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nmz-archiv
nmz 2008/05 | Seite 34
57. Jahrgang | Mai
Arbeitskreis
Musik in der Jugend
Mit den Ohren singen
450 Teilnehmer beim 6. Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme
Leipzig. Der riesige Hörsaal in der Musikhochschule ist bis
auf den letzten Platz besetzt. Der Dozent steht am Rednerpult und
alle lauschen. Plötzlich tuschelt es auf allen Rängen.
Das Wispern schwillt an und bemüht sich nicht einmal um Diskretion.
Eine Vorstellung, die jedem Professor den Angstschweiß auf
die Stirn treiben würde. Nicht aber Claus Harten. Vielmehr
ist seine Probe aufs Exempel blendend gelungen. Sein interaktiver
Vortrag zur „Kunst der stimmigen Kommunikation“ brachte
die Zuhörer ins verstehende Gespräch.
Zahllosen Menschen verhalf der Kommunikationstrainer und Musiker
schon zum ziel- und lösungsorientierten Gedankenaustausch.
So auch den fast 450 Teilnehmern des 6. Leipzigers Symposiums zur
Kinder- und Jugendstimme. Sie hatten beratschlagen sollen, wie
eine prekäre zwischenmenschliche Situation in einem Chor durch
ein sorgfältig vorbereitetes Gespräch gelöst werden
kann. Hartens Frage „Wie schaffe ich es, zu sagen, was ich
will, sodass der andere hörend mich versteht, auf dass wir
gemeinsam handeln?“ fand eine scheinbar leichte Antwort:
Der Ton macht die Musik. Zumal Musik wohl die unmittelbarste und
emotionalste Form der Kommunikation ist. Was das Hören, Verstehen,
Sortieren von Informationen und Emotionen sowie die Artikulation
erschwere, sei der Überückstand.
Über die kausalen Zusammenhänge zwischen „Hören – Wahrnehmen – (Aus)Üben“ informierten
sich beim Stimmsymposium in der Musikstadt Leipzig Wissenschaftler,
Mediziner, Musiker, Sänger, Gesangspädagogen und Stimmtherapeuten
aus ganz Deutschland. Sie waren begeistert von Inhalt und Form
des einzigartigen interdisziplinären Forums. Zwei Tage lang
schenkten sie der attraktiven Kombination aus Fachvorträgen,
Workshops und hochklassigen Vokalkonzerten offene Ohren. Regie
führten einmal mehr die phoniatrische Abteilung der HNO-Klinik
Leipzig und der Arbeitskreis Musik in der Jugend in Kooperation
mit der Leipziger Musikhochschule und dem Bundesverband Deutscher
Gesangspädagogen. Mit dem ehemaligen Thomaner Dr. Michael
Fuchs, wissenschaftlicher Leiter des Symposiums und Leiter der
Abteilung für Stimm-, Sprach- und Hörstörungen an
der Uni Leipzig, gingen die Disziplinen auf die spannende Reise
des Schalls durch Ohr, Gehirn und Stimmapparat bis zu den Lippen.
Aus berufenen Mündern erfuhren sie, dass die Qualitäten
des Ohres, je früher desto besser, trainierbar sind und dass
die Schärfung der akustischen und der emotionalen Wahrnehmungsfähigkeit
Stimmklang und (künstlerische) Ausdrucksfähigkeit verbessert.
Interessensüberschneidungen gab es auch im Hinblick auf angeborene
wie erworbene Störungen der Schallleitung und damit des Hörens
und Verstehens, auf die verheerenden Folgen (Spracherwerb, Musikempfinden),
wenn diese nicht oder zu spät erkannt werden und therapeutische
Möglichkeiten bis hin zum Heilen mit Musik.
Wissenschaftliche Untersuchungen erinnerten daran, dass regelmäßiges
und qualifiziert begleitetes Singen von Kindesbeinen an positiven
Einfluss hat auf die Klangwahrnehmung und die bewusste Steuerung
des Stimmapparates. Bei allen Gefahren durch schlecht geschulte
Bezugspersonen, falsch ausgewählte Literatur oder Missachtung
individueller Stimm- und Persönlichkeitsentwicklung überwögen
die besseren Chancen singender Kinder. Daran ändere auch die
Tatsache nichts, dass es Stimmapparate „für nen Groschen,
nen Fuffziger oder ne Mark“ gibt.
Dass es mit Üben allein nicht getan ist, zeigten Parallelen
zur Motivationsforschung im Hochleistungssport und der Blick hinter
die Kulissen eines Kinderchores. Neben der Balance aus Belastung
und Entspannung sei es vor allem die Freude, die es zu erhalten
gelte. Wesentliche Grundlagen: Das Wahrnehmen und Respektieren
von Kindern unabhängig von Leistung, Schaffen von Geborgenheit
und Emotionalität. Auch die Stimme eines Kindes, das mit Begeisterung
ungeniert laut und falsch singt, könne mithilfe seiner Lust
am künstlerischen Ausdruck entwickelt werden. Dazu gehörten
technische Übungen genauso wie das Schulen von Aufmerksamkeit
und dem Sinn für Stille.
Die Teilnehmer ließen sich begeistern von praktischen Übungen
zu Stimmklanglauschen, sensitivem Singen, spielerischem Umgang
mit der Stimme oder dem Zugang zum Klanginstrument Körper
mithilfe von Sprach- und Klangphantasien. Besonders intensiven
Eindruck hinterließ ein Workshop zur relativen Solmisation,
also der elementaren Erfahrung mit Musik von klein auf – eine
wieder in Mode kommende Methode, Musik nicht zu erklären,
sondern Spannungsbögen und Rhythmen theoriefrei über
das Hören, Wahrnehmen und Üben zu erspüren und so
fürs Leben zu verinnerlichen. Verinnerlichen sollte man sich
auch schon den Termin für das kommende Jahr: Das 7. Symposium
zur Kinder- und Jugendstimme wird vom 20.-22. Februar 2009 stattfinden.