nmz 2008/05 | Seite 2
57. Jahrgang | Mai
Personalia
Personalia
Die neue musikzeitung hat ihre interaktiven Tätigkeiten ausgeweitet.
Mit dem Kulturinformationszentrum
stellen wir die engagierte Diskussion in das Zentrum der Aktivitäten
im Netz. An dieser Stelle können Fragen gestellt, Informationen
verbreitet und die Arbeiten anderer kultureller Initiativen zur
Darstellung gebracht werden.
Breitkopf & Härtel: Musikgeschichte als Familiensaga
Seit 1962 in der Geschäftsleitung: zum achtzigsten Geburtstag der Musikverlegerin
Lieselotte Sievers
Man liest es nicht ohne andächtige Bewunderung: Da wird vor fast dreihundert
Jahren, in der Zeit Bachs, ein Musikverlag gegründet, den ein Gottfried
Christoph Härtel 1796 von einem gewissen Christoph Gottlob Breitkopf erwirbt – und
dann ist da noch eine Urururenkelin des Gottfried Christoph Härtel, die
1928 in Leipzig als dritte Tochter eines Hellmuth von Hase das Licht der Welt
erblickte und jetzt am 18. April 2008 ihren achtzigsten Geburtstag feiern konnte:
Lieselotte Sievers, geborene von Hase, gehört seit 1962 zur Geschäftsleitung
des traditionsreichen Musikverlags Breitkopf und Härtel, von 1979 an bis
heute ist sie zusammen mit Gottfried Möckel Geschäftsführende
Gesellschafterin des Verlages. Während ihr Vater (auf unserem Foto im Bild)
nach der Zerstörung und dem Verlust des Leipziger Stammhauses 1945 in Wiesbaden
den Wiederaufbau vorantrieb, studierte Lieselotte von Hase in Freiburg Violine
und Musikpädagogik, ließ sich danach zur Musikalienhändlerin
ausbilden, reiste viel ins Ausland und trat 1951 in den Verlag ein. Sie heiratete
den Verlagslektor Gerd Sievers und kümmerte sich vor allem um die Bereiche
Vertrieb, Werbung und Urheberrecht. In den Fachausschüssen des Deutschen
Musikverleger-Verbandes schätzt man ihre Kompetenz. Was aber für eine
Musikverlegerin neben dem arbeitsreichen Tagesgeschäft am wichtigsten sein
dürfte, das hat sich Lieselotte Sievers unverändert bewahrt: Liebe
zur Musik, Neugier für alles, was junge Komponisten heute so komponieren,
kritische Anteilnahme am allgemeinen Musikbetrieb, wozu auch die Freuden und
Nöte eines Musikverlages gehören. Wenn man die unverändert jung
und mädchenhaft wirkende Lieselotte Sievers in Oper, Konzert oder auf Festivals
trifft, weiß man, dass es stimmt: Musik hält jung. gr
Eigenständige Musik schreiben und an deren Realisierung
mitwirken
Die Komponisten-Förderpreise der Ernst von Siemens Musikstiftung gingen
an Dieter Ammann, Márton Illés und Wolfram Schurig Wie jedes Jahr vergab die Ernst von Siemens Musikstiftung
auch diesmal neben dem Hauptpreis Förderpreise an jüngere
Komponisten (je 40.000 Euro, insgesamt konnten 2,1 Millionen Euro
für diese Komponistenpreise und etwa 60 weitere Projekte vergeben
werden). Dieses Jahr wählte die Jury den Schweizer Dieter
Ammann (geb. 1962, Foto: links, alle Fotos: www.dashuber.de), den Österreicher
Wolfram Schurig (geb. 1967, Foto: rechts) und den Ungarn Márton
Illés (geb. 1975, Foto: Mitte) aus. Alle drei Komponisten
sind in Kreisen der zeitgenössischen Musik gut bekannt. Gewiss
würdigte man auch neben dem kompositorischen Schaffen den
Einsatz aller drei Musiker auf organisatorischem oder interpretatorischem
Gebiet. So kommt Dieter Amman ursprünglich aus der Jazz-Szene,
in der er als Multiinstrumentalist (Trompete, Klavier/Keyboard,
Bass) kreativ mitwirkte. Die Erfahrungen hat er in sein kompositorisches
Arbeiten eingebracht. Der Rihm-Schüler Márton Illés,
der heute in Karlsruhe lebt, hat 2006 ein eigenes Kammermusikensemble
gegründet, in dem er als Pianist oder auch als Dirigent
mitwirkt.
Und Wolfram Schurig ist auf organisatorischem Gebiet hauptsächlich durch
das von ihm 1995 gegründete und geleitete, herrlich unkonventionelle Festival „bludenzer
tage zeitgemäßer musik“ an die Öffentlichkeit getreten.
