Aktuelle Ausgabe
Nehmen Sie Kontakt zur nmz auf
Holen Sie sich die nmz ins Haus
Archiv und Sitemap der neuen musikzeitung
Links zum Musikleben
neue musikzeitung interaktiv
Taktlos - Das Musikmagazin des bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung
Fortbildung - Stellenmarkt der nmz
Die nmz als Werbeplattform
zurück zur vorherigen Seite
Startseite der neuen musikzeitung, nmz aktuell
Counter





Ausgabe 2008/05
Inhaltsverzeichnis
Archiv und Suche
[an error occurred while processing this directive]
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nmz-archiv

nmz 2008/05 | Seite 33
57. Jahrgang | Mai
ver.die
Fachgruppe Musik

Wo die Bertelsmänner flöten

Fortissimo und nicht mehr schleichend: das private Kapital besetzt sogar die Musikschule

„Die Stiftung legt Konzepte auf den Tisch, die Politik setzt die Dinge um“, sagte Andreas Henke, Pressesprecher der Bertelsmann Stiftung (BS), im Jahr 2003, bezugnehmend auf die forcierte Durchsetzung des Public-Private-Partnership-Konzeptes (PPP) durch die damalige SPD-Führung. Dem ist kaum zu widersprechen.

Zu nennen wären der neoliberale „Umbau“ in der Gesundheits- und Bildungspolitik, der des Arbeitsmarktes. Vorgedacht und mit auf den Weg gebracht hat die BS auch die EU-Verfassung und die Militarisierung der europäischen Außenpolitik. Beteiligt waren ihr verbundene Organisationen CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) und CAP (Centrum für angewandte Politikforschung). Als Global Player ist der Bertelsmann-Konzern auch an den GATS-Verhandlungen (Abkommen über den weltweiten Handel mit Dienstleistungen) im Rahmen der WTO und über den European Round Table of Industrialists (ERT) an der Formulierung der EU-Richtlinien zur Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte beteiligt – wozu auch Bildung und Kultur gehören. Private Bildungsunternehmen wie der European Educational Testing Service, der unter anderem hinter PISA steckt, entsandten zu den GATS-Verhandlungen als ihren Vertreter einen „Bertels-Mann“.

Unweit von Kanzleramt und Reichstag, Unter den Linden 1 gelegen, demonstrieren die Gütersloher mit ihrer Repräsentanz ihren Einfluss auf Politik und Gesellschaft: als viertgrößter Medienkonzern der Welt, mit einem Jahresumsatz von knapp 20 Milliarden Euro und einem Gewinn von einer Milliarde Euro treibt der Konzern die Politik regelrecht vor sich her. Weltweit 97.000 Mitarbeiter sind für den Konzern unterwegs.

Nach eigenem Bekunden sieht sich die BS als „Reformmotor für Deutschland“. Am Charakter dieser „Reformen“ besteht freilich inzwischen kein Zweifel mehr: HARTZ I bis IV, Agenda 2010, Studiengebühren, Stiftungsuniversitäten, das „Hochschulfreiheitsgesetz“ in NRW – und zunehmende Armut. Ihr Image scheint aber weiterhin makellos. Umgeben von einer Aura der Uneigennützigkeit war sie bisher selbst in Gewerkschaftskreisen (Hans-Böckler Stiftung, GEW als Partner in der Bildungskommission NRW, Haus des Lernens) unumstritten und als Ideengeber akzeptiert.

Staat und Verwaltung „unter Druck setzen“

1977 wurde die BS gegründet, inzwischen hält sie 76,9 Prozent der Anteile an der Bertelsmann AG, was ihr derart große Steuervorteile verschafft, dass diese ihre Ausgaben bei weitem übersteigen. Das heißt: Wir alle zahlen auch noch für unsere schleichende Entmündigung. Dabei sind die Konzepte ihres Gründers Reinhard Mohn von verblüffender Schlichtheit: Die Gesellschaft soll wie ein Unternehmen geführt werden. Von der Kita bis zur Hochschule, von der Kommune bis zur Weltpolitik.

Effizienz ist das Zauberwort, um das sich bei Bertelsmann alles dreht. Es gilt, die Logik von Markt und Konkurrenz überall so zu implementieren, dass sie bis hinunter zu jedem einzelnen Arbeitsplatz wirksam werden kann, um so den Druck des Marktes in die „Eigenverantwortung“ des einzelnen zu verlagern. Alles und jedes wird in aufwendigen Evaluationsverfahren miteinander verglichen, Städte, Institutionen, Verwaltungen – erinnert sei an das E-Dur-Verfahren beim VdM.

