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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 5
57. Jahrgang | Mai
Magazin
Kühne Bilder zu den Tragödien des Hörens
Ein Konzert des Ensembles „work in progress“ beleuchtete die fruchtbare
Zusammenarbeit Luigi Nonos mit Emilio Vedova
Musik beginnt da, wo das Wort verstummt, ist die gängige Auffassung,
doch die Übersetzungsmöglichkeit zwischen den nicht-diskursiven Künsten,
zwischen Klang und Bild, war schon immer ein alter Künstlertraum. Vor
allem zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, auf der Suche nach neuen, grenzüberschreitenden
Wegen, häuften sich die synästhetischen Experimente – erwähnt
seien die gemalten Sonaten eines Ciurlionis, die Farblichtmusiken von Alexander
Skrjabin oder Alexander Laszlo, die Anregungen, die Wassilij Kandinsky von
Schönbergs früher Atonalität für seine abstrakten Farb-
und Linienkompositionen empfing. Definierte Skrjabin die Farbe als Bindeglied
beider Künste, so weitete der von ihm beeinflusste Iwan Wyschnegradsky
dies in extravagante Raumkonzeptionen aus. Dagegen zeigt sich das Farbenhören
Olivier Messiaens als eher immanente Qualität, die sich lediglich in der
ausgeprägten Leuchtkraft seiner Musik und weniger konzeptionell niederschlägt.
Das
Bühnenmodell zu Luigi Nonos „Intolleranza“, die
eine große Eisenskulptur in den Mittelpunkt stellt, in der
sich die Protagonisten verfangen – in Anlehnung an Vedovas
eigenes Bild „Konzentrationslager – Menschen und Stacheldraht“ von
1950 (Venedig, Teatro La Fenice, 1961). Fotonachweis: Stiftung
Emilio und Annabianca Vedova, Venedig
Selten aber haben Maler und Musiker so konkret aufeinander Bezug genommen
wie die Freunde Emilio Vedova und Luigi Nono. Aspekte ihrer langjährigen fruchtbaren
Zusammenarbeit vermittelte Gerhardt Müller-Goldbohm mit seinem Ensemble „work
in progress“ im Rahmen der Retrospektive, mit welcher die Berlinische
Galerie den venezianischen Maler und Bildhauer gut ein Jahr nach seinem Tode
würdigte. „Künstler der Rebellion“ hatte man den Hauptvertreter
der italienischen „informellen Malerei“ (oder auch des „Abstrakten
Expressionismus“) der Fünfziger und Sechziger Jahre genannt, und
nicht nur dies eint ihn mit dem Komponisten-Freund. Ihr erstes Projekt war „Intolleranza
60“; Vedova schuf das Bühnenbild zu Nonos „azione scenica“.
Im Zentrum der Bühnengestaltung stand eine riesige, scharf gezackte Eisenskulptur,
gewissermaßen das Gitter, in dem sich die Protagonisten – der Flüchtling,
seine Gefährtin, ein Gefolterter et cetera – verfangen, aus dem
sie nicht ausbrechen können. Vedova greift dabei auf ein früheres
Werk zurück: „Konzentrationslager – Menschen und Stacheldraht“ heißt
sein Bild von 1950, das ebenso brutale Gewalt wie den Schmerz und die Verletzbarkeit
der Opfer ausdrückt. Auch in dem folgenden Zyklus „Protest 52 – 54“ mit
dem Untertitel „Zeitgenössische Kreuzigung“ zeigt sich Konfliktschärfe
allein schon in der Formensprache und wird das Leiden in einem überraschend
sakralen Bezug deutlich. Doch nicht nur solche Inhaltlichkeit verbindet Vedova
mit Nono. Gleichzeitig geht es um die Erweiterung der Mittel, auch im Sinne
der Verwendung neuester Techniken, um neue ästhetische Erfahrungen zur
Schärfung und Verfeinerung der Wahrnehmung. Für „Intolleranza“ entwickelte
Vedova ein Projektionssystem, das unter anderem durch handbemalte Glasplättchen
eine Fülle von Bildern nicht nur auf die Bühne, sondern auch in den
Zuschauerraum warf; zusammen mit der von allen Seiten einfließenden elektronischen
Musik sollte das Publikum einer totalen Überlagerung von Klang, Bild und
Schauspiel ausgesetzt, damit ein Teil der Handlung werden. Zur Weltausstellung
in Montreal 1967 perfektionierte Vedova dieses Verfahren: Die farbigen Plättchen
aus Muranoglas projizierten über vierzehn elektronische Apparate ein Licht,
das von einem rotierenden und frei schwebenden Plurimo – ein asymmetrisches,
räumliches Element – reflektiert und von Leinwänden und Paneelen
vielfach gebrochen wurde. In vielfältigen Aspekten nahm die Lichtinstallation
auf das Thema „Widerstand“ Bezug. „Parete“ (Wand) heißt
das dazugehörige Musikwerk, das Marino Zuccheri, die graue Eminenz des
legendären „Studio di Fonologia“ des italienischen Rundfunks „RAI“,
mit elektronischem Material von Nono ausarbeitete – übrigens mit
der Maßgabe, es möglichst unkenntlich zu machen. Es handelt sich
hier um ein Klangkontinuum aus 24 unterschiedlichen Klangquellen (eine Bandschleife),
das sich auf zufällige Weise mit dem visuellen Teil überschnitt.
