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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 43
57. Jahrgang | Mai
Rezensionen-CD
Suche nach kosmischer Musik
Vytautas Bacevicius: Orchesterwerke
Toccata Classics 0049
Nahezu unbekannt ist der in Polen (Lodz) geborene und in Litauen
(Kaunas) aufgewachsene Komponist und Pianist Vytautas Bacevicius.
Dabei war er vor allem in den 1920er- und 1930er-Jahren auf internationalem
Parkett unterwegs. Als Pianist gab er Konzerte in Paris (wo er
bei N.N. Tscherepnin Komposition studierte), Berlin, Warschau und
Prag. Von seiner Tournee durch Südamerika Ende der 30er-Jahre
kehrte er, bedingt durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges,
nicht zurück. 1940 siedelte er in die USA, nach New York, über.
Dort teilte er das Schicksal vieler emigrierter Künstler:
Abgeschnitten von den künstlerischen Wurzeln betätigte
er sich vorwiegend als Privatlehrer und Pianist. Als Komponist
fehlte ihm auf Dauer die Verbindung zu Eu-ropa. Er starb 1970 in
New York.
Bacevicius war ein überzeugter Vertreter der musikalischen
Moderne, ging aber einen eigenwilligen Weg. Vor allem kompositorische
wie auch programmatische Anlehnungen an den Futurismus sind unverkennbar.
In seinem 1. Klavierkonzert von 1929 verbindet er heimische Volksliedthemen
mit einer der Spätromantik entronnenen futuristisch-archaischen
Klanggewalt. Ebenso gibt es aber auch das Zarte, Zerbrechliche,
Empfindsame. Im 1. Klavierkonzert beispielsweise im orchesterlosen
Beginn des Werkes.
„Poème Électrique“ nennt Bacevicius
ein großorchestral-wuchtiges,
gut fünfminütiges Orchesterwerk von 1929. Er selbst schrieb
dazu: „Maschinismus ist hier nicht nur zu verstehen als eine äußerlich
wahrnehmbare Offenbarung unseres Lebens, sondern auch als dessen
inneres Element.“ Überhaupt scheint die Ambivalenz von
innerer und äußerer Wahrnehmung ein besonderes Charakteristikum
Bacevicius‘ gewesen zu sein. Über seine Suche nach „kosmischer
Musik“ – auf dieser CD exemplarisch vertreten durch
seine einsätzige „Symphony No. 6 Cosmique“ von
1960 – äußerte er sich in ähnlicher Weise: „Eine
Suche nach kosmischer Musik ist die Suche nach unserem inneren
Universum.“
An futuristische Umsetzungen der Erfahrung des Ersten Weltkrieges
(zum Beispiel von A. Casella) erinnert Bacevicius‘ 2. Symphonie
mit der Überschrift „Della Guerra“ von 1940. In
dem bereits im Exil geschriebenen Werk thematisiert er detailliert
die ersten Episoden des Zweiten Weltkrieges: „... Deutschland überfällt
Polen; Flugzeuge fliegen, Bomben regnen herunter, Besetzung.“ Musikalisch
umgesetzt werden diese ungeheuerlichen Einschnitte mit umfangreichem
Schlagzeug- und Blechbläsereinsatz.
Eine in jeder Hinsicht begrüßenswerte CD, die zentrale
Werke eines Komponisten wieder zugänglich macht, der an der
Schnittstelle von Spätromantik, Futurismus und beginnender
Moderne laborierte; und der nicht zuletzt eine wichtige Figur der
polnisch-litauischen Musikgeschichte war.