Dabei steht für Mohn schon im Vorfeld fest, wo das Problem liegt: Im angeblich aufgeblähten Sozialstaat. „Er kann es einfach nicht“, ist seine stereo­type Grundüberzeugung. „In der Stiftung erlebe ich das jetzt ja ständig, dass ich gestalten und Probleme lösen kann – eine wunderbare Sache. Wenn man warten wollte, bis Staat und Verwaltung sich in ihrer Denkweise wandeln, würde es natürlich endlos dauern. Man kann Staat und Verwaltung aber auch unter Druck setzen, indem man Zwänge und Wettbewerb schafft. Das funktioniert hervorragend, auch in dem Bereich, über den wir jetzt sprechen“ („Braucht Kunst eine Führung?“, Gütersloh, 1993, S. 47/48). Unter dem Dauerbeschuss Bertelsmann‘scher Massenmedien (Gruner & Jahr, RTL Group) wurde der Öffentlichkeit so jahrelang, ohne großen Widerstand hervorzurufen, die Demontage ihrer Daseinsvorsorgeeinrichtungen als „Reform“ verkauft. Ihren Geschäftsinteressen entsprechend, geriet auch Kultur, insbesondere die Musik, in den Fokus der Mohn‘schen Aufmerksamkeit.

Den (neoliberalen) Wandel „gesellschaftsverträglich“ zu gestalten und „Orientierungspunkte (!) für die Menschen zu setzen“, darin sieht Liz Mohn 1995 auf einem Symposium der BS die Hauptaufgaben künftiger Kulturpolitik („Ziele und Verantwortung der Kulturpolitik“, Gütersloh, 1995, S. 9). Seit dem Schuljahr 2005/06 versucht die BS beziehungsweise die neu gegründete Liz Mohn Kultur-und Musik-Stiftung (LMKMS) in Zusammenarbeit mit den Kultusministerien in Hessen, Niedersachsen und NRW Vorstellungen einer stärker betonten musikalischen Ausrichtung in den Schulunterricht zu tragen, indem sie dort musikalische Grundschulen einrichten lässt. In NRW wird ihre Präsenz beim Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) hinter dem Engagement von Rüttgers zwar weniger sichtbar, ihre inhaltliche Urheberschaft kann jedoch angenommen werden. Dabei hätte eine Stärkung des „Nebenfachs“ Musik im Schulalltag durchaus positive Seiten und verdiente, unterstützt zu werden.

Für „JeKi“ bringt das Land zwar eine zweistellige Millionensumme auf; die noch ungeklärte Frage der Finanzierung nötiger Instrumente richtet sich an private Stifter und spekuliert dabei auf einen Motivationsschub bei den „Bürgerstiftern“ durch die Novellierung des Stiftungsrechts Anfang 2007. Damit erhält „JeKi“ den Charakter einer enormen öffentlich-privaten-Partnerschaft und wird zum Pilotprojekt für die künftige Ausrichtung der Musikerziehung – und somit zu einem weiteren Einfallstor für die Interessen privaten Kapitals und der Musikindustrie im bisher staatlich organisierten Bildungswesen. Nicht zufällig sitzt seit 2005 Liz Mohn im neu gegründeten Kuratorium des VdM, das dabei flankierend Patenschaften mit ausgewählten Musikschulen anvisiert.

Diese und andere vorwiegend an den Interessen der Wirtschaft orientierten schulpolitischen „Reformen“ kollidieren allerdings erheblich mit dem bisherigen Tätigkeitsfeld der kommunalen Musikschulen, die in einen marktförmigen Wettbewerb untereinander und mit privaten Anbietern um die Erbringung musikalischer Dienstleistungen für die „autonomen“ Schulen (eigenes Budget) gezwungen werden. Die sukzessive Schulzeitverkürzung und die weitere Entwicklung zur Ganztagsschule werden es den Musikschullehrern bei realistischer Betrachtung des Schulalltags künftig kaum noch möglich machen, ihren traditionellen individuellen Instrumentalunterricht durchzuführen. Einige mag man in Gruppen- oder Klassenunterrichtsprojekten unterbringen. Tariflich abgesicherte Normalarbeitsverhältnisse für Musiklehrer, wie bisher, sind künftig wesentlich erschwert. Für Kooperationen mit den Schulen sind fest angestellte Musiklehrer einfach zu teuer, zudem gibt es genügend verfügbare, billigere „Freie“, wodurch der Druck, bestehende Tarifvereinbarungen zu umgehen oder aufzugeben, immer größer wird. Vermutlich geht es hier nur noch um musikalische Grundversorgung. Einzelne Module einer weiterführenden Qualifikation wird man sich woanders hinzukaufen müssen. Musiklehrer werden einstweilen von Projekt zu Projekt geschoben, zu wenig qualifiziert für die neuen Aufgaben, überfordert, zu zusätzlichem, unbezahltem Zeitaufwand gedrängt und gezwungen, alles zu dokumentieren, um noch mehr Kennziffern für Evaluationen zu produzieren.

