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1998
47. Jahrgang
Ausgabe 4
April

© nmz und
autoren 1998

  nmz - neue musikzeitung

Berichte
Seite 12

Autor:
Fridemann Leipold

 

Mitten in Herz und Seele getroffen

Die Bratschistin Veronika Hagen über die Kunst des Quartettspiels

HAGEN.jpg (14056 Byte)Man könnte ins Schwärmen geraten über so viel Feuer, Drive und Leidenschaft. Das ist ein Klang, der einen unmittelbar anspringt, manchmal Wunden aufreißt, jedenfalls nie gleichgültig läßt. Unbekümmert und spontan wirkt das, was das Hagen-Quartett über die Rampe bringt – und ist doch im Detail genau kalkuliert. Das Kraftwerk der Gefühle speist sich aus dem Geschwister-Trio Lukas, Veronika und Clemens Hagen, das seit 1987 von dem Geiger Rainer Schmidt komplettiert wird: zwischen dem ganz und gar uneitlen Primarius, dem nahtlos sich einfügenden Mann am zweiten Pult und dem enorm souveränen Cello-Fundament begreift sich die Bratschistin als Vermittlerin.

Und sie tut das mit einem für Streichquartette seltenen,wunderbar sonoren Selbstbewußt-sein, das in auffälligem Kontrast steht zu ihrem bescheidenen, fast ein wenig schüchternen Auftreten im richtigen Leben. „Ich denke immer: wo beim Menschen das Herz schlägt, da sitzt beim Streichquartett die Bratsche. Ich fühle mich auch einfach sehr organisch, wenn ich mein Instrument zur Hand nehme, es ist eine Verlängerung meines Körpers.“

 

Begonnen hat die Erfolgsgeschichte des Hagen-Quartetts in Salzburg, wo die Mitglieder der ersten Stunde geboren wurden. Denn ursprünglich war das Ensemble ein reines Familienunternehmen mit Angelika Hagen am zweiten Platz, initiiert vom Vater, einem Profi im Mozarteum-Orchester. „Wir Älteren haben zuerst alle drei mit Geige angefangen und Hausmusik gemacht. Als Clemens denn mit dem Cellospielen begann, hat er die leeren Saiten dazu gestrichen... Wir haben schon als ganz junges Ensemble – Clemens war damals sechs Jahre alt, ich nur neun – in der Weihnachtszeit in Krankenhäusern gespielt, sind von Station zu Station gezogen und haben dort den Kranken ein Ständchen gebracht. Und das hat mich sehr geprägt: da habe ich gespürt, wie die Musik die Menschen in der Seele reifen kann, wie sie Kraft und Freude gibt.“ Erstes Quartett-Repertoire wurde da einstudiert mit der nun bratschenden Veronika, alles noch auswendig damals, Haydns Lerche zum Beispiel und natürlich Mozart.

 

Die Youngsters von einst sind längst Oldies im Geschäft. Rund 25 Jahre lang spielen die Hagens nämlich schon zusammen – und sind heute doch erst Mitte dreißig. 1980 scherte eine aus dem Familien-Clan aus: Angelika Hagen entschied sich für die Ethnologie. Für sie stieg die Studienkollegin vom Mozarteum, Annette Bik, mit Elan ein. Und mit der neuen zweiten Geige ging es steil bergauf. Entscheidend wurde, wie so oft, die Förderung durch Gidon Kremer, der das Quartett 1981 nach Lockenhaus einlud, wo die vier am Ende des Festivals prompt den Nachwuchs-Wettbewerb für sich entschieden. Und seither dort als „Quartett in Residence“ auftraten, arbeiteten, lernten von und mit Persönlichkeiten wie Hatto Beyerle oder Walter Levin. „Das war für uns wie ein Traum, denn plötzlich waren viele große Musiker, die wir nur von den Platten-Covern her kannten, Menschen geworden und wollten mit uns musizieren. Das hat sich herrlich befruchtet gegenseitig, beide Partner glücklich gemacht, und da sind durch die Zusammenarbeit wunderbare Freundschaften entstanden, die wir ja auch teilweise auf unseren CDs dokumentieren konnten.“ Heinrich Schiff, Oleg Maisenberg, Gérard Caussé und Eduard Brunner gehören dazu. Lockenhaus weitete den Horizont der vier und erschloß ihnen neues Repertoire.

