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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 1
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Leitartikel
Aufpoliert
Die Zeit für Musikkultur scheint so gut zu sein wie nie zuvor.
An allen Ecken und hinter allen Hecken sprießen Initiativen
und Programme aus dem Boden. Netzwerke für Neue Musik werden
gesponnen, Orchesterpartnerschaften geschlossen, Kinder an Instrumente
gebracht, Verwertungsgesellschaften entwickeln Kulturprogramme,
eine „Initiative Musik“ wird in Gang gesetzt. Traumhafte
Entwicklungen geradezu. Man könnte sich freuen. Man könnte.
Schaut man hinter die Kulissen, dann fällt viel vom Schön-Geträumten
wie Schaumblasen in sich zusammen. „Tue Gutes und rede darüber“ heißt
die neue Devise der GEMA. Es geht um „Corporate Social Responsibility“ (CSR),
zu deutsch: „unternehmerische Sozialverantwortung.“ Wie
sieht die dann aus? So nämlich: Die GEMA will aus Teilen ihrer
schmelzenden Erträge ein revolutionäres Show-, nein,
Kulturprogramm bestreiten. Einen Musikautorenpreis soll es geben,
ein Stipendienprogramm, einen „GEMA-Campus“ gar, der
die frohen Botschaften der Urheber in die Gesellschaft zu tragen
hat: also so etwas wie Komponisten on the road als GEMA-Scouts.
Doch was hat dies mit aktiv gestalteter Kultur oder mit „Social
Responsibility“ zu tun, außer mit einer nach innen?
Dieses, in angeblich langer Aufsichtsratsarbeit geborene Inter-Inkasso-Kulturprogramm
ist komplett selbstreferentiell, kaum reflektiert.
Nicht viel anders ist es bestellt um den neuen Förderleuchtturm
der „Initiative Musik“, die, wesentlich mit Bundesmitteln
gefördert, dem Nachwuchs in Rock, Pop und Jazz angeblich ehrgeizig
zur Seite springen will. Man tue ja nur Gutes. „Musik hat
einen unschätzbaren Wert für unser Land, leistet einen
enormen Beitrag zum Bruttosozialprodukt und ist damit wirtschaftlich
für unser Land wichtig“, sagt Dieter Gorny, der Aufsichtsratsvorsitzende
der „Initiative“. Dass es sich im Kern um ein Förderkonzept
handelt, das mit angezogener Handbremse und Fußfesseln zugleich
in Bewegung zu kommen sucht, führt Dominik Reif in dieser
nmz drastisch vor Augen (Seite 16). Solche Förderung erreicht
die kulturellen Antriebszentralen der Gesellschaft einfach nicht,
bietet aber manchem präpotenten Politiker eine wohlfeile Showbühne – und
der Musikindustrie Image-Politur.
So wirken diese ganzen Initiativen am Ende wie bloße Reflexerscheinungen
darauf, dass eine die Gesellschaft durchdringende Musikkultur langsam
aber sicher der Selbstauflösung zutreibt und zwar aktiv: Showzuckungen
und „kulturelle“ Gymnastikübungen beim Übergang
zur Durchökonomisierung von Kultur und ihrer Überführung
zur puren Ware. Kultur wird zur Funktion wirtschaftlichen Erfolges
degradiert, „verschönert“ allein durch sich exponentiell
vervielfachende Ethikkonzepte sogenannter sozialer Verantwortungsübernahme
seitens der Unternehmen. Das ist der tatsächliche Paradigmenwechsel
für den die Öffentlichkeit nur genügend „sensibilisiert“ werden
muss, wie man in Handreichungen zur Theorie der „Corporate
Social Responsibility“ nachlesen kann. Indem man jetzt alles
endlich besser machen will, macht man es in Wirklichkeit nur richtig
elend.