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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 42
57. Jahrgang | Mai
Rezensionen-CD
Helden in Musikfreskos
Paraísos Perdidos/Verlorene Paradiese. Christophorus Columbus.
Montserrat Figueras & Arianna Savall, Sopran/Hespèrion
XXI & La Capella Reial de Catalunya, Ltg. Jordi Savall
Alia Vox AVSA9850 A+B (2 CDs in Buchedition), Harmonia Mundi
Miguel de Cervantes: Don Quijote de la Mancha. Romances y Músicas.
Montserrat Figueras & Arianna Savall, Sopran/Hespèrion
XXI & La Capella Reial de Catalunya, Ltg. Jordi Savall
Alia Vox AVSA9843 A+B (2 CDs in Buchedition), Harmonia Mundi
Die Entdeckung Amerikas und der Kampf gegen die Windmühlen
sind das Wenigste, was man über Kolumbus und Don Quijote weiß.
Aber sonst? Die historische Klangumgebung der beiden spanischen
Helden hat Jordi Savall, unermüdlich forschender Experte für
Alte Musik, in Programmen rekonstruiert, die je deren Persönlichkeit
mit dem Repertoire der Epoche in Verbindung bringen. Die Expeditionen
zum „Paraísos Perdidos“ beginnen mit „Alten
Weissagungen und Deutungen“ der Antike. Rezitiert wird im
Chor aus der Tragödie „Medea“ von Seneca die Sentenz „Tethys
wird uns neue Welten öffnen“, ein Versprechen, das 1492
im Kontext der Reconquista, der Vertreibung der Mauren und Juden
aus Spanien, für Kolumbus auf dem Weg zu unbekannten Horizonten
nachhallte. Gegen dieses Bild christlicher Überheblichkeit
und nationalen Stolzes stellt Jordi Savall ein transkulturelles
Musikfresko: sanft swingende Sufi-Hymnen, sephardische Romanzen
mit dem kristallklaren Sopran von Montserrat Figueras, arkadische
spanische Cantares, majestätische „Big Band“-Defilees
und ein in Ketschua gesungenes Prozessionslied zur Rehabilitation
der unterworfenen Völker Amerikas. Exzerpte „Aus dem
Leben des Admirals Kolumbus“ und anderen Quellen der Epoche
strukturieren die Musikfolge oder sind als Liedtexte in Spanisch,
Arabisch, Hebräisch, Aramäisch, Latein und Nahuatl integriert.
Ü
berraschend ist, dass Jordi Savall im Roman „Don Quijote
de la Mancha“ von Miguel de Cervantes viele Hinweise zu einem
Vokalrecital gefunden hat, ja der Autor selbst als Komponist identifiziert
wird und Musik also genuin für dieses geniale Buch ist. Entlang
von gesprochenen Textpartien sind deshalb verschiedene Romanzen,
der dominanten Gattung im spanischen Barock, angeordnet. Doch auch
ironische Canzones, Lieder im arabischen Stil, eine sephardische
Melodie zum „Lanzelot-Epos“, sehnsüchtige und
laszive Liebesgesänge mit Gitarren- oder/und Gambenbegleitung
sowie Tänze mit einem Grand Ensemble dekorieren die Abenteuer
des Don Quijote. Durch informative Essays werden die Konzeptionen
und die Kontexte beschrieben. Alle Dichtungen sind in fünf
Sprachen abgedruckt, viele Illustrationen ergänzen die sorgfältig
gestalteten Editionen in Buchformat. Die exzellenten Interpretationen
vom Hespèrion XXI und wunderbaren Vokalstimmen dieser Aufnahmen
entführen in so, unabhängig von Gedenktagen, noch nicht
erlebte Sphären musikalisch gedeuteter Ikonen mit welthistorischer
Wirkung: Ein Triumph editorischen Engagements und intellektueller
Toleranz.