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1998
47. Jahrgang
Ausgabe 4
April

© nmz und
autoren 1998

  nmz - neue musikzeitung

Musikpädagogik
Seite 24

Autor:
Volker Mall

 

Festmusik und Sondermeldungsfanfare

Stundenentwurf zum Thema „Entartete Musik"

Im nmz-Dossier „Musik im Nationalsozialismus" (nmz 12/97-1/98) zeichnete der Initiator der Ausstellung„ Entartete Musik", Albrecht Dümling, deren Weg in den Jahren von 1988 bis 1998 noch einmal nach. Die Resonanz, die der Artikel bei den Lesern fand, bewog die Redaktion einen Stundenentwurf aus diesem Themenfeld zu veröffentlichen. Volker Mall, Mitautor des fächerübergreifenden Materialheftes „Entartet – Kunst und Musik in der Zeit des Nationalsozialismus" (Klett-Verlag) beschäftigt sich im folgenden mit der „Olympischen Festmusik" von Werner Egk sowie der „Sondermeldungsfanfare", einem Ausschnitt aus Franz Liszts Sinfonischer Dichtung für Orchester Nr. 3, „Les Préludes".

Allgemeingültige (musikalische) Kriterien für „entartete Musik" wurden im Dritten Reich nicht Reich nicht entwickelt; konkrete ästhetische Theorien oder Richtlinien, wie die „richtige" Musik der zeitgenössischen Komponisten im NS-Staat aussehen soll, gab es kaum. Das Parteiprogramm der NSDAP von 1920 enthielt zur Musik keine Aussage, nur eine negative Definition: „Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen eine Kunst- und Literaturrichtung, die einen zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben ausübt, und die Schließung von Veranstaltungen, die gegen vorstehende Forderungen verstoßen." Hitlers Aussagen zur Musik, wie zum Beispiel auf der Kulturtagung des Reichsparteitages 1936, waren eher allgemein und verschwommen.

Schlagworte wie „ewige Werte", „gesund", „echt", „klar", „deutsch" waren von älteren, zum Teil völkischen, Ideologien entlehnt oder stammten aus der Naziideologie allgemein. Abliefern sollten die Komponisten Produkte, die die Propaganda des Staates unterstützten, für breite Massen geeignet waren; der Gebrauchswert stand also im Vordergrund. Hans Hinkel, Geschäftsführer der Reichskulturkammer, forderte zum Beispiel neben einer „guten deutschen, lebensbejahenden und kampfesfrohen Unterhaltungsmusik... eine aus der Kameradschaft des Volkes gezeugte, lebensnahe Musik für die nationalsozialistische Feiergestaltung." Wie eine solche Musik aussehen konnte, soll am Beispiel von Egks „Hymne aus der Olympischen Festmusik" (1936) verdeutlicht werden. Das zweite Beispiel, die Sondermeldungsfanfare zeigt, wie „vorhandene" Musik instrumentalisiert wurde.

 

Olympische Festmusik

Werner Egk (1901-1983) (eigentlich W. Mayer) war Kapellmeister, Hochschullehrer und Musikfunktionär. Von 1941 bis 1945 leitete er die „Fachschaft Komponisten" der Reichsmusikkammer, von 1950 an war er Präsident des bundesdeutschen Komponistenverbandes. Seine bekanntesten Opern sind „Die Zaubergeige" (1935) und „Peer Gynt" (1938).

1941 komponierte Werner Egk für den Ufafilm „Jungens" den „Marsch der deutschen Jugend" (Text: Hans Fritz Beckmann), in dem es unter anderem heißt: „Es fährt ein Schiff auf dem Strom der Zeit in die strahlende Zukunft hinein. An Bord stehn wir, die HJ bereit! Kamerad, hast Du Mut, reih Dich ein!" Noch 1943 lobte Egk im "Völkischen Beobachter" die „Ausrottung des Nihilismus" und hoffte „nach diesem Gesundungsprozeß... auf die Vermählung einer idealen Politik mit einer realen Kunst." Kurz nach dem Krieg (1947) polemisierte Egk in seinem Essay „Mit Musik geht alles besser" gegen die von Goebbels, den er den „flinken Doktor" nennt, „organisierte" Musik des Nationalsozialismus, vor allem gegen die Vorherrschaft der Unterhaltungsmusik, „Goebbels’ Kitsch-orgel". Der Essay beginnt mit der wohl ironisch gemeinten Feststellung: „Als sich die Parteimaschine im Jahre 1933 spontan erhob, um die Macht zu ergreifen, da erschollen auch schon eine Unzahl nationaler Lieder und Gesänge... Mit Musik geht alles besser, nicht nur die Schiffschaukel, der Rheindampfer und die Liebe, sondern auch die Genickschußanlage und der Weltkrieg..."1

