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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 44
57. Jahrgang | Mai
Noten
Neues für Violine solo und im Ensembleklang
Notenausgaben für die Geige: Alexander Wustin, Lera Auerbach,
Leopold Dancla, Peter I. Tschaikowsky und Kim Märkl
Alexander Wustin: Solo für Violine. M.P. Belaieff Nr. 751,
Mainz 2007
„Beeindruckt von ihrem Lächeln und ihrer meisterlichen
Spielweise“ war der Komponist Alexander Wustin (geb. 1943),
als er die ebenfalls aus Russland stammende Geigerin Anna Rabinova
kennenlernte. Ihr widmete er sein „Solo für Violine“,
eine Komposition von etwa sechs Minuten Dauer, die sich aus früheren
Werken Wustins der Jahre 1975 und 1984 zusammensetzt. Sie besteht
aus zwei Teilen: einer „Widmung“ und einer „Szene“.
Alexander Wustins Kompositionsstil folgt keiner bestimmten Schule
oder Mode, was sich auch im „Solo“ deutlich zeigt.
Tänzerische, an Folklore erinnernde Passagen folgen auf mystisches
Tremolo-Flageolett und flirrende Quintolen-Läufe. Ein entscheidendes
Element ist für Wustin die Einbeziehung der Zeit: „Als
meine Aufgabe betrachte ich es, in jedem Einzelfall die Wirkung
eines allgemeinen Gesetzes nachzuspüren und mich ihm im Kompositionsprozess
unterzuordnen. Die Unterordnung der konkreten Zeit eines Werkes
unter absolute, auf Zahlen zurückführbare Gesetzmäßigkeiten
macht ein Werk aufregend und anspruchsvoll.“ An Anspruch
fehlt es dem „Solo“ sicher nicht. Einige auf den ersten
Blick nicht ganz eindeutige Spielanweisungen fordern eine intensive
Beschäftigung mit dem Material. Doch wer bei Taktangaben wie „5/4+3/8“ und
wiederholten Vorzeichen vor jedem Ton nicht aufgibt, den erwartet
ein effektvolles Stück Violinliteratur.
Lera Auerbach: Sonate Nr. 2 für Violine und Klavier „Der
11. September“. Edition Sikorski 8551. Exempla nova
Unmittelbar nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 begann
die russisch-amerikanische Pianistin und Komponistin Lera Auerbach
(geb. 1973), ihre Gefühle in der Sonate Nr. 2 op. 63 für
Violine und Klavier zu verarbeiten. Die Komponistin selbst schreibt über
die Entstehung des einsätzigen Werks: „Wie der Phönix,
der stirbt, um wiedergeboren zu werden, wurde diese Sonate aus
dem Tod geboren. All die verschiedenartigen Emotionen, die ich
damals durchlebte – Schock und Schmerz, Trauer und Hoffnung,
Wut und Verzweiflung, Erinnerung und Zweifel –, nahmen im
Material dieses Werkes Gestalt an.“ Dies geschieht kontrastreich
in Form von einerseits minimalistischen Sechzehntelwiederholungen
und Akkorden im marcato energico, dann wieder in ausgehaltenen
Klängen und melodischen Abschnitten. Ein sehr persönliches
und emotional aufwühlendes Werk. Sowohl der virtuose Violin-
als auch der Klavierpart sind in herkömmlicher Notation geschrieben
und daher sofort umsetzbar. Genaue Angaben zur Spielweise erleichtern
die Interpretation des anspruchsvollen, etwa 10-minütigen
Stücks. Fingersatzvorschläge sind in den Stimmen nicht
angegeben. Im Oktober 2003 wurde die Sonate „Der 11. September“ in
New York uraufgeführt. Eine erste CD-Einspielung mit Vadim
Gluzman und Angela Yoffe liegt bereits vor.
Antonia Bruns
Leopold Dancla: Trio in G op. 25 für zwei Violinen und Viola
oder Cello. Musikverlag Varner München 2006, MCV 1080
Leopold Dancla lebte von 1822 bis 1895. Er war Schüler von
Baillot und später selbst erfolgreicher Professor am Pariser
Konservatorium. Dancla schrieb, geprägt von Paganini und Vieuxtemps
einige Kammermusikwerke. Mit seinen Brüdern Charles und Arnaud
Dancla spielte er seine Werke regelmäßig in Kammermusikabenden.
In seinem Besitz befanden sich vier Stradivariusgeigen, die später
den Namen „Dancla“ erhielten. Das vorliegende Trio
op. 25 ist seit Jahrzehnten vergriffen und jetzt dankenswerterweise
in typisch edel-stylishem Varner-Format erneut auch Mittelstufenschülern,
die sich mit Doppelgriffen auskennen, zugänglich.
Peter I. Tschaikowsky: Violinkonzert op. 35. Ed. P. Vajdman und
W. Haug-Freienstein. G. Henle Verlag München 2005, HN 685
Eduard Hanslick, der gefürchtete Kritiker seiner Zeit, fand
anlässlich der Uraufführung nur
wenig gnädige Worte: Es werde nicht mehr Violine gespielt,
sondern „gezaust,
gerupft, gebläut“. Den Siegeszug von Tschaikowskys
einzigem Violinkonzert konnte
er dennoch nicht aufhalten. Endlich und erstmals liegt nun auch
dieser Meilenstein der Violinliteratur in einer textkritischen
Ausgabe vor, die seiner ursprünglichen Gestalt gerecht wird.
Katharina Apostolodis
Kim Märkl: „Die geheimnisvolle Schachtel“ für
Violine, Sprecher und Klavier. Zimmermann, ZM 34920, Frankfurt
a. Main 2007, als Buch (ZM 00031) bereits 2004 erschienen, Audio-CD
erhältlich (ZM 75002)
In einer „geheimnisvollen Schachtel“ auf dem Dachboden
befinden sich handgeschriebene Geschichten, die der Urgroßvater
eines Jungen mit Namen Rafael geschrieben hat. Eine davon erzählt
von einem 12-jährigen Jungen, der ebenfalls Rafael heißt,
beim Geigenbauer Niccolò Amati in der Werkstatt arbeitet
und dessen größter Wunsch es ist, selber Geige spielen
zu lernen. Heimlich übt er auf den wunderbaren Geigen des
Meisters, der seinen Wunsch, Geiger zu werden, erkennt und ihm
eine Geige baut, die, als Rafael sie spielt, den schönsten
Klang der Welt hat.
Diese Geschichte wird von einem Erzähler rezitiert, dazwischen
klingt virtuose, gefühlvolle Musik, gespielt von Geige und
Klavier (ursprünglich Streichorchester). Kim Märkl, 1961
in den USA geboren, hat romantisch bis modern klingende tonale
Melodien komponiert, begleitet vom weitgehend in traditioneller
Harmonik gehaltenen Klavierpart. Beide Stimmen verlangen fortgeschrittenes
Können. Auf der Geige ist das Spiel in höheren Lagen,
Doppelgriffe und differenzierte Bogentechnik gefragt.
Die Geschichte rund um die Musik mag motivierend für den Spieler
wirken, kann aber auch helfen, die Musik zu verstehen, nachzuempfinden
und damit überzeugend vortragen zu können. Ein Werk,
das ausdruckstarkes Spiel fördert und besonders für Geigenspieler
mit einer Neigung zu romantischen Lebensgefühlen geeignet
ist.