Musik auf ganz eigenständige Art schreiben und zugleich an ihren Realisationsmöglichkeiten
mitwirken – dieser Doppelaspekt hat in diesem Jahr wohl die Juryentscheidung
wesentlich mitbestimmt. rs
Jazz- und Big-Band-Geschichte geschrieben
Der langjährige Leiter der NDR Bigband Dieter Glawischnig geht in den
Ruhestand
„… diese Band ist einfach fabelhaft!“, so das Urteil Al Jarreaus
nach der Zusammenarbeit mit der NDR Bigband 2007. „Einfach fabelhaft“,
so sicher auch sein Urteil über ihren langjährigen Leiter Dieter Glawischnig,
der sich im Sommer 2008 nach 27-jähriger Tätigkeit beim NDR in den
Ruhestand verabschieden wird. Neben der Bewahrung der Bigband vor dem drohenden
Aus in den 80er-Jahren ist es zweifelsohne ihm zu verdanken, dass das Orchester
sich in den letzten Jahren an die Spitze der Big-Band-Kultur Europas gespielt
hat.
Mit zum Teil ungewöhnlichen Projekten, wie mit Musik von Jimi Hendrix
oder Michael Gibbs und mit seinen Ernst-Jandl-Vertonungen habe Glawischnig
im Bereich „Jazz und Texte“ durchaus Big-Band-Geschichte geschrieben,
so die Einschätzung Wolfgang Kunerts, ehemaliger Leiter der Jazzabteilung
des NDR.
Vor allem aber schrieb Glawischnig europäische Jazzgeschichte: nicht nur
als Mitorganisator der 1. Internationalen jazzwissenschaftlichen Tagung in
Graz in seiner Funktion als Musikwissenschaftler, sondern vor allem als Mitbegründer
des ersten Jazzstudiengangs Europas an der damaligen Musikhochschule seiner
Heimatstadt Graz (heute KUG – Kunstuniversität Graz) und als einer
der Gründungsväter des Fachbereichs „Jazz und Popularmusik“ an
der Hochschule für Musik und Theater Hamburg in den 80er-Jahren. Hier
wie dort regte er ein „Zwei-Säulen-Modell“ an, bei dem die
angehenden Jazzer auch im klassischen Bereich unterrichtet werden. „Wer
auch Bach und Schönberg gespielt hat, der wird natürlich im Jazz
gleich anders spielen“, so Glawischnigs Meinung.
Trotz nahendem Ruhestand wird Glawischnig sicher nicht in den Tiefen der Jazzvergangenheit
verschwinden. Bereits im November hat er seinen „ersten Gig“ mit
der NDR Bigband und wird sich weiterhin mit Musizieren, Komponieren und Projekten
im Bereich „Jazz und Texte“ befassen. Einfach fabelhaft eben! cs
Korrigenda zu nmz 4/08
Versehentlich druckten wir auf Seite 24 der nmz 4/08 folgende Bildunterzeile
ab: „Klaus-Martin Heinz, derzeit Sprecher des Arbeitskreises der Musikausbildungsstätten
in Deutschland, regt die Zusammenarbeit von Musikakademien und Musikschulen
an.“ Anstelle von „Musikschulen“ muss es richtiger Weise „Musikhochschulen“ heißen.
Ein weiterer Fehler passierte auf Seite 35, wo die Autorenzeile fehlte. Autor
des Beitrags zu den Karajan-Veröffentlichungen ist Georg Beck. Wir entschuldigen
uns für die Versehen. Die Redaktion
Frank Michael Beyer
Am 20. April 2008 verstarb der Komponist Frank Michael Beyer in seiner Berliner
Wohnung. Damit verliert das deutsche und vor allem das Berliner Musikleben
einen seiner unverwechselbarsten, engagiertesten Protagonisten. Anlässlich
seines 80. Geburtstags wenige Wochen zuvor hatte ihm die nmz ein Porträt
gewidmet, nachzulesen in der Ausgabe 3/08 oder online.
Zum Tode von N. Junger
Norbert Junger, Geschäftsführender Gesellschafter der Bubenreuther
Pyramid Saiten- und Stimmpfeifenfabrik Junger GmbH, ist im Alter von 80 Jahren
verstorben. In vielfältiger Weise hatte sich Junger für die Angelegenheiten
der deutschen und europäischen Musikwirtschaft eingesetzt. Er vertrat
in zahlreichen Ehrenämtern international erfolgreich die Belange dieser
Branche. Neben der jahrzehntelangen Mitarbeit im Vorstand des Bundesverbandes
der deutschen Musikinstrumenten-Hersteller e.V. hat sich Junger in besonderer
Weise um die Zusammenführung der europäischen Verbände bemüht.
