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1998
47. Jahrgang
Ausgabe 4
April

© nmz und
autoren 1998

  nmz - neue musikzeitung

Rezensionen · Bücher
Seite 17

Autorin:
Linda Maria Koldau

Verkrustungen durch alte Traditionen

Erster Band einer umfangreichen Bach-Reihe veröffentlicht

Michael Heinemann und Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.): Bach und die Nachwelt, Band I: 1750–1850. Laaber, 1997, 504 Seiten, 128 Mark.
Setzt man die Bedeutung der Bach-Rezeption in den verschiedensten kulturellen Bereichen so hoch an, wie dies Michael Heinemann und Hans-Joachim Hinrichsen in ihrer Einleitung zum ersten Band der Reihe „Bach und die Nachwelt“ tun, so erscheint es fast vermessen, ihr in einer geschichtlichen Gesamtdarstellung gerecht werden zu wollen. Gerade dies ist jedoch das Ziel dieser Reihe, und nicht umsonst ist sie in vielfacher Hinsicht als „extensives“ Forschungsprojekt angelegt: extensiv in bezug auf das zu untersuchende Material (musikalische, biographische, literarische Quellen), auf Überlieferungskreise sowie lokale und individuelle musikalische Traditionen, extensiv auch in der Einbettung aller Ergebnisse in den sozialgeschichtlichen Zusammenhang, um so der vielschichtigen Entwicklung der Bachpflege nachzuspüren. Ebenso extensiv ist aber auch die gesamte Anlage des Forschungsprojekts: Die vierbändige Reihe soll im Bachjahr 2000 abgeschlossen sein; die ersten drei Bände sind dabei der wechselhaften Bach-Rezeption und -Nachfolge in den Zeitabschnitten 1750–1850, 1850–1900 und 1900–1950 gewidmet, der Schlußband hingegen ist als „Summe der Auseinandersetzung mit Bach in der Gegenwart“ konzipiert, die das Bach-Bild in den neuen Medien (Film, Tanztheater, Fernsehen) ebenso berücksichtigt wie die „historische Aufführungspraxis“, neue Wege der Bachforschung und die produktive Auseinandersetzung mit Bach in der Neuen Musik.

Tatsächlich zeugt der erste Band, „Bach und die Nachwelt, 1750–1850“, von der Fruchtbarkeit einer vielschichtigen Kooperation. Die differenzierte Arbeitsteilung erlaubt die Darstellung detailliertester Zusammenhänge, deren Erkenntnis wiederum nötig ist für den erstrebten Überblick über die Entwicklung der Bachrezeption unmittelbar nach 1750 bis ins 19. Jahrhundert. Und nur das Detail erlaubt den Einblick in neue Ergebnisse und somit eine Revision überkommener Sichtweisen: So zeigt sich, daß Wilhelm Friedemann Bach in Peter Wollnys Darstellung der Bach-Pflege unmittelbar nach Bachs Tod keineswegs sein väterliches Erbe „verschleuderte“, sondern vielmehr als Organist der Hallenser Marktkirche einer der wenigen war, die die großen Vokalwerke Bachs weiterpflegen konnten. Reinhard Schäfertöns zeigt in seiner anschaulichen Darstellung der Tradition Bachscher Orgelkunst in Sachsen und Thüringen auf, in welch vielfältiger Weise Bachs Orgelschaffen tradiert wurde, inwiefern es aber auch neuen, mitunter gezielt didaktischen Ansprüchen gemäß in einer neuen Orgelkunst aufging. Ebensowenig läßt sich in der Fugenkomposition ein Niedergang beziehungsweise die Verkrustung einer alten Tradition feststellen: Michael Heinemanns umfangreicher Beitrag „Paradigma Fuge“ zeichnet den vielfältigen Einfluß der Bachschen Fuge nach, von den musiktheoretischen Ausführungen Marpurgs und Kirnbergers bis hin zu „Denkmalen“ Bachs in Form von Fugensammlungen nach Art des „Wohltemperierten Klaviers“ und zu analytisch-kritischen Auseinandersetzungen mit Bachs Kompositionen im 19. Jahrhundert. Schon hier schimmert der rote Faden durch, der bezeichnend wird für das romantische Bach-Bild: Bach als Paradigma einer durchgeistigten Kunst.

Wiederum ist hier jedoch Vorsicht geboten: Hans-Joachim Hinrichsen differenziert in seinem Beitrag über Forkel und die Anfänge der Bachforschung sehr genau zwischen scheinbar synonymen Termini, die in ihrer Bedeutung jedoch ganz unterschiedlichen Epochen und Denkweisen angehören und durch deren Gleichsetzung Bach allzu früh ins Licht der romantischen Heroisierung gerückt wird: Wenn Forkel von Bach als „Dichter“ und von seiner Musik als „Ausdruck“ von Empfindungen spricht, so liegt hier noch gänzlich die Vorstellung von Musik als Rhetorik zugrunde und nicht etwa der romantische Topos der Musik als Gefühlssprache. Ebenso verfrüht wäre es, Forkels Biographie als „Gründungsdokument einer nationalistischen Bach-Rezeption“ zu sehen – Forkels Apostrophierung der Musik Bachs als „unschätzbares National-Erbgut“ ist vielmehr motiviert durch die rein pragmatische Erwägung, Bachs Musik und damit auch die von Forkel mitbetreute erste Bach-Gesamtausgabe bekanntzumachen.

Karen Lehmann zeichnet den Weg dieser ersten Gesamtausgabe nach und veranschaulicht den ungeheuren Aufwand, die Hingabe, aber auch das scharfe Konkurrenzdenken, dem sich die Herausgeber des Peters-Verlags ausgesetzt sahen und dem sie nach Gründung der Bach-Gesellschaft mit einer neuen Gesamtausgabe des Konkurrenzverlags Breitkopf & Härtel schließlich unterlagen.

Drei Studien zur Bach-Rezeption Beethovens, Mendelssohns und Schumanns veranschaulichen schließlich die Präsenz von Bachs Musik im Schaffen der drei bedeutendsten Komponisten bis 1850. Eher dürftig nimmt sich dabei William Kindermans Beitrag „Bach und Beethoven“ aus: Zwar belegt der Verfasser anhand zahlreicher Beispiele, wo sich Spuren Bachs in Beethovens Kompositionen wiederfinden, doch stützen diese punktuellen Nachweise die These nur unzureichend, für Beethoven sei Bach „immer ein unverbrüchliches künstlerisches Fundament und eine lebenslange Quelle der Inspiration geblieben“.

Der meist flüssige Stil der Beiträge, Illustrationen und die vorwiegende Beschränkung der Endnoten auf Quellennachweise geben diesem ersten Band der Bach-Rezeptionsgeschichte einen Lesebuchcharakter, ohne dabei jedoch ihren hohen wissenschaftlichen Anspruch zu schmälern. Auf die weiteren Bände kann man gespannt sein.

Linda Maria Koldau

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