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1998
47. Jahrgang
Ausgabe 2
Februar

© nmz und
autoren 1998

  nmz - neue musikzeitung

Kulturpolitik
Musikwirtschaft
Medien

Seite 8

Autor:
Bernd Schweinar

 

Perspektiven oder Utopien · Rockförderung 2000

Aktuelles von der Konferenz zur Förderung der Popmusik in Deutschland

„Gibt es denn etwas, was in den letzten zehn Jahren nicht über Rockmusikförderung gesagt wurde“ – das imaginäre Fragezeichen hinter diesem Ausspruch von Referent Dieter Gorny, VIVA, hing als Halbsatz in der Luft: „ohne daß es bei den Entscheidungsträgern Gehör gefunden hätte“. Trotzdem machte es Sinn, daß der Landesmusikrat Niedersachsen und das Kultursekretariat Nordrhein-Westfalen zur „Konferenz zur Förderung der Popmusik in Deutschland“ geladen hatten.

Über 100 Diskussionsteilnehmer von Musikverbänden, Independent-Plattenfirmen, Live-Clubs – aber auch mehrere Musikreferenten von Kultusministerien – waren angereist, um Perspektiven und Notwendigkeiten zur Neubewertung von nachhaltiger Rock-Förderung zu diskutieren. Rock-und Popmusik unterscheidet sich in seinen Infrastrukturen elementar von Hochkultur sowie tradierten Musikformen und bedarf daher prinzipiell anderer Förderansätze. Gegenüber klassischen und tradierten Musiksparten ist bei Rock- und Popmusikern das instrumentelle Können nicht mit dem finalen Erfolg verbunden. Handwerks-Weltmeister werden nicht automatisch zu Rockstars. Die Pop-Branche fordert statt dessen Ideen und Sounds. Althergebrachtes nur nachzuspielen, „klassische Rocksongs“ zu covern, ist fast ausschließlich Schülerbands vorbehalten.

Musikförderung in Deutschland sei „tradiert und musikantisch orientiert“, kritisierte Gorny. Kein ambitionierter Rock-Kreativer käme auf die Idee, sich einen Zuschuß für den nächsten Instrumentenkauf abzuholen, kein musikalischer Kopf einer Gruppe beantragt für die Bandprobe ein „Übungsleiterentgelt“, keine vorwärtsorientierte Combo will sich Noten kaufen lassen. Sind Rockmusiker nur blöde? Dieter Gorny im Kontext: „Hochkultur ist extrem gut organisiert – im Gegensatz zur „Alternativkultur“. Oder sind die Förderstrukturen schizophren? Der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Musikinitiativen – B.A.ROCK e.V.“ wird über Jahre von allen relevanten Ministerien und Institutionen eine Förderung mit dem Argument verweigert, daß man mit dem „Deutschen Rock- und Popmusikerverband e.V.“ ja bereits eine Rockorganisation fördern würde. Soll jetzt, wo diesem Verband scheinbar der Gegenwind ins Gesicht zu blasen beginnt, Rockförderung nur in einer Abwandlung von dessen Aktivitäten möglich sein? Gibt es Geld nur für bundesweite Renomeeprojekte wie einen „Bundesrockwettbewerb“? Dabei weiß man heute im letzten Dorf, daß die Zeit der Rockwettbewerbe längst vorbei ist. Plattenfirmen hingegen orientieren sich an der Marktfähigkeit von Bands. Sie suchen Bands nach eigenen Marktmechanismen.

Sollte man dann nicht sinnvollerweise jene Infrastrukturen fördern, die junge Bands an diesen Markt heranführen, ihnen Plattformen und Know-how bieten? Sowohl Dieter Gorny („wenn Breite da ist, entsteht auch Spitze“) als auch die Ministerin für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen, Helga Schuchardt („um in die Spitze zu kommen, muß zunächst auch die Breite gefördert werden“) betonten dies in ihren Referaten. Dieter Gorny weiter: „Förderung von vermeintlichem ‚Kommerz‘ muß nicht schlimm sein“. Wenn aus einem Stück Sozialisation Kunst wird, wird es in der Popmusik eben ein Produkt. Gorny weiter: „Popmusikern fehlt das Amateurbewußtsein. Ein Laienorchester übt, spielt auch im Pfarrsaal und frägt sich: Wo sind die 200 Leute?“. Popbands haben keine festen Häuser, keine Abo-Zuhörer. Popbands sind gezwungen, marktwirtschaftlich zu denken, sich Auftritte selbst zu suchen, Wissen über Vertragswesen und Eigenmanagement anzueignen und vieles mehr. Kommerzieller Erfolg geht damit nur selten einher. Marlies Hummel vom Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung nannte Fakten: „Selbständiger Musiker zu sein, bedeutet ein hohes Risiko.“ Es seien 42.000 Berufsmusiker in Deutschland bekannt, davon 15.000 Selbständige. Deren Durchschnittseinkommen aus der Musik lag aber nur bei 20.000 Mark pro Jahr; das von Jazzern sogar nur bei 10.000 Mark pro Jahr – von den zigtausenden Amateurmusikern, die mehr Geld in ihr Instrumentarium stecken, als sie je einspielen können, ganz zu schweigen!

