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2008/05 | Seite 11
57. Jahrgang | Mai
Praxis: Konzertvermittlung
Im lebendigen Dialog mit jungen Interpreten
Der Jubilar Hermann Regner berichtet über einen ungewöhnlichen
Kompositionsauftrag
Der Musikpädagoge und Komponist Hermann Regner wird am 12.
Mai 80 Jahre alt. 30 Jahre war er ordentlicher Professor für
Musikerziehung am Orff-Institut der Hochschule „Mozarteum“ in
Salzburg und dort enger Mitarbeiter von Carl Orff. Er ist Autor
zahlreicher Fachveröffentlichungen sowie Mitherausgeber des
Unterrichtswerkes zur Musikalischen Früherziehung „Musik
und Tanz für Kinder“. Er schuf Kompositionen für
Klavier, Schlagwerk, Kammermusikensembles, Bläser und Chor.
Wie er einem besonderen Auftragswunsch entsprach, schildert er
selbst:
In der Musikgeschichte lesen wir immer wieder von Aufträgen,
die Komponisten von wohlhabenden Persönlichkeiten oder Institutionen
bekommen haben. Viele bedeutende Werke sind so im Lauf der Jahrhunderte
entstanden. Mir scheint, dass Aufträge seltener geworden sind.
Wer wird schon Musik bestellen, wo es doch so viel Musik gibt,
alte und neue?
Für zwei junge Musikpädagoginnen aus Gräfelfing
bei München, die Kinder im Alter zwischen 7 und 15 Jahren
auf der Geige unterrichten und zusammen mit Kindern anderer Lehrerinnen
ein junges Orchester zusammengestellt haben, war das anders. „Im
vergangenen Jahr haben wir ein Projekt mit Streicher-Kammermusik
von W.A. Mozart durchgeführt … Die Kinder haben mit
Begeisterung musiziert und mit viel Freude im Orchester gespielt.“ Später
steht dann in der Projektbeschreibung, die ich im Januar 2007 bekam,
zu lesen: „In diesem Jahr haben wir uns für das Studieren
und Erarbeiten zeitgenössischer Kammermusik entschieden.“ Im
ersten Brief, den ich bekam, wurde der Leistungsstand der Kinder
geschildert: „Die Kinder haben zum Teil erst seit drei Monaten
Geigenunterricht, manche lernen schon länger. Auf jeden Fall
bewegen wir uns auf einer elementaren Stufe.“ Sollte es stimmen,
dass es für solche Möglichkeiten wenig Literatur zeitgenössischer
Komponisten gibt? Ein paar Tage später antwortete ich, schickte
bereits erschienene Literatur, sagte zu, etwas Neues für das
Orchester zu schreiben. Dann begann ich, mit den Kindern selbst
in Verbindung zu kommen und sie um ihre Mitarbeit zu bitten.
Bald bekam ich einen langen Wunschzettel: „Ich mag gerne
Triller“, schrieb eine Geigerin. Die andere wollte Glissandi. „Ich
spiele alles“, bemerkte Sebastian. Ein Mädchen wollte
Musik, „so wie man auf einem Elefanten reitet“. Triller
und Glissandi konnte ich einbauen. Wie man auf einem Elefanten
reitet, konnte ich leider nicht in Musik umsetzen. Keine Erfahrung!
Fünf kleine Sätze habe ich dann geschrieben und den Kindern
geschickt, sie gebeten zu üben und Titel für die einzelnen
Sätze zu finden. Anfang März konnte ich die Arbeit der
Lehrerinnen und der Kinder beginnen.
„
Die stolzen, freudigen Gesichter der Kinder hätten Sie sehen
sollen! Die Kinder merken, dass sie ernst und wahrgenommen worden
sind mit ihren Ideen ...Unsere Kinder sind hoch motiviert zu üben,
zu erkunden, zu forschen.“ Gibt es für einen pädagogisch
orientierten Komponisten ein schöneres Lob?
Drei Monate blieb Zeit für die Arbeit. Vor dem Konzert wollten
die Kinder dann noch mehr über den Komponisten wissen. Viele
Fragen waren nicht einfach und schnell zu beantworten. „Wie
sind sie auf die Idee gekommen zu komponieren?“ Oder: „Welches
Werk gefällt Ihnen am besten?“ Die Kinder wollten auch
wissen, ob ich eine Geige habe. „Haben Sie ein Haustier?“ Ich
versuchte, gewissenhaft und ehrlich zu antworten. Alle Fragen konnte
ich sicher nicht restlos klären. Ich bin aber sicher, dass
die betreuenden Lehrerinnen und Eltern der Kinder dranbleiben werden,
davon zu überzeugen, dass es viele gute, alte und neue Musik
gibt, dass Heute und Morgen immer wieder Musik entsteht, ja, dass
jeder von uns auf seine Weise Musik erfinden kann.
Gleich zu Beginn des Konzerts stand eine Uraufführung auf
dem Programm. Die Lehrerinnen spielten die Uraufführung eines
Satzes eines konsequenten, klar strukturierten Streichquartetts
von Katrin Rohlfs. Kleine Gruppen von Kindern improvisierten. Drei
Mädchen hatten auf ein großes Blatt Papier drei Gesichter
gemalt, eins lächelte, eins war nachdenklich, eins schien
traurig. Dann improvisierte ein Kind eine kleine Musik. Die Zuhörer
waren aufgefordert zu raten, welches der Gesichter gemeint war.
Zu meiner Sammlung kleiner Stücke zum Thema „Miteinander“ für
zwei Geigen und Cello hatten die Kinder noch zwei weitere Sätze
komponiert: „Durcheinander“ und „Auseinander“.
Andere Kinder hatten Sprichwörter vertont. Ein Abend also
voll mit Neuheiten, begeisterten, wirklich be-geisterten Kindern
und überströmend herzlichen Zuhörern, vor allem
wohl auch Eltern und Großeltern der Kinder auf dem Podium.
Nie habe ich einen schöneren Auftrag bekommen, selten so viel
Dank und Anerkennung gefunden.