1998
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Rezensionen
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Vergessene Klänge |
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Edition
Entartete Musik: Ignace Strasfogel: Klaviersonate Nr. 1, Preludio
fugato, Scherzo Nr. 2, Dear Men and Women, Klaviersonate Nr. 2; Kolja Lessing,
Klavier; Martin A. Bruns, Bariton DECCA 455 359-2 |
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Interpretation
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Editorischer Wert
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Technik
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Die
(Wieder)-Entdeckung und Rehabilitation von durch die Nazidiktatur unterdrückten,
vernichteten und ins Vergessen gestoßenen Komponisten erlebte in den letzten Jahren
Konjunktur, was die Decca-Edition Entartete Musik in beträchtlichem Maße
dokumentierte. Im Falle Ignace Strasfogel jedoch blieb man lange Zeit zurückhaltend; zu
stark waren seine Spuren verwischt. 1912 als Dreijähriger von Warschau nach Berlin
gekommen, machte er als pianistisches Wunderkind von sich reden, fiel im Studium durch
geniale Frühwerke auf und startete als Begleiter von Carl Flesch und Josef Szigeti zu
einer Weltkarriere. Im amerikanischen Exil seit 1933 betätigte er sich überwiegend als
Dirigent und ließ sich erst seit 1983 bis kurz vor seinem Tode 1994 wieder verstärkt zum
Komponieren ermutigen. Der Geiger und Pianist Kolja Lessing setzte sich für
Nachlaßerforschung und Aufführungsmöglichkeiten hartnäckig ein. Die bei der ersten
öffentlichen Vorstellung präsentierte Decca-Einspielung gibt mit Strasfogels wichtigsten
Werken einigen Aufschluß über seiner Begabung. Vor allem die beiden Klaviersonaten von
1925/26 lassen die Reichhaltigkeit des Schaffens neben Schönbergs schmalem Pfad ins
Paradies der Zwölftönigkeit erahnen expressiv wuchernd in an Alban Berg
gemahnender Klangsinnlichkeit die erste, von konstruktivem, explosivem Witz die zweite,
für die der 17jährige Strasfogel den Mendelssohn-Preis erhielt. Hier ist bereits die
Qualität voll entfaltet, durch die der Komponist bei allen Brüchen und Lücken
Schaffenskontinuität wahren konnte: die stupende, sich manchmal in hintersinnigen
Maskierungen zeigende Beherrschung traditioneller Formen, insbesondere der
Variation. Preludio fugato eines der wenigen, völlig unbeachtet
gebliebenen Nachkriegswerke zeugt schon im Titel von dieser Durchdringung der
Formen, erreicht eine Art verspieltes Pathos durch die improvisatorischen
Weiterführungen eines strengen, transparent-spröden Satzes. Von eher tonalem,
reduziertem Zuschnitt wie dieser letzte Gedanke auch das Liedepos Dear
Men and Women: Der große Atem wird hier durch die Reihung kürzerer, tonal
einmündender Elemente gebrochen, was die Interpreten in nachdenklicher Verhaltenheit
allerdings ein wenig überbetonen. Zuviel Weihrauch verströmt übrigens auch der
übertriebene Nachhall, mit dem die Technik insgesamt den Klavierklang aufplustert.
Dennoch eine reizvolle, tiefsinnige Vergangenheitsbeschwörung, die den Bogen zum
Frühwerk durch den zitierten Passacaglia-Baß aus der zweiten Klaviersonate spannt. So
ruft der Komponist vergessene Klänge zurück eine Aufforderung, auch sein übriges
Werk klingend zu vermitteln, das aufschlußreich und faszinierend ist. Isabel Herzfeld |
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