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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 37-38
57. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Eigener
Doppelgänger
Neue Werke des Komponisten Peter Eötvös
„Double“ war der Titel eines „Musik der Zeit“-Festivals
beim Westdeutschen Rundfunk Köln. Anhand von eigens für
diesen Anlass geschriebenen Stücken und auch von bereits vorliegenden
Werken wurde ein genauer Blick auf neue Komponierästhetiken
gerichtet, die sich mit Begriffen wie Wucherung, Vernetzung, Umschreibung,
De-und Rekomposition klassifizieren lassen. Über die Veranstaltung
haben wir ausführlich in der neuen musikzeitung (Ausgabe 12/2007)
berichtet. Der Komponist Peter Eötvös war zwar beim Kölner „Double“ nicht
vertreten, hätte aber mit seinen jüngsten Schöpfungen
perfekt das komplexe Thema noch um Begriffe wie Neuansatz oder
Fortsetzung erweitert. In Lyon, Köln und Frankfurt gab es
dazu spannende Eötvös-Begegnungen.
Komponist,
Lehrer, Dirigent: Peter Eötvös studierte beim
Ensemble Modern in Frankfurt eigene Werke ein. Alle Fotos:
Charlotte Oswald
Bei den Donaueschinger Musiktagen 1999 wurde ein halbszenisches
Werk von Peter Eötvös uraufgeführt: „As I
crossed a bridge of dreams“, auf Tagebuchnotizen einer japanischen
Hofdame aus dem frühen elften Jahrhundert basierend, ausgespannt
zwischen Traum und Wirklichkeit. Peter Eötvös erfand
dazu eine luzid klingende Musik voller Ruhe und Schönheit,
suggestiv in ihrer geheimnisvollen Stille. Die englische Schauspielerin
Claire Bloom sprach die ins Englische übersetzten Texte, sie
dialogisierte mit einer Posaune, die
Mike Svoboda spielte, sozusagen als schattenhaftes instrumentales
Alter Ego der Hofdame. Auch ein Kontrabass wirkte noch als Spielpartner
mit. Alles war auf der Bühne hinter einem transparenten Vorhang
angesiedelt, magisch erschienen immer wieder Figuren, wie in einer
tiefenpsychologischen Spiegelwelt, ein Sousaphon mit erleuchtetem
Schalltrichter fungierte als „Mondgänger“. Eötvös
schuf mit dem Werk ein facettenreiches „Klangtheater“ voller
magischer Bilder und Klänge, die von einem kleinen Instrumentalensemble
ausgingen.
Jetzt ist aus der subtil skizzierten „Überquerung der
Traum-Brücke“ eine richtige Oper geworden, wenn auch
noch in den Dimensionen einer größeren Kammeroper mit
rund vierzig Instrumentalisten im Orchestergraben. Aus dem ursprünglichen
Dreiviertelstünder wurde dabei ein Achtzigminutenstück,
das zudem den griffigen Titel „Lady Sarashina“ (so
hieß die Hofdame) erhielt. Die Lady darf jetzt auch singen – Mireille
Delunsch verwandelte das fragile Geschöpf in eine Operndiva,
was wohl nicht ganz dem Vorbild entsprechen dürfte. Das instrumentale
Theater auf der Szene ist auch verschwunden und damit ein großer ästhetischer
Reiz. Stattdessen umgibt ein „Trio Vocal“ in mehrfachen
Figurierungen die Hofdame, was von den Sängerinnen Ilse Eerens
und Salome Kammer sowie vom Bariton Peter Bording gesanglich und
darstellerisch mit bemerkenswerter Präsenz gestaltet wurde.
Mit ruhigen Bewegungen und knappen Gesten durchschreiten sie die
Szenen, die so poetische Titel wie „Frühling“, „Mond“, „Spiegeltraum“, „Pilgerfahrt“, „Traum
mit der Katze“, „Dunkle Nacht“ oder „Erinnerung“ tragen.
Ein japanisches Inszenierungsteam mit Ushio Amagatsu (Regie und
Choreographie), Natsuyuki Nakanishi (Bühnenbild) und Masatomo
Ota (Kostüme, Masken)
suggerierte auf diskrete Manier authentische japanische Theaterästhetik:
Die Bühne wird streng in vier Felder unterteilt, eine schlanke Stelenkonstruktion
setzt den optischen Akzent, im Hintergrund bewegen sich zwei große leuchtende
Kreisringe wie Monde am Himmel. Mit einer Couleur locale à la „Madame
Butterfly“ hatte diese Optik nichts gemein Sie korrespondiert vielmehr
mit Eötvös' Musik,
die sehr sensibel und klanglich hoch differenziert sich in die Szenen zwischen
Traum und Realität hineintastet, sanfte Bläserakzente setzt, die
Streicher behutsam führt, selbst das reich besetzte Schlagwerk oft eher
zurücknimmt. Kein opulentes Schwelgen überspielt die szenische Aktion,
eher führt die Musik einen kultivierten Dialog mit der Bühne. Von
der kompositorischen Griffigkeit der ersten „Sarashina“-Darstellung
ist allerdings in der neuen Oper nicht mehr viel zu spüren, und Peter
Eötvös als sein eigener Dirigent unternahm mit dem klangsüchtig
spielenden Lyoner Opernorchester auch nichts, um Erinnerungen an die erste
Fassung zu wecken. „Lady Sarashina“ ist eine autonome zweite Fassung
des Stoffes, die sicher gute Chancen hat, ähnlich wie Eötvös'
Tschechow-Oper „Drei Schwestern“ ins normale Opernrepertoire aufgenommen
zu werden. Doch sollten ambitionierte Operntheater mit einer Studiobühne
auch nicht die „Traumbrücke“ vergessen. Sie besitzt ihre eigene ästhetische
Qualität.
