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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 42
57. Jahrgang | Mai
Rezensionen-CD
Zweiterkundungen pianistischer Lava
Der Düsseldorfer Pianist Udo Falkner hat das Klavierwerk Wolfgang
Rihms eingespielt
Unter allen Komponisten-Vulkanen der Gegenwart zählt Wolfgang
Rihm bekanntermaßen zu den aktivsten. Allein die pianistische
Lava, die so ein Berg von sich wirft, hat in beinahe vier Jahrzehnten
mittlerweile selbst landschaftsbildend gewirkt. Da liegen sie nun – die
tonnenschweren Findlinge wie etwa das wild zerklüftete Klavierstück
Nr. 5 (Tombeau) aus der Sturm- und Drang-Zeit des Komponisten und,
nur ein paar Schritte weiter (da muss sich der Steinfeldwanderer
und Geröllhaldenexperte schon bücken, um sie richtig
in den Blick zu nehmen) die verhaltenen, so ganz in sich gekehrten „Zwiesprachen“,
eigentümliche Miniaturen, mit denen sich Rihm auf seine
Weise von seinen verstorbenen Freunden und Weggefährten verabschiedet
hat.
Musikalische Nachrufe, entstanden kurz vor der Epochenschwelle,
die ihrerseits viel von jenem romantischen Tonfall an sich haben,
mit dem der ganz junge Rihm Mitte der 60er-Jahre angefangen hat.
Siegfried Mauser und Bernhard Wambach, Erstvermesser, Ersterkunder
des Rihm’schen Landschaftsgartens, sind in ihren Einspielungen
an diesen „Kinder- und Bubenstücken“ (Rihm) noch
vorbeigegangen. Nicht so Udo Falkner. Überhaupt – in
dem Düsseldorfer Pianisten, Schüler von Max Martin Stein
und Ludwig Hoffmann, ist jenen beiden, ist Wambach und Mauser ein
interpretatorischer Mitstreiter, ein dritter Mann erwachsen, dessen
Lesart und Blick aufs Rihmsche Klavierwerk eine in mancher Hinsicht
neue, ungeahnte Qualität künstlerischer Sensibilität
und Qualität an den Tag legt. Mit telos music records hat
Udo Falkner zudem einen Partner gefunden, der seine ästhetischen
Ansprüche in luzide Aufnahmen umzusetzen versteht. Wenn Rihm
die „Klarheit der Zeichnung“ hervorhebt, mit der
sich Falkner seiner Klaviermusik angenommen habe, so darf solches
Lob wohl auch auf dieses glückliche Zusammenwirken von Interpretationskunst
und Aufnahmetechnik bezogen werden. Dabei sind die Hürden
einer solchen enzyklopädischen Anstrengung beträchtlich.
Die Rihms Klavierwerken eigene extreme Dynamik stellt notgedrungen
jeden Interpreten vor Herausforderungen. Erst recht denjenigen,
der, wie Falkner, aufs Ganze geht, der das gesamte veröffentlichte
einschließlich einer Reihe unveröffentlichter Rihmscher
Klavierwerke auszubreiten sich vorgenommen hat. Macht zusammen:
drei Stunden, drei CDs.
Gleichwohl wahren die Klänge, die Falkner seinem Steinway
D Flügel entlockt, in allen Lautstärkegraden eine
bestechende Binnen-Differenziertheit, ohne die intime Nähe
und Direktheit, ohne den Tugendweg exakt eingehaltener Metronomangaben
preiszugeben. Auf den zweiten Blick wird deutlich: Es ist eine
Aufnahme ganz aus dem Geist Stockhausens. Die Nähe, die Falkner
zur Ästhetik des jüngst verstorbenen rheinischen Komponisten
bekennt, dessen Kurse er besucht hat, zeigt sich in einer Eigentümlichkeit,
die auf CD-Einspielungen selten ist. Zu Beginn wie am Ende der
einzelnen Werke hat Falkner „Stille“ vorgesehen. Ein
interpretationspädagogischer Kunstgriff, den der Pianist
im Dienst der hörenden Adäquanz unmittelbar von Karlheinz
Stockhausen entlehnt hat. Musik als geistiges Ereignis ist zu wertvoll,
als dass sie „auf Knopfdruck“ zur Verfügung zu
stehen hätte. Die Gelassenheit, die meditative Ruhe, mit der
Falkner Rihms Klavierwerk 2004 in einem einzigen Konzertabend
in der Düsseldorfer Tonhalle ausgebreitet hat, ist nun auch
seiner Einspielung zuteil geworden. Auch im heimischen Wohnzimmer,
so das Credo, darf der Hörer nicht überfallen werden,
ist ihm Zeit und Raum zu geben, sich hineinzufinden. Diesem Ziel
dient auch die eigenwillige Werk-Anordnung, für die sich Falkner
wie schon im Düsseldorfer Konzertabend entschieden hat. Wo
sich etwa Bernhard Wambach in seiner Einspielung der Klavierstücke
an einer umgekehrten Chronologie orientiert, setzt Falkner ganz
eigene dramaturgische Akzente. Auf meditative Anfänge wie
dem Klavierstück Nr. 1 op. 8a (1970), den Fünf Klavierstücken
(1969) und den (von ihm als Zyklus sogar uraufgeführten) „Sechs
Preludes“ (1967) folgen – Spannung/Entspannung – markante
Fortsetzungen respektive Schlüsse, gewichtige Werke wie die
Klavierstücke Nr. 2, 5 und 7. Eine Näherung, die sich
nicht auf den ersten Blick erschließt, auf den zweiten durch
ihre Stringenz besticht.
Fazit: Eine hervorragende Einspielung von nicht selten berührender,
durchweg berückender Qualität. Ein Hörerlebnis.
Zu den Wermutstropfen der Produktion gehören ein leider nur
mühsam lesbarer Info- und Begleittext (weiße Schrift
auf grauem Grund) sowie ein Layout, bei dem die auf Knöpfen
sitzenden CDs regelmäßig herauspurzeln, wenn der
Faltkarton geöffnet wird. Allerdings: Der Ärger darüber
verfliegt schnell, wenn sich die Scheiben drehen.
Georg Beck
Wolfgang Rihm: Klavierwerke 1966 bis 2000
Udo Falkner, Klavier
3 CD Box
telos music records (TLS 108)