[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 29
57. Jahrgang | April
Deutscher
Tonkünstler Verband
Sonderbehandlung Künstlersozialversicherung?
Offener Brief des DTKV an den Deutschen Industrie- und Handelskammertag
Im Juni des vergangenen Jahres trat die dritte Gesetzesnovelle
zum Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) in Kraft. Zur
Erinnerung: Freiberufliche Künstler und Publizisten, die über
die Künstlersozialkasse (KSK) bei ihrer gesetzlichen oder
privaten Krankenkasse versichert sind, müssen nur die Hälfte
des normalen Satzes zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung
zahlen. Die andere Hälfte übernehmen der Bund und die
Unternehmen, die Dienste freiberuflicher Künstler oder Publizisten
in Anspruch nehmen. Diesen Anteil leisten die Unternehmen in Form
der Künstlersozialabgabe, die derzeit 4,9 Prozent jedes gezahlten
Honorars beträgt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die honorierten
Künstler selbst über die Künstlersozialkasse versichert
sind oder nicht.
Aufgrund der Situation am Arbeitsmarkt hat die Zahl der freiberuflichen
Künstler und Publizisten in den letzten fünfzehn Jahren
stark zugenommen, die Künstlersozialkasse zählt derzeit
rund 160.000 Versicherte. Damit einher ging auch eine Erhöhung
der Künstlersozialabgabe für die Unternehmen. Denn die
Zahl der Betriebe, die korrekt Künstlersozialabgabe leisten,
hatte sich im Vergleich zu den Zahlen der Versicherten kaum erhöht.
Viele Betriebe und Unternehmen sind sich immer noch nicht bewusst,
dass sie auf das Honorar für die Arbeit freiberuflicher Künstler
oder Publizisten, etwa bei der Erstellung einer Website oder dem
Verfassen von Werbetexten, zusätzlich Künstlersozialabgabe
leisten müssen. Ein besonders eindrückliches Beispiel
hierfür lieferte der private Fernsehsender RTL, der im Herbst
2007 dazu verpflichtet wurde, rund 173.000,- e Künstlersozialabgabe
nachzuzahlen. Grund: Dieter Bohlen, der in der Jury bei „Deutschland
sucht den Superstar“ saß, galt dem Kölner Sozialgericht
als Künstler. Wieder andere Unternehmen haben die Abgabepflicht
bisher einfach ignoriert.
Seit Mitte vergangenen Jahres darf sich daher die eher kleine
Abteilung Künstlersozialkasse bei der Erfassung abgabepflichtiger Unternehmen
von der personell weit besser ausgestatteten Deutschen Rentenversicherung
Bund unterstützen lassen. Die – mittlerweile ebenfalls
verstärkte – Überprüfung der Versicherten
bleibt weiterhin Sache der KSK.
Die deutlich gestiegene Zahl der seither überprüften
Unternehmen zeigt, dass die Novelle des Künstlersozialversicherungsgesetzes
greift. Die Reaktion der Betroffenen ließ nicht lange auf
sich warten: In einem Schreiben vom 26. November 2007 an Staatssekretär
Heinrich Tiemann im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
protestierte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag e.V.
(DIHK), vertreten durch seinen Stellvertretenden Hauptgeschäftsführer
Dr. Achim Dercks, gegen die Belastung der erstmals als abgabepflichtig
erfassten Unternehmen durch die Künstlersozialabgabe. Besonders
die rückwirkenden Forderungen, die sich auf die letzten fünf
Jahre erstrecken, seien unzumutbar. Außerdem sei nicht einzusehen,
dass die Abgabe auch für die Honorare anfalle, die an nicht über
die KSK versicherte Künstler oder Publizisten gezahlt werden.
Allgemein sei das 1983 in Kraft getretene Künstlersozialversicherungsgesetz
als Sonderbehandlung von Künstlern und Publizisten im Vergleich
zu anderen Selbständigen zu sehen; im Übrigen erfordere
seine Umsetzung einen immensen Verwaltungsaufwand.
Für die Versicherten stellt sich die Situation anders dar:
Ein Dieter Bohlen gehört zweifellos zu den Spitzenverdienern.
