nmz 2008/04 | Seite 31
57. Jahrgang | April
Bayerische Musikschulen
Beim Singen hängt alles an der Ausbildung
Neuer Lehrgang nimmt sich der Stimme von Pädagogen an – Interview
mit Karl Zepnik
Es ist nicht zuletzt ein pädagogisches Problem, dass Grundschulkinder
kaum oder gar nicht singen. So hat es Karl Zepnik (49), künstlerischer
Leiter der Musikakademie Marktoberdorf, in 26 Berufsjahren erlebt.
Mit 23 wurde der staatlich ausgebildete Gesangspädagoge Deutschlands
jüngster Musikschulleiter an der Städtischen Sing- und
Musikschule Landsberg am Lech. Nun hat er ein bundesweit neuartiges
Konzept für eine berufsbegleitende Weiterbildung speziell
für Grund- und Musikschullehrkräfte entwickelt und im
vergangenen Herbst den ersten Lehrgang dazu gestartet. Für
die Dauer von zwei Jahren mit monatlichen Kurstagen erhalten die
Teilnehmer ein praktisches Motivationstraining zur Gesangsvermittlung
im musikalischen Grundausbildungsbereich. Das erklärt auch
die Überschrift „Lehrer singen – Kinder klingen“,
die das schrittweise pädagogische Vorgehen ausdrücken
soll. So ist die eigene Stimme des Musiklehrers das Fundament für
eine gesunde Kinderstimmbildung. Warum die kindgerechte Gesangsausbildung
für Pädagogen so wichtig ist und wieso dazu ein neues
Lehrgangsmodell notwendig wurde, erläuterte Karl Zepnik in einem Gespräch
mit dem VBSM.
VBSM: Musikpädagogen und Bildungspolitiker sind sich einig:
Das Singen ist für die Persönlichkeitsentwicklung und
emotionale Prägung des Kindes elementar. Gleichzeitig verfolgen
sie mit Sorge, wie das Singen in der Schule mehr und mehr vernachlässigt
wird. Worin liegen Ihrer Meinung nach die Ursachen? Karl Zepnik: Die Kinder wachsen heutzutage in
ihren Familien ohne zu singen auf. In Kindergarten und Grundschule
singen sie zumeist
ohne fachlich fundierte Anleitung. Das ist häufig ein pädagogisches
Problem. Der Normalfall an einer Grundschule ist, dass dort 70
Prozent der Lehrer zum Musikunterricht eingeteilt werden, ohne
jemals zuvor eine Musikstunde gehalten zu haben. Viele von Ihnen
sind während ihres Studiums gar nicht erst mit Musikpädagogik
in Berührung gekommen. Häufig wird im Musikunterricht
dann einfach eine CD eingelegt oder die Stunde wird für andere
Fächer zweckentfremdet.
VBSM: Wenn sich Musikerzieher einig
sind, dass man in den Schulen mehr zum praktischen Musizieren übergehen und weniger Gewicht
auf die Reflexion über Musik legen sollte, wie soll das ohne
entsprechende Ausbildung gelingen? Welchen Lösungsweg gibt
es? Zepnik: Es geht nur über den Weg der Weiterqualifizierung.
Als ich nach meinem Gesangsstudium die ersten Konzerte gesungen
habe und als Lehrer in die Singklasse der Musikschule kam, war
ich erstaunt, wie verdutzt mich die Kinder angeschaut haben. So
habe ich schnell gemerkt, dass das, was ich als Sänger studiert
habe, für die Kinder nicht direkt anwendbar ist.
VBSM: Was braucht man zur richtigen
Stimmförderung für
Kinder? Zepnik: Entscheidend ist, dass sich die Lehrkraft
darüber
im Klaren ist, welche enorme Wirkung das Vorsingen auf die Kinder
hat. Mag er auch noch so viel erklären - wenn er falsch vorsingt,
kommt auch nicht das Richtige zurück. Die beste Literatur
spielt keine Rolle, wenn der Lehrer sie nicht kindgerecht zu singen
vermag.
