1998
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Cluster
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Selbstgebranntes klingt am besten |
Den visuellen Medien und dem Internet zum Trotz werden heute
mehr Bücher denn je verkauft. Zum Buch gehört die Bibliothek, seit es das geschriebene
Wort gibt. Doch während früher der Inhalt auch einer privaten Buchsammlung durch einen
bildungsbürgerlichen Kanon bestimmt war, hat der heutige Leser eher eine persönliche,
geschmacksorientierte Auswahl. Man sammelt, was man liebt, was einem gefällt. Und das
kann von Krimiautor Eric Ambler, über den Gebrauchsphilosophen Sloterdijk bis zu Thomas
Bernhard reichen. Es soll sogar Leser geben, die nur noch die Seiten aufbewahren, die
ihnen gefallen. Das ist nur konsequent, warum unnötigen Ballast anhäufen. Anders die
private Schallplattensammlung. Dank Tonträgern kann man erstmals Musik ewig aufbewahren
und bei Bedarf sofort anhören. Hier gibt es allerdings andere Kategorien von Benutzern
ihrer jeweiligen "Diskotheken". Da ist der fachspezifische Sammler: Er sammelt
Jazz, Oper oder Neue Musik. Da gibt es den Popkonsumenten, der sich immer das zulegt, was
gerade im Radio läuft. Und es gibt den HiFi-Freak: Er hortet audiophile Platten, denn
für ihn ist Musik nur ein notwendiges Übel, damit seine völlig überbezahlte Anlage
ihre Brillanz und Wertigkeit zeigen kann. Ab sofort wird sich dies alles ändern. Denn die
fertig produzierte Schallplatte, die im Jazz, in der Neuen Musik durchaus auch ein
Kunstwerk sein kann, oder die in der Klassik durch gelungene Programmierung überzeugt,
gehört vielleicht bald der Vergangenheit an. Denn mittlerweile kommt man per Internet zur
persönlichen CD. Was also lange als Zukunftsmusik galt, ist ab sofort Realität (ein in
unserer Zeit immer häufiger vorkommendes Phänomen). Eine Stuttgarter Firma spielt den
Vorreiter und bietet an, für 35 Mark jedem seine persönliche CD zu brennen. Was früher
in stundenlanger Kleinarbeit für die in einer anderen Stadt studierenden, arbeitenden
Lebensabschnittsgefährtin auf Kassette kopiert wurde, nämlich die vom individuellen
Geschmack und Gefühl bestimmte Stückauswahl, geht jetzt in die industrielle Großserie.
Doch was hat das abgesehen vom Verlust der Intimsphäre für Folgen,
beispielsweise für den Handel oder den Hersteller? Wer bestellt schließlich noch den
Rest vom Album, wenn er mit dem Hit bereits zufrieden ist? Steigen damit die Produktions-
und Marketingkosten für einzelne Poptitel in noch astronomischere Höhen? Der Klassikfan
wiederum will den Hörvergleich zwischen mehreren Interpreten, die ein und dasselbe Werk
spielen. Also stellt er sich eine CD mit Einspielungen zusammen, von denen jede von einer
anderen Plattenfirma stammt. Wie soll die einzelne Companie da noch kalkulieren können?
Wie sieht die Zukunft der CD-Vertriebe aus, wenn jeder Künstler seine CD selbst ins Netz
stellt und vertreibt. TAFKAP, The Artist Formerly Known As Prince, hat es erst vorgemacht
(siehe Meldung Seite 6). Und was ist mit "Ladendiebstahl"? Der Kölner Schüler
und Hobby-Hacker, Aron Spohr, hat die Profis geschockt: Nachdem er bereits den Zugang von
T-Online knackte, überwand er erst kürzlich auch die AOL-Zugangssperre. Die CD-Piraten
werden sich freuen. Und es gibt noch eine kleine Hürde, die überwunden sein will, bevor
man sich selbst seine Compact Disc aus dem Internet brennt oder bestellt. Man muß zuerst
in einen Computer mit ISDN-Anschluß investieren. Und man muß einige dicke Handbücher
durchackern, bevor man zum Ziel kommt. Zunächst bleibt der Weg in den CD-Laden schneller
und billiger. Und bequemer, da man nicht alles selber machen muß: Im Fachhandel bittet
man einfach den Verkäufer um Hilfe. Andreas Kolb |
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