1998
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Berichte
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Entdeckungen im Grenzbereich Musikerinnen-Festival Wie es ihr gefällt in Berlin und Zürich |
Aufstörend in Klang und Dramaturgie, unkonventionell in der
Form, sinnlich, abgründig und existenziell. So klingt die Musik der berliner Gruppe
Rho. Die jungen Musikerinnen stammen aus der Szene der experimentellen Musik
und vereinen im Ensemble unterschiedlichste musikalische Biographien. Projekt und
Besetzung resultieren aus einem Kompositionsauftrag von Wie es ihr gefällt.
Das grenzüberschreitende Mehrspartenfestival vergab ihn 1997 an die zwei
Improvisations-Künstlerinnen Andrea Neumann und Sabine Ercklentz. Diese expandierten um
die Gitarristin Anette Krebs aus Frankfurt und die Perkussionistin Margrit Rieben aus Bern
und entwickelten Material und Sounds fortan kollektiv. Die strenge, zuweilen eruptive Kammermusik des Quartetts lebt von ihrer Intensität, von ihrer Durchhörbarkeit und ge-stischen Substanz. Sie birgt Spuren von Freejazz und Rock, sie bedient sich verschiedenster Momente aus Elektronik, Pop, Improvisation und Neuer Musik. Nicht ganz zufällig zitiert der Name des Ensembles das Symbol für die physikalische Dichte Ohr heißt dies rückwärts gelesen und verweist stellvertretend auf manche akustische Herausforderung, wie sie Publikum und Fachwelt bei Wie es ihr gefällt Ende November 1997 in Berlin und in Zürich erlebten. Das Spezial-Festival mit dem Signet Frau und Avantgarde-Musik vertritt konsequent den wenig etablierten Grenzbereich zwischen unterhaltend und ernst, Tradition und Experiment, und es bietet Projekten wie Rho eine angemessene Öffentlichkeit, Impulse und Resonanz. Beim nunmehr siebten Durchgang im 1997er Herbst dominierten erfreulich unetablierte junge Ensembles der internationalen Szene. Erstmals galt der Elektronik das Hauptaugenmerk: Neben Rho überzeugte hier das Tokioter Hoahio Duo mit Collagen aus Techno und Ambient, traditionellem Gesang und schroffem E-Gitarren-Sound. Überraschend auch die experimentelle Tanzmusik von Fast FW aus Berlin: präziser Turntable-Mix mit Live-Elementen von Stimme, Cello und Baß. Erstmals in Europa: Laetitia Sonami aus Oakland mit einer allerdings etwas romantisierenden Sound-Performance mit dem von ihr entwickelten Datenhandschuh.
Kontrapunkte setzten Elena Ledda und ihr Vokalquartett Ammajos mit sardischer Folklore, die vier norwegischen Ultra Bimboos mit ihrem Punkrock oder die nordfranzösischen Les Elles mit ihrer theatralisch-prägnanten Mischung aus Musette, Chanson und Zirkusmusik. Sowie am Zürcher Gastspielort das Duo Dagmar Krause/Marie Goyette sowie Sainkho Namchylak mit ihren Schamanengesängen. Wie in den Vorjahren beeindruckte die stilistische Bandbreite, diesmal standen 37 Musikerinnen sehr verschiedener musikalischer Herkünfte dafür ein. Vom feministisch motivierten Beginn Anfang der 90er bis zum avancierten Programm im vergangenen Herbst blieb sich das Festival dabei personell wie konzeptionell weitgehend treu. Frauen musizieren, Frauen obliegen Management und Technik-Bereich. Trotzdem so die drei Veranstalterinnen Inge Morgenroth, Anna Bianca Krause und Angela von Tallian haben sich manche Gewichte verschoben. Das zunächst stark hauptstadtzentrierte Podium weiblicher Alternativen ist heute ausgereift zum Umschlagplatz einer international namhaften, ästhetisch vielseitigen, sehr vitalen Grenzbereich-Avantgarde, die der traditionelle Musikmarkt immer noch stark ignoriert. Medien und politische Partner immerhin haben die Spezialisierung zu honorieren begonnen. Im Berliner Senat gilt das ökonomische Kleinunternehmen nicht zuletzt dank des Engagements von Barbara Esser, Bereichs-Leiterin Freie Gruppen, weiterhin als unbedingt zu erhalten. Das Publikum aus Ost und West hat den Umzug aus dem namhaften Kreuzberger Szene-Club SO 36 vor drei Jahren inzwischen verwunden und frequentiert den neuen Veranstaltungsort, die romantische Fabrikruine der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg, zur Zufriedenheit. Zur Erfolgsbilanz gehört das Interesse auch älterer Generationen sowie die Normalität beider Geschlechter im Saal. Denn schließlich engagiert sich Wie es ihr gefällt nicht allein für Musikerinnen, sondern motiviert das Publikum an sich, manchen immer noch weißen Flecken auf dem akustischen Globus für sich zu erkunden. Frank Kämpfer |
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