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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 8
57. Jahrgang | Mai
Magazin
Aber sterben muss man in Wien
Hans-Eckardt Wenzel – Poet, Bänkelsänger und bekennender Workaholic
Bescheiden, fast unauffällig wirkt er, wenn man ihn auf der Straße
sehen würde, ohne zu wissen, wer er ist. Aber wer ihn einmal live auf
der Bühne erlebt hat, wird seine eingängigen Melodien und Texte lange
nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Im Moment tourt Wenzel, wie er sich und alle
anderen ihn kurz nennen, mit Band und solo durch die Lande. Der in Wittenberg
geborene Poet, Sänger und Musiker – den Begriff Liedermacher findet
er dumm – war vor der Öffnung in der DDR bereits ein Star, auf Bühnen
im ehemaligen Westen und in Österreich spielt er inzwischen oft, aber
immer noch vor weit weniger Publikum. Ursula Gaisa traf Wenzel vor seinem Auftritt
im Nürnberger „Hirsch“.
Nimmt
die Musik zunehmend ernster: Wenzel. Foto: Markus Altmann
„Glaubt nie, was ich singe“ lautet der Titel seiner neuesten
CD, die 2007 erschien und sofort wieder den Preis der deutschen Schallplattenkritik
einheimsen
konnte. Die Auskopplung „Tausend Tode“ steht im Moment zum siebten
Mal auf Platz 1 der Liederbestenliste, sieben Monate in Folge also. Bis heute
hat er 21 Langspielplatten und 9 Textbände veröffentlicht. Und
trotz alledem ist er für viele in den alten Bundesländern immer
noch ein Unbekannter. Wenzel selbst erklärt sich das einerseits aus
einer gewissen Ignoranz gegenüber ostdeutscher Kultur: „Nachdem
die Mauer gefallen ist, war man noch ganz euphorisch, da konnte man noch
ein paar Konzerte geben.
Inzwischen ist das alles ein einziger großer Kulturbetrieb mit seinen
eigenen Marktmechanismen“, andererseits aus der fehlenden Urteilskraft
und Autoritätsgläubigkeit der „Wessis“: „Da weiß man
vorher, was gut ist, man lässt sich nicht mehr auf das Abenteuer ein.
Und wer nicht alle Nase lang im Fernsehen zu sehen ist, kann gar nicht gut
sein …“ Doch Jammern liegt dem Realisten Wenzel, wie er sich
selber bezeichnet, fern. Er hat die Öffnung und den Mauerfall eher als
Chance begriffen: „Um das Jahr 2000, als ich mit der Band angefangen
habe, habe ich mir gesagt: ‚Sei dir nicht zu fein dafür, noch
mal von vorn anzufangen, auch wenn du über 30 bist – wie ein 16-Jähriger
ganz unten anzufangen, wieder die kleinen Clubs zu erspielen.‘ Das
hat mir am Ende gut getan, den eigenen Stolz zu brechen.“
„Alles Laue, Halbe hass’ ich“ steht als eine Art Eingangsmotto auf
seiner Website. Und diesen Satz des österreichischen Dichters Theodor
Kramer, den er während seines Ästhetik-Studiums für sich entdeckt
hat und von dem er inzwischen an die 100 Texte vertont hat, bezeichnet er als
eine Art Lebensmotto für sich: „Alle Dinge, die man mit halber Kraft
tut, sind vertane Zeit. Das Konzert, das man mit halber Kraft, halbem Herzen
angeht, das raubt einem Kraft. Wenn man sich nicht schont, wenn man seine Kraft
weg gibt, dann bekommt man am meisten zurück. Das ist meine Erfahrung.“ In
Theodor Kramer hat er einen Seelenverwandten gefunden: „Seine Gedichte
haben etwas Blitzhaftes. Er überrumpelt einen sozusagen mit seinen Bildern,
und das mag ich. Eine sehr moderne Art von Poesie in einer scheinbar sehr alten
Form. Das interessiert mich, bestimmte Töne seiner Melancholie sind mir
sehr nah.“ Seine musikalischen Vorbilder überraschen dagegen. Als
ersten nennt er Dimitri Schostakowitsch: „Ich mag seine Kopplung zwischen
Banalität und musikalischer Raffinesse. Er hat so etwas Tragisch-Komisches …“ Weiter
