Blumen stecken, Noten stechen, schöne Musik zeichnen
Klang-Kalligraphie beim „Mouvement“-Festival für
Neue Musik in Saarbrücken mit dem Komponisten Toshio Hosokawa
Ein Kalligraph ist nach der griechischen Wortbedeutung ein Schönschreiber,
und wenn er nur schön genug schreibt, darf man seine Arbeit
als Schönschreibkunst bezeichnen. Im Zeitalter der Schreibmaschinen
und Computer und dem Geschmiere mit Kugelschreibern hat sich die
schöne Schreibkunst bevorzugt nach Asien, nach Japan zurückgezogen.
Dort pflegt man noch die Tradition der Kalligraphie in einem weiteren
und höheren Sinne: Auch in der Musik gibt es Kalligraphen,
nur dass deren Schrift vornehmlich aus Noten besteht. Ein exponierter
Repräsentant der musikalischen Kalligraphie ist der japanische
Komponist Toshio Hosokawa. Beim Saarbrücker „Mouvement“-Festival
2008 fungierte er als „Composer in residence“. Als
gewichtige Uraufführung erklang Hosokawas Zwanzig-Minuten-Werk „Cloud
and Light“ für Shô und Orchester.
Einatmen,
ausatmen, immer entströmen schöne Töne und
Klänge den siebzehn Bambuspfeifen der Shô,
der japanischen Mundorgel: Mayumi Miyata hat ihre Shô zum
Solo-Instrument gemacht, für das ihr viele bekannte
Komponisten eigene Werke schrieben. Foto: Charlotte
Oswald
Kalligraphie bedeutet für Japaner nicht allein „schönes
Schreiben“. Ein ganzer, reich facettierter und differenzierter ästhetischer
Kosmos breitet sich unter diesem Begriff aus. Der Kalligraph setzt
mit der Schrift auch optische Zeichen, spielt malerische oder zeichnerische
Gesten aus. Es ist die „Kunst des gemalten Wortes“,
wie es Heinz-Dieter Reese in seiner instruktiven Einleitung zum
Programmbuch des Festivals bezeichnet. Toshio Hosokawa, 1955 in
Hiroshima geboren, heute in Deutschland lebend und zunächst
sehr stark mit westlichen Musiktendenzen konfrontiert, neigt sich
in seinem Komponieren immer stärker und entschiedener einer
selbst in Japan oft verschütteten Tradition zu. „Meine
Musik ist Schriftkunst (Kalligraphie) in Zeit und Raum. Jeder einzelne
Ton in ihr besitzt eine Form für sich, ist Punkt oder Linie,
mit dem Pinsel auf eine weiße Leinwand des Schweigens gemalt.
Deren freier Rand, als Teil des Schweigens, ist genauso wichtig
wie der hörbare Rest.“
Hosokawa will mit seiner Musik in die in einem höheren Sinne
verstandene „Natur“ eindringen. Aus ihr entspringt
alles Leben. Sie strahlt die Energien ab, die dieses Leben prägen.
Für diese Energiewirkungen steht in Hosokawas Musik jeder
einzelne Ton. „Ich versuche mit meiner Musik das Energiezentrum
menschlichen Lebens zu berühren“, sagt der Komponist. „Jeder
einzelne Ton muss eigenes Leben haben, Musik sollte unbedingt das
,Ki‘, die Urenergie der Natur in sich tragen“. Hosokawa
verweist dabei auf die „Atemlehre der zen-buddhistischen
Meditation“, auf das „kontrollierte Aus-und Einatmen“,
das sich in seiner Musik als permanenter Wechsel zwischen „Ton
und Schweigen“ darstellt. Aus jedem Ton-Punkt wachsen durch
Fortsetzen Lineaments heraus. Dass eine so verstandene kompositorische
Schöpfung, zumindest formal betrachtet, kein ausschließlich
japanisch-asiatisches Phänomen ist, zeigten auch die diesjährigen
Wittener Kammermusiktage für Neue Musik, die sich thematisch
mit dem wieder erwachten linearen Denken in der aktuellen Musik
beschäftigten und dazu zahlreiche signifikante Beispiele komponieren
ließen. Siehe dazu unseren Bericht in der letzten Ausgabe
der nmz 6/2008 auf den
Seiten 35 und 36.