Er war seit der Gründung der Vereinigung der Europäischen Musikinstrumente-Hersteller-Verbände
Mitglied des gemeinsamen Rates und hat dort unter anderem als Präsident
gewirkt. Für sein Engagement erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande. hr
Höppner neuer Vizepräsident des EMC
Die Mitgliederversammlung des Europäischen Musikrates (EMC) hat bei ihrer
im April in Brünn (Tschechien) stattfindenden Jahresversammlung folgende
neue Vorstandschaft gewählt: Präsident: Timo Klemettinen (Finnland),
Vizepräsident: Christian Höppner (Deutschland), Schatzmeister: Stef
Coninx (Belgien). Weitere Vorstandsmitglieder sind: Erling Aksdal (Norwegen),
Prof. Dr. Harald Huber (Österreich), Petra Mohorcic (Slowenien), Ugis
Praulinš (Lettland). Christian Höppner nach seiner Wahl: „Grundlage
der Europäischen Kulturpolitik muss der Schutz und Ausbau kultureller
Vielfalt sein. Kulturelles Erbe, transkultureller Dialog und das Erleben künstlerischer
Ausdrucksformen unserer Zeit gehören dazu. So stehen die Implementierung
der UNESCO-Konvention zum Schutz und Förderung Kultureller Vielfalt, der
Schutz des Geistigen Eigentums und medienpolitische Fragen genauso auf der
Agenda, wie der bessere Verbund zivilgesellschaftlicher Strukturen.“
Immer ein Geheimtipp geblieben
Dem Cellisten Vladimir Orloff zum achtzigsten Geburtstag
Am 26. Mai diesen Jahres begeht ein Musiker seinen 80. Geburtstag, der wohl
nur noch einigen wenigen Musikkennern ein Begriff ist, ein Cellist aus Rostropowitschs
Generation, der – ähnlich wie Daniil Schafran – nie den Bekanntheitsgrad
erreicht hat, der ihm eigentlich zusteht. Vladimir Orloff ist eher ein stiller,
ja scheu zurückhaltender Künstler, der am liebsten nur „in
seinen Tönen spricht” – dies aber um so eindrucksvoller. Geboren
wurde er in Odessa, der Stadt, aus der so viele bedeutende Musiker hervorgegangen
sind – David Oistrach zum Beispiel, der ein Freund der Familie Orloff
und das erste große Vorbild des jungen Vladimir war. 1942 wanderte die
Familie nach Bukarest aus. Orloff studierte an der dortigen Musikakademie und
wurde, nachdem er 1955 einen ersten Preis beim Warschauer Musikwettbewerb gewann,
in Rumänien zum „Staatssolisten” ernannt. Er konzertierte
daraufhin in vielen Ländern des damaligen Ostblocks. 1957 gewann er den
Genfer Musikwettbewerb und durfte nach vielen Schwierigkeiten im Jahre 1964
zu Konzerten in die Schweiz reisen. Um sich als Künstler freier entfalten
zu können, beschloss er, nicht nach Rumänien zurückzukehren.
Er wurde für zwei Jahre Mitglied der Wiener Philharmoniker und anschließend
zum Professor an die Wiener Musikakademie berufen. In dieser Zeit begann er
eine sehr intensive Solokarriere im westlichen Ausland und musizierte mit Dirigenten
wie Zubin Mehta, Sir John Barbirolli, Sir Eugene Goossens, Sir Adrian Boult,
Wolfgang Sawallisch, Karel Ancerl, Hans Swarowski, Constantin Sylvestry und
Sergiu Commissiona. 1971 erhielt Orloff einen Ruf an die University of Toronto,
dem er vor allem deshalb folgte, weil er sich in Kanada vor den Aktivitäten
des rumänischen Geheimdienstes sicherer fühlte. Die große räumliche
Distanz zu Europa, der ersatzlose Verlust seines aus Altersgründen zurückgetretenen
Managers, einige gesundheitliche Probleme und nicht zuletzt sein sehr bescheidenes
Naturell waren wohl die Gründe dafür, dass er immer ein „Geheimtipp” blieb.