nennt er Franz Schubert, Hugo Wolf, Hanns Eisler und Gustav Mahler. Beeinflusst
hätten ihn auch sehr stark die Songs der Zwanzigerjahre von Eisler und
Weill. Aber ein „direktes Vorbild kann ich schlecht nennen, da bin ich
zu eigenbrötlerisch.“
Über 100 Auftritte absolviert er pro Jahr – entweder solo oder mit einer
vierköpfigen Band in wechselnden Besetzungen. Beides hat für Wenzel
seinen Reiz. „Wenn ich solo unterwegs bin, kann ich mehr improvisieren,
kann ich Lieder austesten, mich mehr meinen Launen hingeben. Mit der Band hat
man dagegen einen festen Ablauf, aber es macht großen Spaß, mit
anderen Leuten zu spielen, Musik ist ja auch ‚mit anderen musizieren‘.“ Die
Musik ist für ihn, der als Literat angefangen und nie ein Instrument gelernt
hat, inzwischen als Autodidakt aber Akkordeon, Klavier und Gitarre spielt,
im Laufe seiner Karriere immer wichtiger geworden: „Sie hat mehr Energie
als der Text, weil sie die Möglichkeit hat, uns in unserer Lebenszeit
adäquat zu begleiten: Ein Lied braucht drei, braucht fünf Minuten
meines Lebens – für mich und für die Zuhörer auch. Und
das ist etwas sehr Gleichmachendes, etwas sehr Angenehmes. Musik ist das einzige
Medium, das uns in unserer Einsamkeit vor der Unendlichkeit ein bisschen betäuben
kann.“
Daraus erklärt sich Wenzel auch seine Hinwendung zu den heiteren Tönen.
Vergleicht man seine erste Platte „Stirb mit mir ein Stück“ mit „Glaubt
nie, was ich singe“, so bleibt immer noch eine gehörige Portion
Melancholie, aber viele seiner Lieder haben inzwischen fast etwas Übermütiges: „Das
liegt daran, dass ich die Musik zunehmend ernster nehme. Die Musik ist ein
Spiel, etwas Leichtes. ‚Glaubt nie, was ich singe‘ wurde als
Session eingespielt: Wir haben uns so lange in einen Keller eingesperrt,
bis wir alle damit einverstanden waren. Diese Freude am Umgang miteinander,
das spürt man
auf der CD“.
„Schöner lügen“, „Glaubt nie, was ich singe …“ – das
Spiel mit der so genannten Wahrheit hat ihn schon immer fasziniert: „Wir
wachsen immer auf unter der Prämisse, dass wir uns angeblich selber finden
wollen. Das ist natürlich ein Trugschluss in der Moderne. In der modernen
Welt ist man immer mehrfach vorhanden. Wo ist das Wahre, wo ist das Falsche,
das ist nicht auszumachen. Das Spiel dazwischen, das interessiert mich. Hegel
spricht von den Wahrheiten der Geschichtsschreibung und den Lügen der
Dichter, dass die Poesie also immer etwas dazu erfindet zur Welt. Und in dieser
Lüge steckt manchmal mehr Wahrheit als in der abgebildeten Wahrheit. Was
man träumt, ist ja auch eine Lüge, trotzdem steckt in dem Traum eine
Art surreale Wahrheit.“
Vier neue CDs sind in Vorbereitung und werden in den kommenden Monaten auf
den Markt kommen: eine geschlossene Komposition mit 17 Texten der unbekannten österreichischen
Dichterin Henriette Haill, einer Zeitgenossin Kramers, Wenzels „Kleines
Meertagebuch“ begleitet von acht Blechbläsern des Konzerthauses
am Gendarmenmarkt wurde eingesungen, weiterhin wird es eine Doppel-CD mit Solo-Live-Mitschnitten
und eine mit Vertonungen klassischer deutscher Kinderverse à la „Dunkel
war’s, der Mond schien helle“ geben. Außerdem ist ein Buch
mit hundert Liedern (Noten und Texte) in Arbeit, das nächstes Jahr erscheinen
wird.
Hat so einer wie Hans-Eckardt Wenzel Hobbys? – „Wenn ich Freizeit
habe, dann arbeite ich. Ich genieße die Zeit, wenn ich mal nicht unterwegs
auf Tour bin, dann kann ich schreiben. Ich kann mich nur über meine Arbeit
definieren. Ich finde mich nur sinnvoll und erträglich, wenn ich etwas
tue.“