Modell Niederlande

Ist also immer noch nur das Kunst und Kultur, was vom Staat bezahlt wird – und der Rest sei Kommerz, wie Dieter Gorny hinterfragte? Jan van Beusekom vom „Nationalen Popinstitut“ (NPI) ist hervorgegangen aus der 1975 gegründeten „Stichting Popmusik Niederlande“. Obwohl es landesweit wirkt und viele Projekte zusammen mit lokalen und regionalen Partnern (Bühnen, Vereinigungen) durchführt oder finanziert, erhält es einen Staatszuschuß von jährlich 2,4 Millionen Gulden (etwa 2,125 Millionen Mark). Eine Förderkonstellation, die für die
Bundesministerien (Jugend, Inneres) schiere Alpträume hervorrufen könnte. Vielleicht wäre es aber für die Kulturstiftung der Länder ein gangbarer Weg, eine bundesweite Organisation als Kopf einer Pyramide aus Länderorganisationen zu finanzieren. Landesarbeitsgemeinschaften, die von den jeweiligen Kultusministerien gefördert werden und mehr sind als nur nominale Landesvertretungen, haben über Jahre ihre Sinnhaftigkeit unter Beweis gestellt. Die Förderung ihrer Bundesorganisation könnte die Wirkung von Bundesmitteln auf Länderebene nachhaltig verstärken.

Mit dem Staatszuschuß der Niederlande fördert das NPI zum Beispiel einen sogenannten „Podiumsplan“ in den landesweit zirka 50 Bühnen eingebunden sind. Newcomer können dadurch bei regelmäßigen Konzertreihen sinnvoll und flächenwirksam aufgebaut werden. Konzertdefizite trägt das NPI; trotzdem ist dies kein Selbstbedienungsladen: das Veranstalter-Controlling ist penibel.

Das NPI promotet die niederländische Popmusik bei internationalen Messen, Kongressen und Seminaren. Es publiziert eine eigene Zeitung („Fret“), macht die Redaktion einer eigenen Teletext-Seite beim Musiksender MTV und ist auch im Internet sehr aktiv. Archivierung von Bild- und Tonträgern niederländischer Künstler („seit 1956“) gehört ebenso zum Aufgabenvolumen wie eine enzyklopädische Info-Datenbank über Popmusik in den Niederlanden. NPI initiiert und unterstützt wissenschaftliche Untersuchungen zur dortigen Popkultur und publiziert die Ergebnisse in Buchform und auf CD-ROM. Viermal im Jahr bringt das NPI auch zur direkten Bandförderung stilistisch strukturierte Compilation-CDs („Unsigned Project“) mit Newcomern heraus und vertreibt diese regulär im Handel.

Zur Erinnerung: finanziert wird das alles mit nationalen (!) Fördermitteln. „Überall wird Struktur gefördert, wird viel Geld in Spiel- und Ausbildungsstätten gesteckt. Popmusik hingegen soll in Deutschland nur musikantisch gefördert sein? Ein Widersinn!“, unterstrich auch Dieter Gorny. Das Beispiel Niederlande zeigt, wie sinnvolle Infrastrukturförderung funktionieren kann. Der VIVA-Geschäftsführer geht sogar noch eine Schritt weiter: „Ich würde aus Popförderung eine Wirtschaftsförderung machen – keine Künstlerförderung, denn das wäre nur Zensur.

Ob die politischen Entscheidungsträger dazu fähig sind? „Alles ist jung, alles ist Pop – nur die Politik nicht“ teilt der erfolgreiche Jugend-TV-Manager von VIVA süffisant einen Ellenbogencheck aus und fährt fort: „Wenn Politik mit dem Phänomen Jugend umgehen könnte, gäbe es auch keine Probleme mit der Kulturförderung.“ In Anspielung auf einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ setzt er dann noch eins drauf: „Alle reden von Pop, meinen aber nur Big-Band-Jazz“, und peilte damit Jugendministerin Claudia Nolte an, die sich bei einem gemeinsamen Interview fachlich geoutet hatte.

