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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 12
57. Jahrgang | Mai
Nachschlag
Ausgepegelt
Da hat man sich ja ein schönes Eigentor geschossen! Die musica
viva, jüngst höchst verdient mit einem großen Festival
in Erscheinung getreten, bestellte von Dror Feiler ein Orchesterwerk.
Es ist zu hoffen, dass man sich auch an allen Stellen über
diesen Komponisten im Klaren war. Dror Feiler ist ein 1951 in Tel
Aviv geborener jüdischer Komponist, der heute in Schweden
lebt und sich mit radikaler Intensität gegen die eigene Regierung
und deren Umgang mit den Palästinensern stellt. Für ihn
wiederholt sich dort ein Unrecht, das immer schon die Stärkeren
zur Unterdrückung einsetzten, ein Unrecht, das auch dem eigenen
Volk durch die Nationalsozialisten unvergleichbar widerfahren war.
In vielen seiner Werke bringt Feiler seine Solidarität mit
dem palästinensischen Volk, aber auch mit anderen unterdrückten
Gruppen zum Ausdruck. Und das geschieht in seiner Musik in der
Regel sehr laut; weil er, so äußerte er einmal, nur
so die Intensität erreichen könne, die ihm vorschwebe
(Feldman hingegen könne dies ganz leise). Es lief darauf hinaus,
dass das Stück nach der Generalprobe, die übrigens nach
den im Auftrag bestellten 18 Minuten abrupt abgebrochen wurde (es
hätte noch vielleicht drei Minuten länger gedauert),
wegen Gesundheitsgefährdung der Musiker für das Konzert
am gleichen Abend abgesagt wurde. Es gab am Vormittag Messungen,
und die ergaben, dass das Stück nach EU-Vorgaben so nahe an
der Belastungsgrenze liege, dass es pro Tag nur einmal gespielt
werden könne. Und das war nun ja schon in der Probe geschehen.
Die musikalische Installation „Schneewittchen und der Wahnsinn
der Wahrheit“ (zum Thema Selbstmordattentate) von Dror Feiler
und seiner Frau ist manchem noch gut in Erinnerung. Zvi Mazel,
israelischer Botschafter in Schweden, war vor etwa vier Jahren
so empört über den Ausstellungsgegenstand, dass er ihn
damals mit eigenen Händen zerstörte. Vielleicht war dies
der Hintergrund, dass man jetzt für das Konzert im Vorfeld
prüfen ließ, ob es sich bei Feiler nicht um eine Person
handele, die als dem Terrorismus nahe stehend eingeschätzt
wird (wie etwa die Mitglieder der Hamas). Schon so wollte man das
Stück absagen. Nach Entwarnung aber fing man mit den Proben
an.
So etwas wie die abrupte Absage darf nicht geschehen. Durchaus
muss auf die Gesundheit der Musiker Rücksicht genommen werden,
ja sie hat Priorität. Aber es gibt genügend Möglichkeiten,
die Ohren der Ausführenden zu schützen. Und es wurden
ja Ohrenstöpsel zur Verfügung gestellt, deren Verwendung
aber dem Selbstverständnis der Musiker widersprach. All dies
wäre schon lange absehbar gewesen, im Grunde schon bei der
Zusendung der Partitur. Hier wäre es notwendig gewesen, Maßnahmen
zu treffen, sei es beim Plan der Proben, sei es durch Gespräche
mit den Orchestermitgliedern über die Problematik, die dann
zu Lösungsvorschlägen und eventuell zur Bereitschaft
zu Ohrenstöpseln geführt hätten (auch hier eine
Absage zu beschließen, wäre möglich gewesen). Die
Belastung der Musiker durch gro-ßen Schalldruck ist ja kein
unbekanntes Phänomen – vermutlich sind von den EU-Richtlinien
auch Werke von Mahler oder Strauss betroffen. Aufgabe der Musiker,
die ja immer betonen, sich in den Dienst des Werks stellen zu wollen,
ist es, ein Stück auf die Weise zu realisieren, die ihnen
(ohne Gesundheitsschädigung) möglich ist. Geht es aufgrund
von Dämm-Maßnahmen auf Kosten der Balance und der Präzision,
dann ist das Schicksal der Komposition und des Komponisten. Aber
zu Ende zu proben und dann festzustellen, dass eine Aufführung
nicht zu verantworten ist, ist entweder ein Armutszeugnis oder
es legt den Verdacht nahe, dass man ein Exempel statuieren wollte.
Lothar Zagrosek hatte sich kurz nach der Absage bereit erklärt,
das Stück in Berlin aufzuführen (und auch die Klangspuren
Schwaz fragten bei Feiler wegen einer Aufführung im September
an). Doch inzwischen will sich auch die musica viva erneut des
Stücks annehmen. Mal sehen, was im Spießrutenlauf dieses
Werks weiter geschieht.
Reinhard Schulz
P.S.: Sollte das in München nun Tradition werden? Denn Christian
Thielemann sagte kurz darauf bei einem Philharmoniker-Konzert eine
Henze-Aufführung ab („Sebastian im Traum“). Begründung
diesmal: zu wenig Probezeit. Wie wäre es demnächst mit „Keine
Lust“ oder neudeutsch „Null Bock“?