1998
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Jazz
& Pop
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Der Meister und Stefan haben euch alle so lieb Die deutsche Grand-Prix-Welt steht Kopf · Stefan Raab besiegelte Ralphs Schicksal |
Es war ein gelungener Fernsehabend. Co-Moderatorin Nena
schien abgefüllt wie eine Haubitze zu sein, ein griesgrämiger Axel Bulthaupt
verwechselte vereinigungswirr Bremen mit Dresden, und Guildo Horn,
Herrscher im Reich der Nußecken und Pullunder mit V-Ausschnitt, brachte die alte
James-Brown-Nummer. Nach einem langsamen Intro riß der von seinen Fans als Meister
Verehrte den Umhang vom durchtrainierten Körper und stürzte sich in eine feine
Motown-Soul-Parodie, geschrieben nach allen Regeln der Kunst vom Kollegen Stefan Raab
(VIVA). Dieser freute sich nach der Veranstaltung sichtlich über den gelungenen Coup: Die
kümmerlichen Reste zwischen deutschem Pop und volkstümlicher Unterhaltung waren bei der
deutschen Vorentscheidung zum diesjährigen Grand Prix d´Euro-vision in Birmingham
hoffnungslos untergegangen. Die besondere Häme der Journalisten traf vor allem den
Altmeister des Genres, Ralph Siegel. Zu Recht, denn dessen drei eingereich-ten Beiträge
zeugten nur vom vergeblichen Bemühen, den Geist von Dschinghis Khan in die
90er Jahre hinüber zu retten. Die talentfreien und als Tanzaffen dressierten Kunstgruppen
Siegels stehen für die ganze Richtung: Echte Umsätze werden mit der Ware Schlager schon
lange nicht mehr gemacht. Es gibt zwar immer noch genügend Menschen, die aktuelle
deutschsprachige Schlager konsumieren, aber leider nur im Autoradio, am Bügel- oder
Arbeitsplatz. Jene Bindung an Schlager-Persönlichkeiten wie Peter Alexander, Freddy Quinn
oder Udo Jürgens, die auch den Gang in den Schallplattenladen mit einschloß, ist längst
perdu. Das hat zum einen mit Qualität zu tun. Läßt man die dezidiert anglo-amerikanisch
orientierte deutsche Rock- und Popmusik außen vor, so ist das traditionelle
Schlagerhandwerk seit Ende der 70er Jahre auf den Hund gekommen. Die MIDIfizierung hat die
Plastikklänge des Alleinunterhalters am Keyboard zum Standardsound des deutschen
Schlagers gemacht. Auftritt Stefan Raab: Der gelernte Metzger aus Köln hatte immer schon ein besonderes Faible für gut gemachte Fahrstuhlmusik. Nach dem Abschied von Lehre und Jura-Studium versuchte sich der Saxophonist, Gitarrist und Keyboarder als Arrangeur zwischen Jazz und Pop: Das RIAS-Funky-Team unter Leitung von Stefan Raab peppte Jazzklassiker so auf, daß sie auch Gnade vor den Ohren Jugendlicher fanden. Als Gründungsmoderator des Kölner Musikkanals VIVA schlüpfte er dann in die Rolle des Anarchos. Mit einer bis dahin unbekannten Chuzpe zum Aussitzen von fehlendem Konzept und nicht vorhandenen Gags verschreckte er zwar einen guten Teil des kaugummikauenden VIVA-Stammpublikums (Lieber Mola, liebe Heike, ich find die Sendung vom Stefan echt doof.), machte sich aber durch besonders herzlose Behandlung von Studiogästen schnell einen Namen als oberster TV-Dekonstruktivist: Wir schneiden nichts raus. Alles was passiert, wird auch gesendet. Und wenn ich in einer Sendung mal scheiße drauf bin, wird eben Kacke gesendet, erklärt Raab das simple Anti-Konzept seiner Sendung Vivasion. Die wöchentliche Plauderstunde auf VIVA bietet ihm seit mehreren Jahren neben dem Erwerb der nötigen Entertainer-Routine auch eine Plattform zur hemmungslosen Promotion eigener Musiktitel per Videoclip: Die Fußball-Verarsche Böörti, Böörti Vogts, die aufgefunkte Cover-Version des Jürgen-Drews-Hits Ein Bett im Kornfeld, der Sommerhit Sexy Eis mit dem von ihm produzierten Rapper Bürger Lars Dietrich und der Kindersendungs-Hit Hier kommt die Maus, jedes Raab-Produkt ist Event-Marketing vom Feinsten. Soviel Dreistigkeit und Bauernschläue stößt zuweilen an die Grenzen des medial Machbaren: Seine böse Parodie Ich hör so gerne Volksmusik bekam Raab anläßlich einer Medienpreis-Verleihung nicht gesendet; bei einem vergleichbarem Anlaß erhielt er sogar von dem häufig in der Vivasion-Sendung geschmähten Rödelheim-Rapper Moses Pelheim etwas auf die Nase. Der aktuelle Erfolg wird ihn über den Neid von gewaltbereiten Humorabstinenzlern hinwegtrösten können. Felix Janosa |
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