Die Bilder und Klänge in Bewegung stoßen auf ein sich im Raum bewegendes
Publikum, das so zum aktiven Bestandteil dieses vielfach gebrochenen „Gesamtkunstwerks
des 20. Jahrhunderts“ wird. Natürlich konnten in Berlin trotz Gelegenheit
zum Ausstellungsrundgang all diese Komponenten nicht wahrgenommen werden. Doch
faszinierte „Parete“ in der Klangregie von Andre Bartetzki immer
noch als kraftvolle Kreisbewegung metallischer Klangfarben hoch über den
Köpfen der Zuhörer, mit verblüffenden Entsprechungen zu den
raumgreifenden, im massFarbauftrag nicht minder wild bewegten Halbskulpturen
(„Dischi“) des Malers und in ihrer „unreinen“ Herkunft
vom konkreten Alltagsgeräusch eindrucksvoller Gegenentwurf zur aseptischen, „tabula
rasa“ betreibenden Elektronik eines Stockhausen.
Wie Vedova mit seinen „Plurimi“, riesigen, das Rechteckformat aufgebenden
Gebilden zwischen Gemälde und Skulptur, immer kühner in den Raum
vorstößt, so Nono mit weiträumig verteilten elektroakustischen
oder natürlichen Schallquellen. Die gemeinsame Tradition venezianischer
Mehrchörigkeit könnte dies inspiriert haben. Den Höhepunkt ihrer
Zusammenarbeit stellt 1984 die Uraufführung von „Prometeo“ in
der ehemaligen Kirche San Lazzaro in Venedig dar. Hierfür ließ Nono
den Architekten Renzo Piano eine Bühnenbildstruktur als „musikalischen
Raum in Form eines Archipels“ schaffen, während Vedova die Lichtregie übernahm.
Doch während „Intolleranza“ noch auf eine Totalität der
Mittel und ihrer sinnlichen Wahrnehmung abzielt, ist der Ansatz dieser „Hörtragödie“ bewusst
fragmentarisch gewählt, als Absage an jegliche Systematik zu verstehen.
Fragmentarisch, dem Uneindeutigen verpflichtet auch die Ästhetik von „Guai
ai gelidi mostri“ (Wehe den kalten Ungeheuern) für zwei Altistinnen,
Instrumentalensemble und Live-Elektronik, im Vorfeld zu „Prometeo“ entstanden.
Die Textfassung des Philosophen Massimo Cacciari – des heutigen Bürgermeisters
von Venedig – stellt Fragmente aus Texten von Friedrich Nietzsche, Lucrez,
Ezra Pound, Ovid, Rilke et cetera zusammen, Texte in verschiedenen Sprachen,
die durch die Musik noch weiter fragmentiert werden. In einer Einführung
weist Nono selbst auf die Verbindung mit Vedovas Zyklus „Karneval“ hin,
aus dem vier Teile im Programmheft der Uraufführung in Köln 1983
abgedruckt wurden, mit den Titeln: „In Tyrannos“, „Lemuria“, „Das
große Nichts der Tiere“, „Entwicklungsfremdheit“. Beide
Künstler faszinierte am Karneval die Dynamik und Leidenschaft, das Unschickliche
und Leidenschaftliche, das Zügellose, das alles möglich sein lässt,
wenn auch nur in wenigen Stunden. Doch was „ein anderes Abenteuer“ sein
sollte, „am offenen Meer bis zu Prometheus“, zeigt sich in der
Komposition als verhaltenes, fragiles, hochgefährdetes Klanggespinst:
Fast unmerklich, nur klangfarblich wahrnehmbar sind die Stimmen von Dorothe
Ingenfeld und Ulrike Bartsch, von Live-Elektronik zum imaginären Chor
aufgefüllt, in den Gesamtklang eingebettet, aus dessen zart diffusem Brodeln
scharfe Trompetenlinien, knirschender Bogendruck der Streicher, röchelnde
Tuba und schwarzleuchtend unterlegte Bassklarinette hervortreten. Aufschreie,
heftige Akzente tragen zur Strukturierung dieses gestauten Klangflusses bei,
dem Quinten und Quarten, Atemgeräusche und Naturtöne etwas Archaisches
geben. An Sensibilität und Nuancenreichtum ist das nicht zu überbieten,
auch den mannigfachen Grauschattierungen in Vedovas viel grobkörnigerer
Malerei weit überlegen. Auch Nonos eigene „Omaggio a Vedova“ – 1960
als seine erste elektronische Komposition geschrieben – fesselt zwar
durch spannungsvolle Dichte, wirkt aber doch ein wenig starr gegenüber
dem späten Werk, was auch der noch schwerfälligen Technik geschuldet
sein kann: Riesige Schränke bevölkerten noch über zwanzig Jahre
später bei der Berliner „Prometeo“-Aufführung den Kammermusiksaal,
führte Müller-Goldbohm aus. Die heutige Laptop-Generation kann sich
das gar nicht mehr vorstellen.
Zwischen diese „Hör-Visionen“, deren Komplexität sich
nur erahnen ließ, hatte Müller-Goldbohm zur Ehrung beider Künstler
Nonos „Sarà dolce tacere“ für acht Vokalsolisten (1960)
gestellt. Hier fehlt der Bezug auf den Maler, doch die strenge spröde
Schönheit dieser extrem gelagerten Gesänge, die das Vocalconsort
Berlin mit hohem Engagement bewältigte, ließ den leidenschaftlichen,
manchmal fast gewalttätigen Gestus vieler Bilder und Reliefs umso mehr
hervortreten.