1998
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Leitartikel
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Platos ignorante Erben |
Allmählich fallen dem kulturell engagierten Normalbürger in der Bundesrepublik bestimmte, gleichsam mechanisierte Abläufe im Kulturleben auf die Nerven. Federführend ist hierbei das Bundesfinanzministerium unter Theo Waigel. Irgendeinem unterbeschäftigten Referenten fällt auf, daß deutsche Fußballer oder Talkmaster sich durch einen ausländischen Wohnsitz der deutschen Steuerpflicht entziehen, schon wird flugs, ohne Rücksprache und Diskussion eine Verordnung zusammengeschustert, die ein ganzes System ins Wanken zu bringen droht: nämlich das deutsche Musik- und Opernleben, das ohne die vielen gastierenden ausländischen Künstler überhaupt nicht mehr funktionieren würde. Daran hatte der fixe Referent mit Fußball und Magarete Schreinemakers im Kopf natürlich nicht gedacht. Der Aufstand der Beteiligen ist noch in bester Erinnerung, eine halbwegs vernünftige Regelung wurde gefunden. Aber warum erst die ganze Aufregung, wenn man, wie unter vernünftigen Leuten üblich, auch davor hätte in Ruhe über das Problem verhandeln können. Kaum war der Rauch abgezogen, feuerte die Waigel-Mannschaft den nächsten Schuß auf die Kultur ab: Die Sponsorengelder stachen den Beamten in die gierigen Augen. Wenn schon der Sponsor seine Zuwendung steuersparend absetzen darf, darf dann auch der Bedachte steuerglimpflich davonkommen? Müßte er nicht die Spende versteuern, da er schließlich für den Sponsor eine Gegenleistung erbringt, indem er diesem mit Wort und Logo herzlich dankt? Auch hier wurde schließlich eine praktikable Regelung gefunden, aber erst einmal wurden alle Pferde in der Kunst bis hin zum Schlachtroß August Everding scheu gemacht und zum Aus- und Zurückschlagen gezwungen, nur weil wieder ein Referent im Finanzministerium einen Erlaß auf den Weg gebracht hatte, ohne sich zuvor über das komplizierte Verhältnis zwischen Kultur, Gesellschaft und Staatsmacht zu informieren, das einmal mit Plato und seiner Akademiestiftung im Jahre 347 vor Christus begann und mit den gegenwärtigen Formen von Sponsorenschaft, Stiftungen, Spenden, Fund-raising oder Projektförderung noch lange nicht ein Ende gefunden hat. Es ist die Sprachlosigkeit, die Ignoranz, die Überheblichkeit, das mangelnde Fachwissen der politischen Gesprächspartner, die den Kulturschaffenden die Arbeit zunehmend zur Mühsal werden läßt. Wer beobachtet, wie Intendanten, Museumsdirektoren und Institutsleiter Tag für Tag ihre Energie verbrauchen müssen, um den Betrieb überhaupt halbwegs aufrechtzuerhalten, statt sich um die Inhalte ihres Fachgebiets zu kümmern, den kann schon der Zorn packen. Es ist eine bestimmte Art von Menschenverachtung, die aus all diesen Vorgängen spricht. Der Künstler wird von der Politik zum Bittsteller degradiert. Diese Herabwürdigung fällt aber inzwischen auf die Politiker zurück und damit auf die Gesellschaft, die sich schließlich in und mit der Kultur artikuliert. Eine Rechtschreibreform ist nicht dringlich, dafür eine neue Art des Umgangs unter zivilisierten Menschen und eine neue Form des fairen Diskurses umso mehr. |
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