Während Peter Eötvös an der Lyoner Oper noch die
Vorstellungen seiner „Lady Sarashina“ dirigierte, wurde
in der Kölner Philharmonie
sein Konzert für zwei Klaviere und Orchester uraufgeführt. Auch
dieses Konzert, dem großen Vorbild Béla Bartók gewidmet,
besitzt beim Komponisten einen Vorläufer: das „CAP-CO“ – Concerto
for Acoustic Piano, Keyboard and Orchestra, das als „Sonata
per sei“ für zwei Klaviere, Sampler-Keyboard und drei
Schlagzeuge (2006) in einer verkleinerten Fassung direkt auf Bartóks
Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug Bezug nimmt. Die „Sonata
per sei“ konnte man unmittelbar nach dem Kölner Klavierkonzert
in der Alten Oper Frankfurt in einem von Peter Eötvös
geleiteten Konzert des Ensemble Modern in einer perfekten, atemberaubend
vital-expressiven Darstellung erleben, mit den Pianisten Ueli Wiget
und Jürgen Kruse sowie den Schlagzeugern Rainer Römer,
Rumi Ogawa und Boris Müller. In diesem Werk ist das Keyboard
an den „normalen“ Konzertflügel gleichsam wie
ein Beiboot angeschlossen. Dabei entstehen zahlreiche begleitende
Töne, sodass sich insgesamt ein breiteres, farbiges Klangspektrum
einstellt. Die Anregung zu dieser Parallelschaltung von Klavier
und Keyboard erhielt Eötvös wiederum aus Bartóks
Partituren, vor allem der Klavierkonzerte, in denen er die oft
vorkommenden „parallelen Läufe“ einzelner Instrumente
im Orchestersatz konstatierte.
Rückkehr zum traditionellen Instrumentarium
Im „Konzert für zwei Klaviere und Orchester“ kehrt
Eötvös wieder zum traditionellen Instrumentarium zurück.
Er gewinnt dadurch in der instrumentalen Vielfalt einige klangfarbliche
Reize gegenüber der Keyboard-Version, gleichwohl wirkt die
Komposition auf eine seltsam-rätselhafte Weise konventioneller:
eben wie ein Klavierkonzert aus der guten Tradition. Und das wäre
womöglich noch stärker in Erscheinung getreten, wenn
nicht das Klavierduo Andreas Grau und Götz Schumacher die
fünf Sätze, vier schnelle und den wunderbar entspannten
langsamen vierten Satz, ebenso virtuos wie streng gemeißelt
gespielt hätten, in perfekter Interaktion mit den Schlagwerkern
und Instrumentalisten des WDR-Sinfonieorchesters Köln unter
Stefan Asbury.
Theatralisch-plastische Beredtheit
Was aber in beiden Versionen des Konzerts identisch ist: Eötvös’ Fähigkeit,
in den komponierten Bewegungen und Gesten, im Zusammenführen
klangfarblicher Kontraste, im Wechsel von Anspannung und weit ausschwingender
Entspannung wie im vierten Satz, so etwas wie eine theatralisch-plastische
Beredtheit zu erzielen: „Meine Musik ist Theatermusik“,
sagte der Komponist einmal dazu. Man hört es in jedem Takt.
Auch in dem neuen „Octet“, das im Frankfurter Konzert
uraufgeführt wurde. Gesetzt für Flöte, Klarinette,
zwei Fagotte, zwei Trompeten und zwei Posaunen, ist es Karlheinz
Stockhausen gewidmet, bei dem Eötvös längere Zeit
als Pianist und Schlagzeuger in dessen Ensemble gearbeitet hat.
Auch für dieses Werk gibt es einen zurückliegenden Ausgangspunkt:
Samuel Becketts Hörspiel „Embers“ aus dem Jahr
1959 hat Eötvös schon einmal musikalisch dargestellt
in seiner Komposition „Now, Miss!“ für Violine,
Synthesizer und Tonband: Ein alter Mann, eine Art ferner Verwandter
von Hemingways berühmter Figur, denkt am Meer über sein
Leben nach, versucht das Wellengeräusch mit einem halblauten
Selbstgespräch zu überlagern. Eötvös’ Komposition
nimmt den oft kürzelhaften, gestoßenen Tonfall des Beckett-Textes
auf, die acht Blasinstrumente werden dabei höchst beweglich
und pointiert eingesetzt: als Klangrede. Es gibt auch schon die
Fassung „Octet Plus“, in der eine Sopranstimme Textteile
aus Becketts Hörspiel in die Instrumentalstruktur einbringt.
In der Partitur von „Octet“ sind diese Sopranpassagen
schon, drucktechnisch abgesetzt, auskomponiert. Die nächste
Eötvös-Uraufführung wird also nicht lange auf sich
warten lassen. Peter Eötvös ist nicht nur einer der fleißigsten
und produktivsten Komponisten der Gegenwart, sondern auch einer
der spannendsten, weil er mit jedem neuen Werk auf Erkundungsreise
geht.