennoch entsteht
ein schlüssiger Gesamteindruck, der bestens auf Martha Argerichs
energiegeladene, hoch individualisierte Interpretation vorbereitet.
Nicht ganz so dicht gelingt die Verschränkung der Informationsebenen
bei Brahms’ Violinkonzert (2056078). Gil Shaham – musikalisch
ein dramatisch zupackender, im Mittelsatz tonlich etwas verkrampfter
Sachwalter des Klassikers – lässt im Gespräch seinem
Enthusiasmus freien Lauf; für die handfesten Fakten sorgt
Wolfgang Sandberger. Schade, dass seiner Erklärung zur Final-Stretta
die falsche Stelle als musikalisches Beispiel folgt.
Stärker auf das Werk selbst ist die Strauss-DVD (2056138)
konzentriert. Habakuk Traber führt am Klavier sehr klar und
nachvollziehbar durch die Programm- und Themenwelt der Alpen-sinfonie
und widerlegt ganz nebenbei manches Vorurteil vom naiven Klangmaler
Strauss. Seitenblicke auf dessen Verhältnis zur Natur, seine
Auseinandersetzung mit Nietzsche oder den Rückbezug auf Beethoven
lenken nie vom Werkverlauf ab, der auch mit eingeblendeten Partiturausschnitten
illustriert wird. Herrlich außerdem der Konzertmitschnitt
mit der Staatskapelle Dresden unter Giuseppe Sinopoli. Auch hier
kann Boulez’ gewiss hochklassige, in der Akustik des Lissaboner
Mosteiro dos Jerónimos aber leicht verschwimmende Darstellung
des Bartók’schen Konzerts (mit den Berliner Philharmonikern)
nicht ganz mithalten.
Unter den Neuveröffentlichungen der verdienstvollen „Juxtapositions“-Serie
(Ideale Audience/Naxos) ragen zwei heraus, denen es gelingt, einiges
von der Persönlichkeit wie von der Faszination zu vermitteln,
die ihr Werk ausstrahlt. So erleben wir, wie Pierre Henry (DVD
9DS43), der unermüdliche Sucher, auf den Straßen unterwegs
ist, um Klänge zu sammeln, die er dann in unnachahmlicher
Weise zu den seinen macht. Zusammengeschnitten, „remixed“,
mit Fundstücken aus der Musikgeschichte verwoben, präsentiert
er sie dann in Hauskonzerten in den eigenen, von wunderlichen Klangerzeugern
vollgestopften vier Wänden oder in großen Sälen,
die er als Herrscher über das Mischpult eigenhändig beschallt.
Archivbilder von Epoche machenden Projekten wie den „Concerts
couchés“ oder der Béjart-Choreografie der „Symphonie
pour un homme seul“ runden das stimmige Porträt ab,
als Bonus gibt es den wunderlichen Gérald-Ozon-Film „Le
Candidat“ von 1966 und eine Wiederaufführung von „Veil
of Orpheus“ (1953) zu sehen.
Beeindruckend auch die Informationsfülle in Olivier Milles
Messiaen-Film (DVD9DS44), der die verschiedenen Aspekte seines
Schaffens schlüssig aufgliedert: von der Omnipräsenz
der Vogelstimmen über die Bedeutung des Rhythmus, die legendären
Analysekurse bis hin zur Orgelmusik. Leicht pathetisch läuft
der Film auf „Saint François d‘Assise“ als
Summe seines Schaffens zu, wie dem Film überhaupt ein wenig
die kritische Distanz fehlt. Um so erfreulicher, dass als Bonus
auch die eine oder andere skeptische, freilich immer bewundernde
Stimme zu hören ist.
Chen Qigang, Messiaens letzter Kompositionsschüler, ist einer
der fünf in dem Film „Broken Silence“ (DVD9DS32)
porträtierten chinesischen Komponisten und gleichzeitig der
interessanteste Gesprächspartner. Ansonsten gelingt es Eline
Flipse nicht, die kompositorischen Eigenarten von ihm, Tan Dun,
Guo Wenjing, Mo Wuping und Qu Xiao-song wirklich plastisch herauzuarbeiten.
Allzuoft werden die Werke als atmosphärische Hintergrundmusik
benutzt, ohne dass klar würde, von wem sie stammen. Wenig überzeugend
auch Frank Scheffers Versuch auf derselben DVD mit „Tea“ die
gleichnamige Oper und ihren Komponisten Tan Dun vorzustellen. Vieles
verbleibt im Vagen schöner, exotischer Bilder.