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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 1
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Leitartikel
Wiedervereinigung wurde erst mal verboten
Kommentar zum aktuellen Zustand des Deutschen Musikrates · Von
Theo Geißler
Lange hat der Musikrat sich wieder einmal hauptsächlich mit
sich selbst beschäftigt, statt mit der „Hauptsache Musik“ – aber
die geplante Wiedervereinigung nach der Zerschlagung des Rates
als Folge der Insolvenz im Jahr 2002 war auch für jeden Außenstehenden
ein einleuchtendes Ziel: die inhaltliche und die politische Arbeit
des DMR in zwei verschiedenen Organisationen mit konkurrierender
Leitung abzuwickeln, dient der Sache nicht und schwächt den
Musikrat. Wird seitens der Politik genau das gewünscht?
Was die Musikrats-Mitgliederversammlung vor knapp einem Jahr
auf Vorschlag des Präsidiums einstimmig beschlossen hatte, ist
offensichtlich Makulatur. In heimeliger Anlehnung an die Empfehlung
des seinerzeitigen Trennungskonstrukteurs vom Bundesrechnungshof
donnerte CDU-MdB Steffen Kampeter, haushaltspolitischer Sprecher
seiner Fraktion und beispielsweise Berichterstatter über den
Etat unseres Kulturstaatsministers Bernd Neumann, ein klares Njet.
Neumann hatte vor Zeiten signalisiert, einer Wiedervereinigung
nicht abhold zu sein – der Finanzmacht seines Fraktionskollegen
beugt er sich offensichtlich zahm. Kampeter war für die nmz
nicht zu sprechen – so bleibt dessen Motivation im Düstren.
Vermutet wird tiefes Misstrauen gegenüber dem Finanzgebaren
einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die schon mal havarierte – woran
freilich die Geldgeber der öffentlichen Hand eine erhebliche
Mitverantwortung trugen. Noch heute sind deren Zuwendungsregularien
in vieler Hinsicht fragwürdig: Genannt seien nur der Druck
in Richtung Kameralistik und das Abrechnungsmonster Fehlbedarfs-Finanzierung.
Aus solchen Bürokratie-Anachronismen schöpfen bewilligende
Ministerialbeamte viel Macht, die sie bei Gelegenheit gern zur
Realisierung eigener, selten von Kompetenz bestrahlter Kulturschattenbilder
einsetzen. Der Finanzpolitiker Kampeter selbst – man wünschte
ihn sich als Sanierer einer spekulationsdemolierten Landesbank – hat
bedauerlicherweise die Künste als geeignete Rampe für
seine politischen Karriere-Sehnsüchte erspäht und fuhrwerkt
jetzt mit dem Kulturbewusstsein eines Taschenrechners im Musikleben
herum. (Treffendes
zu dessen „Initiative Musik“ im
Beitrag von Dominik Reif auf Seite 16 dieser Ausgabe).
„Schert uns alles nicht“ könnte jetzt ein souveränes
Musikratspräsidium sagen. „Wir sind weder der Politik
noch dem Ministerium weisungsgebunden und sollten tun, was wir
für richtig halten – aus dem gesunden Selbstbewusstsein
heraus, dass wir und niemand anderer die inhaltliche Gestaltungsarbeit
des Musiklebens bereitstellen. Wir realisieren den – vernünftigen – Auftrag
unserer Mitgliedsverbände, die als Organe der Bürgergesellschaft
unverzichtbare, erfolgreiche Kulturarbeit oft auf ehrenamtlicher
Grundlage leisten. Wenn zahlengesteuerte Macht-Politiker den Willen
unserer sechs Millionen Mitglieder missachten, entlarven sie ihr
eigenes Gerede von der Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements
als Pathos-Schrott. An solcher Menschen Order sind wir nicht gebunden.
Wir setzen den richtigen Plan um und kegeln die präpotenten
Inkompetenten bei der nächsten Wahl aus dem Amt.“
Von einer solchen angemessen komfortablen Position ist der Deutsche
Musikrat leider meilenweit entfernt. Und dies zum guten Teil aus
eigener Schuld. Schon jetzt beginnt in Präsidiumskreisen das
Schön-Getuschle der bitteren Niederlage. Man darf gespannt
sein, mit welchen verbalen Seifenblasen dem Souverän – der
Mitgliederversammlung – Ende Oktober in Berlin das elende
Scheitern angemeiert wird. Ein pseudopragmatisches „dann
ist halt nichts zu machen – wir taten unser Bestes“ dürfte
eine der bereitwillig genutzten Selbstbetrugs-Floskeln sein.
Seit Jahren ist der Umgangston der Musikrats-Spitze in der Kommunikation
mit der Politik auffällig stumpf, devot. Man bettelt, statt
aus gutem Grund zu fordern, man bittet längstmütig um
milde Zustimmung statt angemessen zu handeln. Stilistisch überwiegt
Wackelpudding den Klartext. Es ist eine Frage des Niveaus, der
Haltung, des Selbstbewusstseins, wenn man im Ellenbogenklima unserer
politischen Realität bestehen will. Alle drei Faktoren zählen
nicht gerade zum Kraftpotenzial der aktuellen Präsidiums-Konfiguration.
In der Außenoptik dominiert das zögerliche Mittelmaß.
Eitle kleine Machtverteilungkämpfe statt Souveränität,
klarer Linie und solider Vision. Weiteres Manko: die lädierte
Glaubwürdigkeit. Wie will man selbst eine objektiv berechtigte
Position überzeugend vertreten, wenn zwischen den Argumenten
schmales Partikularinteresse oder professioneller Eigennutz permanent
peinlich durchblitzt. Der eigene Wertekatalog, aus dem sich die
gesellschaftliche Legitimation des Gremiums eigentlich schlüssig
ableitet, wird im Rahmen so genannter gesellschaftlicher Paradigmenwechsel
ohne Not infrage gestellt, umgedichtet, ökonomistisch angepasst
und bis zur Unkenntlichkeit verdünnt. In diesem Zustand ist
die gewählte Spitzencrew unseres Musiklebens allenfalls höchst
bescheiden in der Lage, das wertvolle Gut ihres Auftrages angemessen
zu transportieren.
Was ist zu tun? Hilft vielleicht die chinesische Folter? Harte
Selbstkritik statt permanenter Nabelschau und Selbstbespiegelung?
Was ist nötig, um gesundes Selbstbewusstsein selbstverständlich
werden zu lassen? Vielleicht ein wenig frisches Personal? Mehr
exzellente Künstlerpersönlichkeiten in das Leitungsgremium?
Ein Coaching, das die verkrusteten präsidialen Kommunikations-Strukturen
wieder gängig macht? Ein Kompetenzteam, das die unterschiedlich
wertigen Arbeitsergebnisse der „Bundesfachausschüsse“ – so
sie überhaupt tagen – koordiniert, konzentriert und
kommuniziert? Strenge Professionalisierung der Ehrenamtlichen?
Eine Strategie-Gruppe zur Klärung und Stärkung des politischen
Standings? Ein Ethik-Komitee zur ständigen Prüfung der
Grundwerte? Oder vielleicht ein Marketing-Turbo mit Agentur-Knowledge
und aufgeschäumter Politlayout-Kompetenz?
Nur in einer Antwort sind wir uns sicher: Hoher Handlungsbedarf
besteht, wenn die Spitzenorganisation unseres Musiklebens dessen
Substanz angemessen in die Zukunft führen soll. Wir bitten
um Rat, Widerspruch und Pläne, bieten dafür gern den
offenen Rahmen zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch.