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1998
47. Jahrgang
Ausgabe 4
April

© nmz und
autoren 1998

  nmz - neue musikzeitung

Rezensionen · Bücher
Seite 17

Autor:
Frank Kämpfer

Entwicklungen, Brüche und Anachronismen

Neues Nachschlagewerk für Kammermusik erschienen

Kammermusikführer, hrsg. von Ingeborg Allihn, Metzler/Bärenreiter 1998, 706 S.
In der Zusammenschau geben die gegenwärtig erhältlichen Kammermusiklexika Kunde vom drastischen Wandel, der sich im Komponieren, in Begriff, Wertschätzung, Rezeption und nicht zuletzt auch in der Vermarktung der Gattung innerhalb der letzten Jahrzehnte vollzogen hat.

Erhob Otto Schumanns 1956 im Heinrichshofen-Verlag erstaufgelegtes „Handbuch“ beispielsweise noch eine klare Elite-Option, so unterbreitet Harenbergs „Kammermusikführer“ 1997 sein Material – in Anlehnung an aktuelle Musikbetriebs-Strategien – einem möglichst großen Konsumentenkreis. Im ersteren Falle verbirgt sich hinter dem Anspruch „geistiger Zucht“ und „erlesenen Erlebens“ ein reichlich liebhaberischer Begriff von Musik, der fast ausschließlich nur das klassisch-romantische Repertoire akzeptiert, sowie eine nüchterne, traditionell deskriptive Art der Präsentation. Der jüngste der erwähnten Komponisten ist hier Olivier Messiaen. Zweitere Publikation dagegen favorisiert die sachliche Kurzinformation, nutzt ein populäres Layout und kombiniert Werk-, Ensemble- und Interpretenlexikon mit Hörtips, viel farbigem Bildwerk und einer CD-Edition.

Ingeborg Allihns Arbeit hat Elemente von beiden. Ihr „Kammermusikführer“ ist ein alphabetisches geordnetes Nachschlagewerk, er verbindet Werkanalyse mit Elementen von Schaffens- und Personalbiographie. Betreffs Satz und Layout bleibt er bis aufs seltene Notenbeispiel bildlos, akademisch und streng konservativ.

Inhaltlich dagegen überrascht die Publikation durch manch mutige Innovation. Allihn wendet sich in erster Instanz an professionell Interessierte: an Interpreten, Wissenschaftler, Dramaturgen, Redakteure und andere spezielle Weiterverwerter. Trotz der Kompendiums-Intention schließt die Herausgeberin und Mitautorin eine lückenlose Vollständigkeit aus. Vorklassische Komponisten – bei Harenberg im Detail präsentiert – sind für sie kaum von Belang. Wiewohl rein quantitativ auch bei ihr die Klassiker dominieren – also Beethoven, Brahms, Dvorák, Mozart, und Schubert –, so richtet sie ihr Hauptaugenmerk auf die klassische Moderne und die unmittelbare Gegenwart. Mehr als 75 Prozent der abgehandelten 140 Komponisten schrieben und schreiben im 20. Jahrhundert und haben den traditionellen Begriff kammermusikalischen Komponierens verändert.

Anders als in den anderen Fachlexika gilt als Auswahlkriterium nicht die Obergrenze von maximal neun Interpreten. Hier sind es vielmehr „die solistische Besetzung einzelner Stimmen, ihre Beziehungen zueinander und die Art des gemeinsamen Musizierens“, die Dichte der Werke und ihre Faktur. Vielfältigste kompositorische Intentionen kommen zu Wort und stellen klar, daß kammermusikalisches Musizieren heute entscheidend Anderes bedeuten kann, als es die vier reifen Herren Streicher auf dem Schutzumschlag suggerieren. Nicht nur, daß der Betrieb inzwischen auch kammermusizierende Damen toleriert – die Herausgeberin hat zehn namhafte Komponistinnen in das ihr wichtige Repertoire integriert; eine noch nicht vollständige, für das Fachgebiet jedoch bemerkenswerte Referenz an den aktuellen Forschungsstand.

Das herausgeberische Hauptinteresse besteht insgesamt darin, herauszustellen, daß sich hinter dem Oberbegriff der Gattung nichts Homogenes verbirgt. Hauptsächlich im 20. Jahrhundert nämlich ergeben die Entwicklungen, Brüche und Anachronismen des Komponierens eine ästhetische Vielfalt, die ihresgleichen sucht.

Beredt sind darin stets die Extreme. Hanns Eisler beispielsweise begriff das Genre sehr traditionell und daher für politische Intentionen wenig geeignet. Vermutlich deshalb schrieb er nur eine einzige Kammermusik von Rang – für einen Film. Bei Adriana Hölszky etwa dominiert dagegen die Kammerbesetzung – in ihrem Selbstverständnis allerdings schreibt sie stets experimentelle, klangtheatralische Musik. Earle Brown oder gar Morton Feldman haben in entsprechenden Einzelarbeiten gar jeden Kunst- und Werkcharakter in Frage gestellt.

Nicht nur die Aktualität und das Internationale des lexikalischen Teils bestechen, auch manche erfrischende Individualität in Sprache und Begriffsapparatur. Wenn man bedenkt, daß die Berliner Musikologin ihre Arbeit 1987 und noch für den ehemaligen VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig begann, dann ist heute nach zehn Jahren kaum mehr genau zu erahnen, welchen Horizonterweiterungen das Projekt unterlag. Gewiß hat es stürmische Zeiten erlebt und sich in diesen deshalb auch radikalen Fragen und Werken geöffnet. Für das Integrative der mutigen Publikation steht ein namhafter, deutsch-deutsch gemischter Stamm von Autoren verschiedener Erfahrung und Generationen mit ein.

Frank Kämpfer

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