Doch die Mehrzahl der freiberuflich tätigen Künstler
und Publizisten verdient – wie auch im Bericht der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ vermerkt – unterhalb des durchschnittlichen
Einkommens.
Das Präsidium des Deutschen Tonkünstlerverbandes hat
daher ein Offenes Schreiben an die Adresse des Deutschen Industrie-
und Handelskammertages verfasst, das wir im Folgenden abdrucken.
Ines Stricker
Donnerstag, 14. Februar 2008
Sehr geehrter Dr. Dercks,
mit Besorgnis hat der Deutsche Tonkünstlerverband e.V. (DTKV)
die Stellungnahme des DIHK zu den aktuellen Entwicklungen in der
Künstlersozialversicherung vom November 2007 zur Kenntnis
genommen. In Ihrem Schreiben an Staatssekretär Heinrich Tiemann
im Bundesministerium für Arbeit und Soziales heißt
es unter anderem:
„Die Wirtschaft hat generell seit langem ordnungspolitische
Bedenken bezüglich der Konstruktion der Künstlersozialversicherung
(KSV). Die Sonderbehandlung und Bevorzugung einer bestimmten Gruppe
von Selbständigen gegenüber denjenigen Selbständigen,
die ihre Sozialversicherungsbeiträge alleine aufbringen müssen,
ist nicht zu begründen.“
Der Deutsche Tonkünstlerverband als ältester und größter
Berufsverband für Musiker mit rund 7.000 Mitgliedern in 16
Landesverbänden vertritt die Interessen u.a. von freiberuflichen
Inter-preten, Komponisten und Musikpädagogen.
Im Zusammenhang mit dem Künstlersozialversicherungsgesetz
weisen wir zum einen darauf hin, dass die Industrie zunehmend mit
den Angehörigen kreativer Berufe zusammenarbeitet. Ihr mediales
Erscheinungsbild wird durch deren Arbeit maßgeblich geprägt.
Zum anderen nimmt gerade in diesem kreativen und in besonderem
Maße auch im musikalischen Arbeitsumfeld die Zahl der Freiberuflichen
in den letzten Jahren zu, hauptsächlich verursacht durch die
Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Die Künstlersozialversicherung
ist besonders unter diesen Gesichtspunkten nicht als Sonderbehandlung
oder Bevorzugung zu verstehen, sie räumt den Versicherten
lediglich ähnliche Rechte wie Arbeitnehmern ein.
Ihre Forderung, Künstlersozialabgabe nur auf die Honorare
von KSK-Angehörigen zu zahlen, würde sich für diese
auf dem freien Markt nachteilig auswirken. Die Künstlersozialabgabe
ist als solidarische Umlagefinanzierung gedacht. Außerdem
führt gerade eine – durch die Neuregelung des Künstlersozialversicherungsgesetzes
garantierte – verstärkte Überprüfung der Abgabepflicht
von Verwertern zu höherer Abgabegerechtigkeit einerseits und
zu niedrigeren Abgabesätzen für die betroffenen Unternehmen
andererseits. Es sollte in Ihrem Interesse sein, eine solche verringerte
Beitragslast für die von Ihnen vertretenen Betriebe zu fördern.
Auch könnte ein Erlass rückwirkender Abgabezahlungen
für berechtigten Unmut bei den Betrieben sorgen, die die Abgabe
bisher ordnungsgemäß entrichtet haben. Des Weiteren
würde eine Unterscheidung von Künstlern nach KSK-Zugehörigkeit
nach unserem Dafürhalten den von Ihnen monierten bürokratischen
Aufwand eher erhöhen als verringern.
Der Deutsche Tonkünstlerverband unterstützt in seiner
Eigenschaft als Vertreter freiberuflicher Musiker daher ausdrücklich
den Einsatz der Prüfdienste der Deutschen Rentenversicherung
Bund zur Erfassung von Abgabepflichtigen in der Künstlersozialversicherung.
Wir bitten Sie, Ihre diesbezügliche Position noch einmal zu überprüfen.