VBSM: Kindgerecht bedeutet? Zepnik: Leichter und schlanker singen, mit Randschwingungen
und mehr Obertönen. Es geht darum, ein Tongefühl für
die Kinderstimme zu entwickeln. Denn das Kind nimmt naturgemäß alles
auf und macht nach. Ein Lehrer mit tiefer Bassstimme muss sehr
genau wissen, wie er seine Stimme einsetzt, damit sie dem Kind
natürlich vorkommt und es nicht die dunkle Tonfarbe nachahmt.
Denn dadurch würde das Kind seine Stimme unbewusst verstellen. VBSM: Welche Folgewirkungen hätte das auf die Singstimme?
Zepnik: Die natürliche Stimme des Kindes könnte sich
nicht richtig entwickeln, da das Kind nicht lernt, mit seiner Stimme
gesund umzugehen – eine grundlegende Voraussetzung für
die dauerhafte Freude am Singen. VBSM: Ein Lehrgangsziel heißt auch, dass Musikschullehrkräfte
motiviert werden sollen, den Gesangsanteil in ihren Unterrichten
auszubauen. Wird in Musikschulen zu wenig gesungen?
Zepnik: An 67 von insgesamt 215
Musikschulen in Bayern gibt es Singklassen. Die Zahl ist durchaus
steigerungsfähig. Immerhin
sind die Singklassen eine wichtige Vorbereitung für den Vokal-
und Instrumentalunterricht. Kindern fällt das Üben leichter,
wenn sie Melodien, die sie auf dem Instrument spielen, auch singen
können. Mein übergreifendes Ziel war, die Fortbildung
sowohl für Grundschullehrkräfte als auch für Musikschullehrer
auszurichten. Schließlich geht es um alle Kinder, für
die wir das Singen als selbstverständlichen Bestandteil im
täglichen Leben verankern wollen.
VBSM: Wer oder was waren die Taufpaten
für den Lehrgang? Zepnik: Das Lehrgangskonzept habe ich aufgrund
einer eintägigen
Großveranstaltung im Regierungsbezirk Schwaben mit dem Titel „Mein
Lehrer singt“ entwickelt. Die Schulämter haben diese
Veranstaltung gemeinsam mit dem Chorverband Bayerisch-Schwaben
durchgeführt. Und dort wurde der Wunsch nach Weiterqualifizierung
laut.
VBSM: Der Lehrgang ist auf zwei
Jahre angelegt. Ist diese Dauer notwendig? Zepnik: Ja, unbedingt. Der Lehrgang bietet keine
Rezepte zur Schnellanwendung. Ein Wochenende ist zu kurz, um das
Singen zu lernen. Es bedarf
eines langen Zeitraums, die Stimme zu formen und zu richten. Deshalb
finden die praktischen Übungen monatlich statt. Dazwischen
bekommen die Teilnehmer Hausaufgaben wie zum Beispiel verschiedene
Stimmbildungs-übungen. Optimal wäre natürlich, wenn
die Teilnehmer täglich üben. VBSM: Wie werden die Teilnehmer betreut?
Zepnik: Drei Dozenten kümmern sich um 45 Teilnehmer in abwechselnd
großen und kleinen Gruppen. Zu Beginn musste jeder einzeln
vorsingen, so konnten wir uns ein Bild über den Stand der
Teilnehmer machen. Erstaunlich, welche Niveauunterschiede dabei
festzustellen waren. Das reichte vom absoluten Anfänger bis
zum solistischen Können.
VBSM: Wie viele der Teilnehmer
sind Musikschullehrkräfte? Zepnik: Im Kurs sind 12 Teilnehmer aus Musikschulen,
31 Grundschullehrkräfte
und drei Mitglieder aus dem Chorverband Bayerisch-Schwaben.
VBSM: Wird es auch in anderen Regierungsbezirken
ein solches Lehrgangsangebot
geben? Zepnik: Dieser erste Lehrgang ist ein Pilotprojekt.
