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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 47
57. Jahrgang | Mai
Rezensionen - DVD
Und der Haifisch, der hat Zähne
Die Lebensgeschichte des jüdischen Entertainers Kurt Gerron
auf DVD
Er sang den Gassenhauer der späten Roaring Twenties: „Mackie
Messer“. Und er war der große „Charge“ im
Kino der Weimarer Republik. Doch heute ist Kurt Gerron vergessen.
Damals war der jüdische Schauspieler, Sänger und Regisseur
Kurt Gerron der multimediale Unterhaltungskünstler par excellence.
Bis 1933 pendelte er ruhelos zwischen den Ufa-Studios und den Berliner
Cabarets hin und her. Man sah ihn an der Seite von Louise Brooks
in „Tagebuch einer Verlorenen“, Marlene Dietrich in „Der
Blaue Engel“ oder in „Die Drei von der Tankstelle“.
Während der Dreharbeiten zu „Kind, ich freu mich auf
dein Kommen!“ wurde er 1933 von den Nazis aus den Ufa-Studios
verbannt. Über Nacht brach damit seine Karriere in Berlin
ab. Und es begann eine Odyssee durch ganz Europa, die mit dem Tod
endete.
Gleich zwei Filme beschäftigten sich vor einigen Jahren mit
dem „Schicksal“ dieses einstigen Stars der Weimarer
Republik: „Kurt Gerron’s Karussell“ und „Gefangen
im Paradies“. Letzteren veröffentlichte nun Kinowelt
endlich auf DVD (über Arthaus). Während sich „Karussell“ auf
das letzte Kapitel seines Lebens konzentrierte, erzählt der
für den „Oscar“ nominierte Dokumentarfilm von
Malcolm Clarke und Stuart Sender Kurt Gerrons ganze Geschichte.
Noch einmal hören wir die alten Schlager, die Gerron einst
berühmt gemacht hatte: Friedrich Hollaenders „Nachtgespenst“,
Brecht/Weills „Dreigroschenoper“-Songs oder „Das
Herz eines Boxers“. Und wir sehen Gerrons imposante Erscheinung
in Pabst- und Sternberg-Filmen. „Stets hat er eine Zigarre
im Mund“, schreibt Karl Prümm, „die er als ein
auffälliges Requisit benutzt und zur Karikatur männlichen
Potenzgehabes macht. Entweder ist sie zu dick oder zu lang und
bildet so eine streng eingehaltene Analogie zum genauso maßlos
gigantischen Körper. Der komödiantische Effekt ist das
alles beherrschende Prinzip seines Spiels und seiner Selbstpräsentation.“
Im berühmt-berüchtigten Nazi-„Dokumentarfilm“ „Der
ewige Jude“ wählte man ihn als „Verkörperung“ jüdischer
Schauspielkunst. Schon in der späten Weimarer Republik war
er zum Hassobjekt für die Nazis geworden. Und so war es klar,
dass nach der „Machtergreifung“ seine Tage bei der
Ufa gezählt waren.
Romys Mutter Magda Schneider, der junge Star seines letzten Films,
erinnert sich daran, wie Kurt Gerron als jüdischer Regisseur
vom Set seines eigenen Films vertrieben wurde. Kurz danach
versuchte Kurt Gerron sein Glück in Frankreich und Österreich. „Bretter,
die die Welt bedeuten“ heißt vielsagend der Titel seines
letzten deutschsprachigen Films. In Amsterdam glaubte er danach
eine neue künstlerische Heimat gefunden zu haben. Angebote,
nach Hollywood zu kommen, schlug er anfangs noch stolz aus. Weil
man ihm nur die zweite Klasse für die Überfahrt zahlen
wollte, blieb er in den Niederlanden. Als es dort für ihn
immer enger wurde, bat er den Hollywood-Agenten Paul Kohner um
eine zweite Chance. Doch inzwischen war es zu spät geworden.
Als die Wehrmacht in die Niederlande einmarschierte, fielen er
und seine Familie der Gestapo in die Hände.
Im Durchgangslager Westerbork hatte Gerron in Max Ehrlichs „Bühne
Lage Westerbork“ noch einmal seinen gro-ßen Auftritt
bis er als „Zivilverdienstjude“ in das „Vorzugslager“ Theresienstadt
deportiert wurde. Dort gründete er dann auch das Kabarett „Karussell“,
dem der andere Gerron-Film gewidmet ist. 1944 schließlich
ließen die Nazis dort Kurt Gerron als Regisseur den berühmt-berüchtigten
Film über das Kulturleben in Theresienstadt drehen: „Der
Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Ein Titel, der
sich inzwischen als falsch herausgestellt hat. Wie ein holländischer
Forscher feststellte, hieß der korrekte Titel dieses Machwerks,
das nie offiziell aufgeführt wurde: „Theresienstadt – ein
Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“. Als
Gage versprach man Gerron die Freiheit. Doch Ende Oktober wurde
auch er nach Auschwitz deportiert.