an
CD-Tipp „The Art of Vladimir Orloff“ (DOREMI DHR-7711-13), unter
anderem mit Cellokonzerten von Haydn, Schumann, Elgar, Saint-Saens, Chatschaturjan
und Schostakowitsch, erhältlich in Deutschland z.B. bei: www.jpc.de
L’Espace dernier – der letzte Raum
Matthias Pintschers Oper konzertant in Frankfurt
Der Opernbetrieb pflegt gern und oft seine Versäumnisse. Da wird vor vier
Jahren an der Pariser Oper ein wichtiges Musiktheater-Werk eines der profiliertesten
jüngeren deutschen Komponisten uraufgeführt und keine der hoch subventionierten
größeren deutschen Opernbühnen hat es bisher geschafft, Pintschers „L’Espace
dernier“ (Der letzte Raum) in Szene zu setzen. Immerhin werden jetzt
Alte Oper Frankfurt und Frankfurter Oper gemeinsam Matthias Pintschers musiktheatralische
Auseinandersetzung mit dem französischen Dichter Rimbaud wenigstens konzertant
aufführen: am 17. Mai 2008 (19 Uhr) in der Alten Oper Frankfurt. Unter
Paolo Carignanis Leitung spielt das Frankfurter Opernorchester, weiter wirkt
das SWR Vokalensemble sowie ein hochkarätiges, kompetentes Sängerensemble
mit. Pintschers Rimbaud-Oper ist keine musikalisierte Biographie, sondern eine
tief eindringliche Reflexion über des Dichters Kunst. Eine konzertante
Darstellung ist vielleicht sogar geeigneter, die Absichten des Komponisten
zu verdeutlichen, als eine davon ablenkende szenisch-optische Inszenierung.
Pintschers „L’Espace dernier“ ist neben Lachenmanns „Mädchen
mit den Schwefelhölzern“ und den Musiktheaterwerken von Beat Furrer
und Salvatore Sciarrino sicher der ästhetisch wichtigste Beitrag zur Weiterentwicklung
der Kunstform Oper. gr
Unterhaltsames mit Avantgardistischem verzahnt
Zum fünfundsiebzigsten Geburtstag des Komponisten Karl Heinz Wahren
Der Komponist Karl Heinz Wahren gehört zu den wenigen Kunstschaffenden
seiner Generation, denen es gelungen ist, Avantgarde mit hörerfreundlicher
Musik zu kombinieren und die Felder, je nach Auftrag und Anlass in gleicher
Qualität zu wechseln. Dies spricht nicht nur für intelligente Souveränität
und fundiertes Wissen mehrerer kompositorischer Sparten, sondern auch für
einen Menschen, der stets bedacht ist, gesellschaftliche Gegebenheiten in seine
Arbeit miteinzubeziehen.
Wir erinnern uns an die 60er-Jahre, dem dezenten Beginn der Neuen-Musik-Szene,
sich ins Gespräch zu bringen. Karl Heinz Wahren reagierte mit der Gründung
der „Gruppe Neue Musik“ gemeinsam mit den Kollegen Gerald Humel,
Wilhelm Dieter Siebert und Erhard Großkopf, eine Vereinigung, die bis
heute nichts von ihrem guten Ruf eingebüßt hat. Mit seinen drei
großen Opern „Fettklößchen“ (1976), „Goldelse“ (1987)
und „Galathee die Schöne“ (1994), die wie keine andere moderne
Oper 20 bis 30 Aufführungen verbuchen konnten, erreichte er ein großes,
dankbares Publikum. Trotzdem ist seine Liebe zur Kammermusik geblieben und
der Stil des reiferen Komponisten hat sich merklich verdichtet. Kaum spürbar
sind nun die unterhaltsamen mit den avantgardistischen Momenten verzahnt, zugunsten
der Letzteren. Eine gekonnte dramaturgische Idee, ausgesuchte Texte für
Lieder und ein Geschick für gute Klangkombinationen und Besetzungen zeichnen
das späte Werk aus. Neben mehr als 50 Kammermusikwerken und 3 Opern hat
Wahren 18 Orchesterwerke geschrieben. Karl Heinz Wahren wurde 1933 in Bonn
geboren und wuchs in Gera/Thüringen auf. Ab 1953 studierte er an der Hochschule
für Musik in Berlin Klavier und Komposition. Im Anschluss profilierte
er sich durch Studien beim Zwölftöner Josef Rufer und bei Karl Amadeus
Hartmann. 1969 erhielt er den begehrten Rom-Preis, 1970 den Preis der Rostrum
of Composers der Unesco Paris für seine Orchesterkantate „Du sollst
nicht töten“, 1978 den Förderpreis der Akademie der Künste,
1994 das Bundesverdienstkreuz, 2001 den GEMA-Ehrenring und 2003 die Werner-Egk-Medaille.
Als langjähriger Präsident des Deutschen Komponistenverbandes hat
sich Karl Heinz Wahren für die Belange und Rechte der Komponisten eingesetzt
und hat dabei vorurteilslos Kollegen aller Sparten gefördert. Adelheid
Krause-Pichler