„Der Aufbruch der Nation war", so schreibt er weiter, „mit so viel zackigen Märschen eingeleitet worden, daß die Lautsprecher heiß liefen von einem unaufhörlichen Fortissimo, ...das jedes intellektuelle Gewäsch und Geplappere, jeden schwächlichen intellektuellen Protest wie eine unwiderstehliche Sturmflut weggeschwemmt und ins tiefe Unterbewußtsein der Nation weggespült hatte." (S. 217) Er verschweigt, daß er zumindest partiell daran auch beteiligt war und beispielsweise 1936 geschrieben hatte: „Daher sollte in Zukunft alle Musik so beschaffen sein, daß man sie auf einer KdF-Veranstaltung spielen kann und sie hier von allen Volksgenossen als innere Erhebung, Beglückung und Bereicherung empfunden wird."2

„Jeder, der seine Leistung und seinen Namen dem Nationalsozialismus zur Verfügung stellte, hat damit Schuld auf sich geladen. Auch Egk kann dieser Vorwurf nicht erspart werden."3 (Noten: „Hymne aus der Olympischen Festmusik"4 ; das Tonbeispiel – ein Konzertmitschnitt unter der Leitung von Egk im deutschen Rundfunkarchiv Frankfurt – ist auf der CD „Entartet", Klett 1997).

Egk schrieb im Rahmen eines Kompositionswettbewerbs anläßlich der Olympiade eine viersätzige „Olympische Festmusik", für die er in der Sparte Orchestermusik eine Goldmedaille bekam. Im hier vorgestellten Schlußstück kommt zum Orchester ein Chor hinzu. „Erhabene Feierlichkeit" und "sachliches Pathos" attestierte der systemkonforme Kritiker Friedrich W. Herzog diesem Werk. Zu fragen ist, wie diese Wirkung erzeugt wird und ob Egks Hymne – vor allem durch das Zusammenwirken von Musik und Text – nicht doch über den bei Großveranstaltungen wie den Olympischen Spielen wohl immer vorhandenen Hang zum Monumentalen und Pathetischen hinausgeht.

Der Text stammt wohl von Egk selbst. Sprachliche Mittel sind zum Beispiel die dreimalige anaphorische Wiederholung von „Kampf" und „Fest", die Alliteration in „Kampf", „Kräfte", „Künste", „Friede", „Freude", „Fest". Schlüsselworte sind: „Ehre", „Vaterland", „Friede", „Freude". („Fest der Völker" war auch der Titel des ersten Teils des Olympiade-Films von Leni Riefenstahl). "Die bloße Anhäufung von hohen Werten läßt diese zu bedeutungslosen Chiffren werden." (A. Riethmüller)

Am Anfang steht eine Fanfare (Quart, Oktav) von Hörnern, Trompeten und Posaunen unisono gespielt, der folgende Gesang ist einstimmig, Männer und Frauen singen unisono. Die relativ hohe Melodie ist einfach: Dreiklangsmelodik, Sequenzen; der Text ist weitgehend syllabisch vertont (mit Ausschmückungen), auffällig ist die Textausdeutung bei „e-"wig (Extensio, vergleiche dazu „und e-wig" bei Haydn, „Schöpfung" Nr. 19); die Taktwechsel von 4/4 zu 5/4 sind eher modisch. Es handelt sich um einen zum Teil choralartigen Satz in B-Dur, kadenzharmonisch mit einigen Zusatzdissonanzen (Sexten, Nonen). Die große Besetzung – Sinfonieorchester mit viel Blech – verstärkt den monumentalen Eindruck.

 

Sondermeldungsfanfare

Liszts politische Ansichten – am Saint-Simonismus faszinierten ihn vor allem die Vision einer Gemeinschaft, die von wechselseitiger brüderlicher Liebe erfüllt ist, und die Vorstellung eines Künstlertums, das zwischen Gott und den Menschen vermittelt – stießen bei den Nationalsozialisten sicher nicht auf Zustimmung. Er wurde trotzdem aufgeführt – besonders natürlich „Les Préludes" (siehe Abbildung).

Aus Franz Liszts „Sinfonischer Dichtung für Orchester Nr. 3", „Les Préludes" nahmen die Nationalsozialisten die Takte 35 bis 42 und machten daraus die sogenannte „Sondermeldungsfanfare". Dieses Signal leitete während des Krieges die Rundfunkmeldungen des Oberkommandos der Wehrmacht ein. Weil sie vor den Nachrichten von der Ostfront erklang, wurde sie auch „Rußland-Fanfare" genannt. Und von dort wurden ja bis Ende 1941, als der Ostfeldzug vor Moskau steckenblieb, immer Siege gemeldet.