Die Regierung von Schwaben gab den Grundschullehrern eigens unterrichtsfrei
für
die Kurstage, die unter der Woche stattfinden. Der Lehrgang wird
dokumentiert, so dass das Konzept mit praktischen Erfahrungswerten
ergänzt und auch in anderen Regierungsbezirken angewendet
werden kann.
VBSM: Wie wird der Kurs finanziert? Zepnik: Für die Teilnehmer ist der Lehrgang kostenfrei. Die
Finanzierung teilen sich die Musikakademie Marktoberdorf, der Regierungsbezirk
Schwaben, der Chorverband Bayerisch-Schwaben und der Verband Bayerischer
Sing- und Musikschulen.
VBSM: Das Bestreben nach Grundmusikalisierung
möglichst vieler
Kinder an den allgemein bildenden Schulen ist aktueller denn je.
Ob Gruppenunterricht, Klassenmusizieren, Nachmittagsangebote oder
Großprojekte wie „Jedem Kind ein Instrument“ in
Nordrhein-Westfalen – es gibt eine große Bandbreite
an Herausforderungen für qualifiziertes Personal. Welche Einsatzgebiete
ergeben sich für die Teilnehmer Ihres Lehrgangs? Zepnik: Während es beim nordrhein-westfälischen Projekt
heißt: „Jedem Kind ein Instrument“, behaupte
ich, dass jedes Kind bereits ein Instrument hat – nämlich
seine Stimme – und damit auch die Chance, es einzusetzen.
Mein Ziel ist, dass die Lehrer nach dem zweijährigen Lehrgang
die Befähigung haben, eine Chorklasse zu leiten. Damit könnte
man den regulären Musikunterricht gestalten.
VBSM: Das wollen auch Bläser- und Streicherklassenleiter. Zepnik: Gut so. Beim Klassenmusizieren gibt es
keinen Wettbewerb. Alles musikalisch Fundamentale lernen die Kinder
beim Singen; es
ist die Vorbereitung fürs Instrument. Chorklassen, die im
ersten bis dritten Grundschuljahr stattfinden, würden den
Instrumentalfächern sozusagen „zuarbeiten“. Das
Kind hätte danach die Entscheidung, ob es lieber ein Instrument
lernt oder beim Singen bleibt. In jedem Fall wäre es musikalisch
gut vorgebildet. Im Übrigen kommt eine Chorklasse finanziell
günstiger als das Klassenmusizieren mit Instrumenten.
VBSM: Die Erfahrung in den Musikschulen
zeigt, dass viele Jugendliche im Teenageralter mit dem Singen aufhören. Wenn man sich in
Chorvereinen der Laienverbände umschaut, entdeckt man fast
ausschließlich Sänger im Alter von „40 plus“.
Wie kann die Lücke zwischen 14 und 40 Ihrer Meinung nach geschlossen
werden? Zepnik: Es stimmt, die Chorverbände sind fast alle überaltert.
Daher können die Chorklassen auch dazu beitragen, den Nachwuchs
für die Chorszene der Laienmusik zu bilden. Wer reformieren
will, muss unten anfangen. Aber richtig ist, dass Jugendliche ab
einem gewissen Alter nur schwer fürs Chorsingen zu begeistern
sind. Meine Erfahrung zeigt, dass die jungen Leute musikalisch
etwas leisten wollen. Dazu brauchen sie die richtigen Vorbilder.
Das sind Chorleiter, die die Sprache und Bedürfnisse der Jugend
verstehen und sie entsprechend anleiten und motivieren können.
VBSM: Es geht also auch hier wieder
um die gesangspädagogische
Ausbildung … Zepnik: … ja, beim Singen hängt nun mal alles an der
Ausbildung. Wenn sich dieses pädagogische Fundament in Schieflage
befindet, werden wir das Singen gewiss nicht fördern können.
Mit dem Lehrgang haben wir einen Anfang gemacht; mit dem Kultusministerium
stehen wir in engem Kontakt, die Schulämter sind aufgeschlossen.
Ich bin zuversichtlich, dass wir schon bald möglichst viele
Lehrgänge in Bayern etablieren werden.