Die entschiedene Hinwendung japanischer Komponisten wie Hosokawa
zu den überlieferten musikalischen Quellen des eigenen Landes
bewirkte auch die Renaissance des dazu gehörenden Instrumentariums.
Eine zentrale Rolle eroberte sich dabei die japanische Mundorgel
Shô, die aus der chinesischen Sheng abgeleitet wurde. Aus
den siebzehn verschieden langen Bambuskapseln entsteht über
eine Windkapsel und Metallzungen durch Ein- und Ausatmen ein fast
seraphisch schwebendes Klangband, das oft wie ein Continuo-Instrument
klingt. Durch die Shô-Spielerin Mayumi Miyata ist das Instrument
nicht nur allgemein bekannt geworden, viele Komponisten haben für
Mayumi Miyata auch eigene Stück geschrieben und so die Shô zum
Solo-Instrument befördert. In der Oper hat Helmut Lachenmann
in seinem „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ eine
lange Shô-Passage für Mayumi Miyata vorgesehen. In Saarbrücken
trat Mayumi Miyata in Hosokawas „Cloudscape Moon-Night“ für
Shô und Akkordeon und den „Birds Fragments II“ für
Shô und Schlagzeug auf, wo zu den Instrumenten auch eine
Tänzerin, die schlangenbewegliche Brittany Fridenstine, expressive
Körpermotionen als plastische Zeichen in den Raum stellte:
sozusagen „Kalligraphie mit dem Körper“.
Zu Kalligraphie kann auch das zeremonielle Blumenstecken, das
Ikebana, gezählt werden. In einer Performance führte das Tamao
Sano mit Anmut und erfüllter Ruhe vor, auch hier vom Shô-Klang
Mayumi Miyatas sanft in zarte Klänge gebettet. Die Shô-Spielerin
war auch die Solistin in Hosokawas „Cloud and Light“,
begleitet von der deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken/Kaiserslautern
unter Peter Hirsch. Sanfte Klänge von Streichern und Bläsern
stellen ein Wolke dar, auf der Buddha mit seinen Musikern zur Erde
niedersinkt. Ein Gemälde regte Hosokawa zu dieser Komposition
an. Die Shô schwingt mit ruhigem Klang in die schwebenden
instrumentalen Bewegungen ein. Eine sanfte Seelenmusik ist Hosokawa
gelungen, die durch die stille Intensität der Mayumi Miyata
zusätzlich eine zarte Expressivität ausstrahlt.
Das von Wolfgang Korb als künstlerischem Leiter konzipierte „Mouvement“-Programm
bot eine schier überwältigende Fülle an Beiträgen
zum Thema. Lachenmann, Holliger, Isang Yun, In-Sun Chom, Toru Takemitsu,
Hans Zender mit seinem „Nanzen No Kyo“ (Canto VII),
Messiaen, natürlich John Cage, William Attwood, Younghi Pagh-Paan,
Scelsi, Nicolaus Richter de Vroe, Jörg Widmann, Noriko Miura,
Robert HP Platz, Hiroyuki Itò, Isabel Mundry, Gerhard Stäbler,
Krengyo Yatsuhashi – sie alle steuerten signifikante Kompositionen
bei, die überzeugend demonstrierten, dass der west-östliche
Dialog der Musik-Kulturen höchst lebendig geführt wird.
Nur als post scriptum: In seiner Zeit als Chefdirigent beim Saarbrücker
Sender hat Hans Zender immer wieder aufmerksame Blicke gen Osten
geschickt und vieles entdeckt und engagiert aufgeführt. Insofern
waren die kalligraphischen Begegenungen anno 2008 weniger Entdeckungen
als vielmehr verdienstvolle Fortsetzung einer schönen Traditon.