„Die Weichen sind gestellt“, schreibt Ulrich Steiner im Vorwort zur 2006 vom ver.di-Bundesvorstand, Fachgruppe Musik, herausgegebenen Broschüre „Musikschule im Wandel“. Durchaus zutreffend konstatiert diese Broschüre die Erscheinungsformen der Transformation von öffentlich zu privat. Im Sprachduktus erinnert ihr Autor Michael Frangen jedoch an einschlägige Publikationen aus der Gütersloher „Reformwerkstatt“. Mit einem korporativen Appell an die Kollegen, sich ungeachtet ihrer unsicheren Arbeitsverhältnisse für den Erhalt „ihrer“ Musikschule krumm zu machen, verschweigt er aber das Wichtigste: Das sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsverhältnis für Musiklehrer steht zur Disposition.
Während also die Musikschule rentabel gemacht wird, bestehende Tarifbindungen ausgehebelt und prekäre Arbeitsbedingungen geschaffen werden, gewinnt die Frage der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft der Musikschule immer mehr an Aktualität. „Privat vor Staat?“ Bekannt ist, dass die BS seit Jahren das Konzept der Bürgerstiftung vorantreibt: „Obwohl es (...) in der angloamerikanischen Welt eine lange Tradition hat, ist es weltweit erst in den letzten zehn Jahren auf zunehmendes Interesse gestoßen. (...) Um diesem internationalen Trend Ausdruck, Kraft und Stimme zu geben, haben die Bertelsmann Stiftung und die Charles Stewart Mott Foundation (Michigan, USA), die seit Jahrzehnten Pionierarbeit bei der Entwicklung von Community Foundations leistet, eine strategische Allianz zur Förderung von Bürgerstiftungen in Deutschland und Europa vereinbart.“

Diese Bürgerstiftungen sprießen seit vier Jahren überall in NRW aus dem Boden wie die Pilze. In NRW wollen erste Kommunen ihre Musikschulen in PPP mit Bürgerstiftungen betreiben. Wenn dies strategisch auf breiter Front mit beträchtlichen Finanzmitteln vorangetrieben durch die BS geschieht, müssen die Alarmglocken schrillen. Schleichend werden Gesellschaft, Staat und Geistesleben auf die Absatzinteressen der Unternehmer hin konditioniert. – Verborgen hinter einem pseudo-basisdemokratischen Wortgeklingel wie „bürgerschaftliches Engagement“, „Bürgerbeteiligung“, „lokale Demokratie“.

So gesehen steht hinter den Bürgerstiftungen bereits die Bertelsmann Tochter Arvato in den Startlöchern, die in einer Probephase mit der kompletten Verwaltung der englischen Stadt East Riding betraut, inzwischen in Würzburg ihre erste elektronische Stadtverwaltung (e-government) betreibt. Für andere kurzsichtige Kommunalpolitiker erklärtermaßen modellhaft, würden sie ein Mehr an Ausgaben zugunsten kurzfristiger finanzieller Entlastungen in Kauf nehmen. Für Bertelsmann hätte sich die „Investition in die Zukunft“ dann endlich ausgezahlt.

Wird man sich künftig auf Bedienstete von Arvato in öffentlichen Verwaltungen einstellen müssen? Müssen diese privat-rechtlichen Einrichtungen dann noch gewerkschaftliche Organisierung anerkennen?

Mitbestimmung schrittweise außer Kraft gesetzt

In dieser „Bürgergesellschaft“ von etwa 25 Prozent der Bevölkerung kommen die, die zunehmend weniger von ihrer Arbeit leben können, nur noch am Rande vor. Demokratie verschwindet, privater Reichtum bestimmt.

Andererseits zeigt sich aber auch schon ein Umdenken. Zwar stehen in jeder sechsten deutschen Kommune Privatisierungen an, aber auch schon in jeder zehnten beginnt man darüber nachzudenken, privatisierte öffentliche Einrichtungen zu rekommunalisieren: Die Bevölkerung ist zunehmend unzufrieden mit dieser Privatisierungspolitik. Auch der ver.di-Bundeskongress beschloss, die bisherigen Aktivitäten und strategischen Ziele der Bertelsmann-Stiftung im Zusammenhang mit der Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen kritisch zu untersuchen und keine Bertelsmann-Foren bei ver.di-Veranstaltungen mehr zuzulassen.

Eine wirkliche Reform in Bildung und Kultur ist aber nur mit einer umfassenden Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses gegenüber dem neoliberalen Mainstream möglich.

Friedrich Kullmann

 

Social Bookmarking
Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Newskick Bookmark bei: Newsider Bookmark bei: Folkd Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Digg Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Reddit Bookmark bei: Slashdot Bookmark bei: Netscape Bookmark bei: Yahoo Bookmark bei: Google Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Newsvine Bookmark bei: Ma.Gnolia Information

| top | nmz-start | kontakt |
| aktuelle ausgabe | kulturinformationszentrum | archiv/suche | abonnement | leserbrief |
| © 1997-2008 by neue musikzeitung und autoren | Impressum | Alle Rechte vorbehalten |