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2008/05 | Seite 7
57. Jahrgang | Mai
Bad Boy Of Music
Moment der Reibung
Reibung erzeugt Energie und manchmal auch angenehme Gefühle,
das wissen wir aus Physik und Sexualkunde. In guter alter europäischer
Tradition ist die Reibung an der Konvention ein wesentlicher Faktor
zur Entstehung von wichtiger Kunst.
Bad
Boy Of Music
Es gab auch Zeiten, wo sich die Neue Musik noch so richtig schön
an Konventionen rieb, zuletzt wahrscheinlich in den 20er-Jahren,
der Zeit, aus der auch das Klischee von der „schrägen
12-Tonmusik“ stammt, das uns bis heute wie ein schlechter
Geruch unerbittlich anhaftet, eben weil wir diesen Geruch damals
zum letzten Mal einigermaßen öffentlich verbreiten durften.
Der Rückzug aus dieser Öffentlichkeit kam allzu bald,
natürlich erst einmal erzwungen, spätestens ab den 50er-Jahren
dann aber zunehmend freiwilliger, was sich immer mehr als katastrophal
erweist.
Wie glaubwürdig kann eine Avantgarde sein, die sich nach wie
vor als tapferer Stachel im Fleisch der Konvention sieht, dieser
aber keineswegs in direkter Konfrontation den Kampf ansagt (was
ja notwendig wäre), sondern stattdessen lieber in abgesicherten,
gut eingespielten Zirkeln den eigenen kleinen Jahrmarkt der
Eitelkeiten pflegt?
Das Schlimme ist: Es geht uns dabei zu gut – allerorten gibt
es wackere Festivals, denen es erfolgreich gelungen ist, Neue Musik
als eine Art interessanten Lifestyle für Insider zu etablieren.
Säle (manchmal) voll, Begeisterung, Problem gelöst, mag
mancher meinen, vergisst aber dabei, wie unerträglich unser
Jargon der Eingeweihten für Nichteingeweihte geworden ist.
Und dass es natürlich auch bei der Jahresversammlung der Pudelfreunde
Castrop-Rauxel e.V. echte Begeisterung über die neuesten Zuchtexemplare
gibt. Macht das die Pudel gesellschaftlich relevanter?
So weit entfernt ist der Vergleich übrigens nicht: Wenn das
jährliche Festivalschaulaufen der gerade Angesagten unserer „Neue-Musik-Szene“ beginnt,
reibt sich manch ein Verantwortlicher die Hände ob einer besonders
erfolgreichen und gut gestutzten Neuzucht. Schließlich wollen
wir ja alle mal Erfolgserlebnisse haben.
Nun ist das ja alles wahnsinnig gut gemeint, und es fließt
viel echte Kreativität und Energie in Event-Konzerte in tollen
stillgelegten Fabrikhallen, aber irgendwie versprach die europäische
Musikgeschichte doch mal ein bisschen mehr als das. Da war doch
mal ein Traum von Relevanz, von umarmten Millionen und der Möglichkeit,
dass ein Musikstück nicht nur intellektuell beeindrucken kann,
mehr ist, als einsame Klangrecherche für Insider.
Hinzu kommt ein immer stärkeres Sehnen danach, dass der Mainstream
mal von einem Hauch von Subversivität durchbrochen werde,
von Originalität und Kontroverse. Dies kann natürlich
nicht funktionieren, wenn man sich nicht auch der Sprachlichkeit
des Mainstreams aussetzt, sie vielleicht sogar beherrscht und interessanten
Mutatio-nen aussetzt, aber das geht ja nicht, denn dann würde
man ja irgendwelche obskuren, gut abgehangenen Ideale verraten.
Würde man mal sofort auch ohne klug klingendes Gewäsch
im Programmheft verstehen, um was es in einem Stück eigentlich
geht – das sorgfältig gebaute Kartenhaus des eigenen
Eliteverständnisses bräche zusammen. Ohne Risiko, unter
Seinesgleichen geht es meistens um … gar nichts.
Kommt ins Offene, Freunde, möchte man im Hölderlin’schen
Sinne der Szene zurufen, betretet die Höhle des bösen
Pop-Löwen, stellt euch dem Leben, seid wieder Teil öffentlicher
Kulturwahrnehmung, so wie es der Bildenden Kunst, dem Theater und
der Literatur dann doch immer wieder mal gelingt! Wann wurde das
letzte Mal ein Werk von einem der Unseren öffentlich besprochen
wie der neue Roman von Daniel Kehlmann? Gerne geben wir anderen
die Schuld, aber es besteht nur Hoffnung, wenn wir zuallererst
mal an unseren eigenen Schopf fassen und uns aus dem Sumpf der
Selbstzufriedenheit ziehen. Der Widerstandskämpfer, der eitel
seine Waffensammlung putzt, faul von den alten Erfolgen zehrt und
dieselben Ideale vertritt wie vor 50 Jahren, seine Wohnung aber
schon seit eben diesen 50 Jahren nicht mehr verlassen hat – er
wäre das Sinnbild des unerträglichen Spießers.
Von so einem würden wir uns keine Poster ins Jugendzimmer
hängen, er wäre eine Farce, eine lächerliche Figur.
Manch einer sieht sich heute noch als letzter Widerstandskämpfer
gegen die kulturelle Verwahrlosung, aber wie effektiv ist ein solcher
Widerstand, der quasi für die Öffentlichkeit unsichtbar
ist (da er nicht mehr in dieser stattfindet)? Daran müssen
wir arbeiten, Freunde. Denn die Zeit, in der wir Komponisten als
relevant genug galten, um sich in Politik einmischen zu dürfen,
ist momentan vorbei, und sogar die musica viva in München
sagt lieber mal ein Werk des Komponisten Dror Feiler über
die besetzte Zone im Gazastreifen ab, aus Angst, es könnte „zu
laut sein“.
Die feist gewordene Avantgarde aber ist die Vorhut von gestern,
sie ist spießig geworden, das ist die schreckliche Wahrheit.
Sie reibt sich nicht mehr am Leben, nur noch an sich selber. Aus
der strammen Vorhut wurde eine schlaff hängende Vorhaut, und
diese wird ja gelegentlich in stiller Stunde einsam bearbeitet.
Und genauso klingt es dann auch.