Die Schüler sollen begründen, warum gerade diese Takte isoliert herausgenommen wurden und Rhythmus, Melodik, Harmonik und Besetzung untersuchen.

Der Ausschnitt aus Liszts Komposition eignete sich vor allem wegen des optimistischen Pathos’ (Andante maestoso), das in der obengenannten Aufnahme allerdings eher nach „heroischem Krach" (so Egk nach dem Krieg) klingt. Zwar widersprechen „Anlaß, Idee und Gestalt des Werkes in fast jeder Hinsicht dem, was man Faschismus in der Musik nennen könnte",6 im Vorwort schreibt Liszt allerdings: „Was anderes ist unser Leben, als eine Reihenfolge von Präludien zu jenem unbekannten Gesang, dessen erste und feierliche Note der Tod anstimmt?... Dennoch trägt der Mann nicht lange die wohlige Ruhe inmitten besänftigender Naturstimmungen, und ‚wenn der Drommete Sturmsignal ertönt‘, eilt er, wie immer der Krieg heißen möge, der ihn in die Reihe der Streitenden ruft, auf den gefahrvollen Posten..." (Eulenburg-Partitur S. III) In deutlicher Absicht wird der Ausschnitt aus dem Zusammenhang gerissen: Die 34taktige Einleitung mit motivisch-thematischer Arbeit wird ebenso weggelassen wie der danach folgende lyrische Teil. Übrig bleibt allein die Fanfare.

Das Pathos der markanten, mit Punktierungen und Tonwiederholungen marschartig klingende 12/8-Melodie in C-Dur in relativ tiefer Lage, unisono gespielt von Fagotten, Posaunen, Tuba, Cello und Kontrabaß, erhält den nötigen Glanz durch die Begleitung der aufwärtsgehenden übrigen Bläser, abgelöst durch schmetternde Sechzehnteltriolen und Achtel in Tonwiederholungen von Hörnern und Trompeten in Takt sechs und acht, wobei die Pauke diesen Rhythmus in Takt sieben und neun, gefolgt von einem Wirbel, wiederholt. Die Melodie geht harmonisch über a-Moll in Takt zwei zur Subdominante F. Die Takte drei und vier wiederholen die ersten beiden Takte in F-Dur. Es folgt eine Abwandlung von Takt zwei in G-Dur, danach eine Variation des Anfangs in C mit einem um a erweiterten C-Dur-Dreiklang abwärts; über As und einen Dreiklang abwärts in F geht es mit einer Art Plagalschluß zurück nach C. Die Takte sechs und sieben werden bekräftigend wiederholt, danach kommt abschließend der Takt sechs noch zweimal. Dreiklangsarpeggien in Staccato-Achteln in Violinen und Bratsche füllen harmonisch und geben den nötigen Klanghintergrund. Das Orchester hat große Besetzung mit viel Blech: 3 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 2 Tenorposaunen, 1 Baßposaune,
1 Tuba und Streicher.

Volker Mall

 

Anmerkungen

  1. Werner Egk, Musik-Wort-Bild, München 1960, Seite 216 ff.
  2. DMW IV/26, 27.6.36, Seite 11.
  3. So die Spruchkammer im Prozeß, den Egk gegen K. Boehmer gewonnen hatte; Boehmer wurde untersagt, zu behaupten, daß Egk 1936 von Hitler den Auftrag bekommen habe, zu den Olympischen Spielen eine Festmusik zu komponieren, für die er später eine Goldmedaille bekam. Ausführliche Darstellung in: Prieberg, Musik im NS-Staat, Frankfurt 1982, Seite 24 ff.
  4. Particell (und Anregung) von Albrecht Riethmöller, in: Zur Politik der unpolitischen Musik, Funkkolleg Musikgeschichte, Studienbegleitbrief 11, DIFF 1988, Seiten 18 und folgende.
  5. Zeitgenössisches Tonbeispiel: Berliner Philharmoniker unter Paul Kempen (1937) auf der CD „Entartete Musik" von Albrecht Dömling und Peter Girth (Original-Tondokumente zur Ausstellung „Entartete Musik" – eine kommentierte Rekonstruktion, Düsseldorf 1988) und auf der CD „Entartet?" (Klett 1997).
  6. Peter Rummenhöller, Musik im Nationalsozialismus, in: Kunsthochschule-Faschismus, Berlin 1984, Seite 172 ff.

 

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