Aus seiner Erfahrung (Rockbüro NRW, POPKOMM. und VIVA) resümierte ein fitter Dieter Gorny, der gerade von der Beiratssitzung der Volkswagen SoundFoundation – übrigens eine sehr interessante Co-Variante von verantwortungsvoller Wirtschaftsinitiative für Basis-Popkultur – zur Tagung anreiste: „Die Zeit für Vernetzungen ist gut, für politische Akzeptanz weniger.“ Vernetzung ohne Finanzierung aber stößt sehr schnell an ihre Grenzen, wie in den Arbeitsgruppen der Konferenz klar wurde.

Perspektiven

Nichtsdestotrotz wurde in den sieben thematischen Foren sehr lebhaft diskutiert und an Perspektiven gefeilt. Aufgabenfelder perspektivischer und nachhaltiger Rockförderung sind – analog zum niederländischen Modell – auf Bundesebene der Dokumentations- und Promotionsbereich, der Ausbau einer funktionierenden Informationsschnittstelle, die Lobby-Funktion gegenüber Politik, Wirtschaft und Medien. Auf Landesebene gilt es die Vernetzung der kommunalen und regionalen Aktivitäten zu koordinieren, Fort- und Weiterbildungen für MusikerInnen und Veranstalter anzubieten, Akzeptanz insbesondere auch beim regionalspezifisch orientierten Publikum zu verstärken. Und die kommunalen Aufgabenfelder sind insbesondere Schaffung und Stärkung bestehender Auftrittsmöglichkeiten und Proberäume. Beim Arbeitskreis „Wissenschaft/Forschung/Doku“ lauteten die Ergebnisse und Empfehlungen unter anderem so: Erschließung von Funktionsmechanismen, Ausweitung zeitgemäßer Strömungen, Nachbereitung von Projekten, Chronologisierung der Stilvielfalten und – die Schaffung von politischen Argumentationshilfen. Eigentlich Altbekanntes brachte die „Medien“-Runde: Egal, ob lokale Tageszeitung oder Musik-TV-Sender, alle haben eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung von Popkultur. Die Lokalzeitung sollte – auch im Eigeninteresse einer Erneuerung ihres Leserstammes – regionale Rockmusik endlich als Kultur begreifen. Kommerzielle Radiosender lassen sich ihre sogenannten Klangfarben – die Weichspül-AC-Formatmusik – kaum beeinflussen, aber die Spartenradios könnten mit Ausweitung der Frequenzmöglichkeiten (zum Beispiel Satellitenradio) eine Alternative sein.

Es ist das Problem der Popularmusik, daß sie zwischen den an der Realität orientierten Bedürfnissen und den Vorurteilen so mancher Entscheidungsträger hin und her geschoben wird. Während Rock für viele der älteren Generation noch immer die Musik der Langhaarigen, Drogensüchtigen und Revoluzzer und damit kein Kulturgut ist, hat Rockmusik, insbesondere im Live-Bereich, derzeit schon wieder Existenzkämpfe gegen die Konkurrenz von Rave-Generation und einem Überangebot im Freizeitbereich zu bestreiten. Da mutet der Vorschlag eines Veranstalters (Zakk GmbH) aus Düsseldorf gar nicht mehr utopisch an: er regte beim Planspiel mit imaginärem Fördergeld eine Image-Kampagne an, um das Lebensgefühl von live erfahrbarer Rockmusik wieder in den Blickwinkel von Kids zu rücken.

Konsens der Teilnehmer an der dreitägigen Konferenz war das Ziel einer „Konzertierten Aktion Pop“, mit Arbeitsaufträgen an Fachleute aus den verschiedenen Bereichen, der Skizzierung eines Fördermodells auf der Basis des Nationalen Popinstituts der Niederlande, mit dem beispielsweise die „B.A.ROCK – Bundesarbeitsgemeinschaft der Musikinitiativen e.V.“ ohnehin seit längerem in engerem Kontakt steht. Auch sollen die Vernetzungen noch weiter ausgedehnt werden. Für einen dazu dienlichen interaktiven Diskussions- und Meinungsbildungsprozeß im Internet wird auf dem Server von Digitall Music (http://www.allmusic.de) demnächst ein eigenes Forum geschaffen. Zur Förderung der politischen Akzeptanz sollen unter anderem Argumentationshilfen entwickelt werden. Auch ist eine Fokussierung auf die (Musik-)Wirtschaft angestrebt, um zu verdeutlichen, daß durch eine plurale Basisarbeit an deren Klientel und damit auch wirtschaftlicher Zukunft gebaut wird.

Bernd Schweinar

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