Begehrte Trophäen bei den Wettbewerben in Portsmouth oder Evian, Debüts auf internationalen Plattformen oder das Heimspiel bei den Salzburger Festspielen in den Folgejahren waren weitere Sprungbretter für die Karriere. 1985 kam dann der Exklusivvertrag von der Deutschen Grammophon, der eine bis heute spannende Diskographie mit sich brachte: kaum enzyklopädisch, kein ganzer Schubert, kein ganzer Beethoven, sondern sprunghaft, aber intelligent, mit Ecken und Kanten, wie es den Hagens entspricht. Sie kombinieren eben Schuberts Quintett mit Beethovens Großer Fuge! Neben ihrem aufwühlenden Janácek steht ihr ingeniöser neuer Schumann, der in seinem hochfahrenden Duktus freilich die Kritiker spaltete, neben Schostakowitschs Abgründen ihr Ausflug in die Oper, den ihnen der Pianisten-Freund Paul Gulda bei seinen Recherchen in italienischen Archiven bescherte: die CD mit den Steichquartetten von Puccini und Verdi sowie der Transkription von dessen „Luisa Miller“-Musik gehört zweifellos zu ihren schönsten Aufnahmen. Und eine Einspielung mit Klassikern der Moderne von Lutoslawski, Ligeti und Schnittke streckt die Fühler zur Gegenwart aus. György Kurtág hat ihnen schon lange etwas Neues versprochen...

Und immer wieder Mozart, Lust und Last wohl für ein Salzburger Ensemble. Veronika Hagen weiß ein Lied davon zu singen: „Man ist in dieser Stadt leider von Mozartkugeln umgeben, die sich auf geradezu unheimliche Art vermehren. Davon abgesehen haben wir zuhause Mozart tatsächlich in die Wiege gelegt bekommen. Damals haben wir Mozart noch sehr aus dem Bauch heraus gespielt; das hat zwar auch seine Berechtigung, aber es hat sich selbstverständlich im Lauf unserer langen Entwicklung sehr verändert. Dazu kommt auch die Revolution im Interpretationsstil, wie sie aus meiner Sicht vor allem von Nikolaus Harnoncourt vorangetrieben wurde – und das ist natürlich nicht spurlos an uns vorbeigegangen. Das haben wir integriert, und ich hoffe, daß wir das Aus-dem-Bauch-Musizieren deswegen nicht verloren haben.“ Bei Harnoncourt am Mozarteum haben sie viel über historische Aufführungspraxis erfahren, das, was er mit „Klangrede“ meint, verinnerlicht. Der Unterschied von ihren alten, ein wenig unbedarften Mozart-Aufnahmen zu ihrer neuen Einspielung mit zwei späten Quartetten ist ohrenfällig: ungleich entschlackter, prägnanter, nerviger und tiefgründiger klingt ihr Mozart nun. Und hat so gar nichts Verzopftes an sich.

Um dem Beziehungsfrust zu entgehen, verordnen sich die Musiker des Hagen-Quartetts regelmäßig kreative Pausen. „Wir legen sehr viel Wert darauf, daß wir nicht zu viel und zu eng zusammen sind, damit man immer frisch bleibt füreinander – noch dazu als Geschwister, wenn man sich sowieso schon so genau kennt. Und wir brauchen diese Pausen, um neue Inspiration zu finden, um selber Kurse zu geben, um solistisch zu spielen – um neugierig zu bleiben und uns wieder auf das Quartettspielen zu freuen.“ Und wer nun denkt, im Familienverbund ginge es unkomplizierter zu als anderswo, der wird von Veronika Hagen eines Besseren belehrt: „Es ist sogar schwerer, denn man möchte den anderen gern in eine Rolle drängen, ihn so haben, wie man’s gewohnt war. Meine Brüder sehen mich vielleicht noch so pflegeleicht, wie ich mit vierzehn war – ich habe mich aber entwickelt, genauso, wie die beiden sich entwickelt haben. Und solche Toleranz ist sehr wichtig, daß man dem anderen zugesteht, sich zu verändern. Das habe ich auch aus den Partituren gelernt: Wenn ich nach Jahren ein altes Stück wieder zur Hand nehme, dann sehe und höre ich neue Dinge. Und so sollte man auch mit Menschen umgehen. Man spiegelt sich ständig vierfach im Quartett – man braucht sehr viel Respekt voreinander, aber das ist auch das Schöne: Es ist eine Lebensschule.“

Fridemann Leipold

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