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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 13
57. Jahrgang | Mai
Kulturpolitik
Kulturelle Bildung braucht Gesellschaftsbezug
Stimmen zum Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ – Thema Kulturelle Bildung
Die neue musikzeitung setzt ihre Serie mit Kommentaren zum Schlussbericht
der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ mit
dem Themenkomplex „Kulturelle Bildung“ fort. Auf den
folgenden Seiten 14 und 15 sowie auf Seite 34 nehmen Fachleute
aus betroffenen Verbänden und Akademien Stellung zu den auf
Seite 14 abgedruckten Handlungsempfehlungen der Kommission. Zunächst
werden sie hier von dem Musikpädagogen Christoph Gotthardt
kommentiert:
Beim Umgang mit kultureller Bildung geht es um Kunst
und Kultur, aber immer auch um die Menschen, die daran teilhaben,
Zugang erhalten
und Träger sein sollen. Angesichts der aktuellen deutschen
Bildungsdiskussion ist grundlegend hervorzuheben, dass es dabei
nicht um eine begrenzte, sondern um die Gesamtgesellschaft als
Zielgruppe gehen kann, ja muss.
Kinderkonzert
in der Schule. Das Hamburger „ensemble mubuntu“ bei
einem Auftritt in Detmold. Foto: Koch
Der Auftrag „Kunst und Kultur für alle“ entspricht
dem demokratischen Anspruch unseres Landes und muss als gesamtgesellschaftliche
Aufgabe und in jeweils eigener Weise besonders von all jenen verstanden
werden, die mit Kunst und Kultur beschäftigt sind. Es greift
zu kurz, wenn kulturelle Einrichtungen diesen Auftrag nur in „Alibi-Aktionen“ nachkommen,
die nicht genügend Breitenwirkung entfalten, und ihn stattdessen
zu sehr dem schulischen Bildungssystem überlassen.
(zu I.) Eine Bundeszentrale für kulturelle Bildung ist – trotz
des Faktums der Länderzuständigkeiten – insofern
zu begrüßen, als sie diesem gesamtgesellschaftlichen
Bezugsfeld entspricht und sich mit ihr eine Effizienzsteigerung
von Forschung verbindet. Inhaltlich grundlegend scheint,
dass kulturelle Bildung dem historisch-geografischen Traditionsraum,
in dem sie steht, in besonderer Weise verpflichtet sein, dass sie
gleichzeitig aber die gesellschaftlichen Integrationsnotwendigkeiten
anderer/fremder Kulturen in angemessener Offenheit einbeziehen
muss.
(zu II. und III.) In der kulturellen Bildung werden schulische
und außerschulische Bereiche unterschieden. Diese Unterscheidung
trennte in der Vergangenheit und Gegenwart zu sehr. Mehr Zusammenwirken
ist nötig; ja! Wie, das ist noch weitgehend die Frage. Der
Ganztagsschulbetrieb steht erst am Anfang, und eine Bildungsorganisation,
die Hauptfächer nicht per se wichtiger nimmt als „weiche
Kultur(Neben)Fächer“ – und sei es nur planerisch
im Ganztagesverlauf –, ist mehr Wunsch als Wirklichkeit.
Es geht um die Entwicklung eines Bildungsgefüges, das Kulturfächer
nicht an den Rand schiebt, sondern sie so stärkt, dass qualitativ
hochwertige Bildungsarbeit insbesondere auch dann möglich
ist, wenn sie von außerschulischen Partnern „auf Augenhöhe“ geleistet
werden soll. Effizient funktionierende Kooperationen von Schulen
mit Musikschulen und außerschulischen Kultureinrichtungen
brauchen administrativ getragene Ressourcen, Räume und Zeiten.
Unterschiede im Berufsprofil von Schulmusikern, Instrumentalpädagogen
und Musikern der Kulturinstitutionen müssen gesehen, dürfen
aber nicht über Gebühr zum Problem gemacht werden. Flexibilität
und mehr Verständnis für den jeweils anderen Bereich
ist gefordert, und das im jeweiligen öffentlichen Bildungsauftrag
enthaltene gemeinsame Ziel kooperativer Vermittlung gemeinsamer
Kulturgegenstände in die Gesellschaft muss leitender Gedanke
werden. Dass Musikschulen als gleichwertige Partner gestärkt
und finanziell gesichert werden müssen, steht ebenso außer
Frage wie der Anspruch an ihre definierte Qualität.
Das Fach „Musikvermittlung“, das sich in der Musikkultur
als Vermittlungs- und Kooperationsfeld zwischen den genannten Bereichen
und im Gegenüber zur Gesellschaft zu etablieren beginnt, könnte – auch
in seiner altersflexiblen Zielgruppendisposition von der Vorschule
bis hin zur Erwachsenen- und Seniorenbildung – möglicherweise
beispielhaft für andere Kulturbereiche sein und tragfähigere
Brücken bauen zwischen den Welten. Dem Vermittlungsaspekt
in der Aus- und Fortbildung kultureller Bildung mehr Bedeutung
beizumessen ist folgerichtig und hilft dabei, im unzeitgemäß einseitig
am Geniekult des 19. Jahrhunderts orientierten musikalischen Ausbildungsbetrieb
die Verhältnisse zurecht zu rücken. Das wachsende Interesse
vieler Orchester an der Musikvermittlungsarbeit ist ein Indikator
dafür, dass im Kulturbetrieb ein Umdenken einsetzt und sich
der enge Musikerbegriff zu weiten beginnt.
Mehr Musikpraxis ist richtig – kein Zweifel; und Singen liegt
da sicher noch näher (weil einfacher und kostengünstiger?)
als instrumentales Musizieren. Bedeutsam auch hier, mit welcher
Entschiedenheit man Rahmenbedingung für schulische wie außerschulische
Lehrkräfte schafft. Die für das Fach Musik und darüber
hinaus äußerst wertvolle Schulchorarbeit etwa kann nicht
auf der Basis von bloßem Engagement stattfinden.
Bei all der aktuellen JeKi-Euphorie ist sicher darauf zu achten,
dass sich kulturelle Bildung nicht im bloßen Tun erschöpft,
selbst wenn dies ein musikalisches ist. Mit Bildungsstandards und
der Evaluation entsprechender Bildungsarbeit kann ein strategisch
richtiger Fortschritt in der Bedeutungskonkurrenz der Fächer
in der Post-PISA-Ära verknüpft sein. Die Frage allerdings,
inwiefern der Erfolg kulturell-ästhetischer Bildungsarbeit
durch vergleichbare Testverfahren überprüfbar ist, darf
nicht außer Acht bleiben. Bildungsstandards für ein
eigenes Fach „Kulturelle Bildung“ zu formulieren, ist
bedenkenswert. Gleichwohl wäre zu prüfen, ob ein neues
Fach nicht vorhandene „Kulturfächer“ schwächt
und ob es nicht ausreicht, entsprechende Kompetenzbereiche in die
Bildungsstandards herkömmlicher Fächer zu integrieren.
Christoph Gotthardt,
Musikpädagoge und Musikvermittler in Frankfurt am Main