1998
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Leitartikel
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Grünpflanzen
fürs Konzert der Selbstdarsteller Anmerkungen zur Thank-you-America-Tournee des Bundesjugendorchesters · Von Theo Geißler |
In einer Zeit, in der man deprimiert ist über Gewalt
und Ausländerfeindlichkeit in Deutschland, ist es geradezu eine Erholung mit jungen,
begeisterten Menschen zu arbeiten. Das gibt Hoffnung. (Hans Zender 1993 über das
Bundesjugendorchester) D as Bundesjugendorchester (BJO) hat sich in den vergangenen Jahren eine Fülle schmückender Bezeichnungen eingefangen: Es gilt als Beispiel für die Profis (Gerd Albrecht), als Talentschmiede, als jüngstes deutsches Spitzenorchester. Und schon vor fünf Jahren empfahl Matthias Kleinert von der Daimler-Benz AG das Ensemble auch aus industrieller Sicht als Botschafter seines Landes. Alles richtig. Aber:Das Bundesjugendorchester ist zuallererst eine pädagogische Maßnahme des Deutschen Musikrates (DMR). Hochbegabte junge Instrumentalisten, die sich in den Wettbewerben Jugend musiziert ausgezeichnet haben, erhalten die Chance, Orchestererfahrung zu sammeln, unter Anleitung kompetenter Dozenten, unter der Leitung engagierter und oft namhafter Dirigenten. Als eine Art Akademie für Orchesterkultur nimmt das BJO im bundesrepublikanischen Musik-Ausbildungskatalog eine besonders zukunftsweisende und sensible Stellung ein. Schließlich geht die musikalische Qualifikation im Ensemble immer auch mit einer sozialen Hand in Hand. Wer je die Arbeitsphase eines Jugendorchesters begleitet hat, weiß um die elementare gruppenpsychologische Dynamik innerhalb solcher Bildungsmaßnahmen: hier fällt die Entscheidung, ob ein Konzert gelingt oder mißrät eben nicht nur auf der Schweißmatte professioneller Einstudierungs-Rituale, sondern auf der Grundlage behutsamer, sehr individueller und letztlich doch zutiefst demokratischer Lernprozesse. Der ideell gute Zustand des Bundesjugendorchesters resultiert aus langjähriger kontinuierlicher Arbeit. Seit neun Jahren führt Hans Timm die Geschäfte. Er sorgt zusammen mit dem Leitungsteam im DMR vom Lehrpersonal bis zum Konzertmanagement für eine hochwertige Betreuung der jungen Instrumentalisten, bei der pädagogische Überlegungen natürlich schwerer wiegen als vermarkterische Aspekte. Vor allem aber ist Hans Timm ein offener, verantwortungsbewußter und zugleich innovativer Kopf. Vertrauensvoller Kontakt zu den Musikern gelingt ihm ohne jede väterliche Attitüde. Er ist Freund, Respektsperson und Ideengeber zugleich. An der Entwicklung schlüssiger und phantasievoller Orchesterprojekte in den letzten Jahren war er ganz maßgeblich beteiligt. An der Gestaltung der jüngsten USA-Tournee des Bundesjugendorchesters hingegen kaum (Bericht auf Seite 27 dieser Ausgabe). Das Zepter über den großen Thank-you-America-Event schwangen nämlich die Meinungs-Bildungs-Maschinisten aus dem Hause Gruner & Jahr (its a Bertelsmann: Brigitte, Stern, Capital und so weiter...). Prima, möchte man sagen. Endlich mal richtig Öffentlichkeit für ein Projekt der musikalischen Nachwuchsförderung. Berichte im Stern, in den Tagesthemen, in ntv: Sowas putzt. Sowas befördert. Sowas kann man den schwerhörigen Politikern bei Etat-Diskussionen wenigstens vor die Nase halten. Ein Grußbrief von Bill Clinton, und einer von Helmut Kohl: Da senkt man als bescheidener Homo musicus ehrfurchtsvoll den Kopf ob all der Huld und ist geneigt, zu danken. Um welchen Preis? Ungefähr eine Million Mark hat Irene Schulte-Hillen, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Musikleben und Gattin des Gruner & Jahr-Vorstandes Gerd Schulte-Hillen gesammelt für diese bislang aufwen- digste BJO-Tournee (und vermutlich mäßig aufwendige PR-Veranstaltung aus Sicht des Hauses Gruner & Jahr). Daimler, Tengelmann, Hoechst und Lufthansa zahlten nämlich kräftig mit ein in den Topf dieses Mischmasches aus Kommerz, firmengesteuerter Außenpolitik und Kultur. Dennoch: Alle Achtung. Geld ist also da. Und die meisten der jugendlichen Orchestermitglieder zeigten sich von der Opulenz und dem Glamour dieser Fahrt auch kapital beeindruckt. So sind es im Kopperschen Sinn eher menschelnde Peanuts, die zu ein wenig Nachdenklichkeit Anlaß geben: Zum Beispiel die kostenbewußte Frage der Tournee-Chefin Schulte-Hillen, wozu es denn nötig sei, überhaupt Dozenten mit auf die Reise zu nehmen. Schließlich galt es, einen üppigen Troß aus dem Hause der Sponsoren standesgemäß zu befördern. Das gelang erstklassig: Wenn es an die obligatorischen Buffets ging, hatten die Orchester-Kids gute Gelegenheit, beim Warten Reiseerlebnisse auszutauschen. Prominenz ißt vor. Und wenn der Bus unterwegs zum etwas besseren Hotel der VIPs nach dem Konzert mal einen Umweg am BJO-Domizil vorbei machen mußte, kamen die Musikanten eben später ins Bett. Prominenz braucht Schlaf. Der Deutsche Musikrat, bescheiden vertreten durch Präsident und Generalsekretär, spielte in diesem Umfeld allenfalls die Triangel. Ferner hält sich hartnäckig das Gerücht, daß Kurt Masur nach Justus Frantz nur die zweite Dirigenten-Wahl war... Trauer beiseite: Wir berichten diese Details, weil sie Ausdruck einer Haltung sind. So wird Kultur in dieser unserer Republik viel zu oft definiert: Als Grünpflanzenspalier vor den Rednerbühnen mehr oder weniger begnadeter Selbstdarsteller mit klaren eigenen Interessen. Dazu taugt ein Bundesjugendorchester. Es wirkt wie ein Hohn und das ist der eigentliche Skandal , wenn unser Bundeskanzler in seinem Grußwort zu dieser Tournee vom BJO als einem Klangkörper spricht, der im deutschen Musikleben seit 25 Jahren einen festen Platz hat sich aber buchstäblich einen Dreck drum schert, wie dieses vorbildliche Instrument der Jugendbildung vernünftig weiterexistieren kann. Seit Jahren ringt dieses Orchester mit seinen professionellen und vom Elan der Jugend getragenen Darbietungen (immer noch Kohl) um die eine Million Mark Jahresetat, die seine Arbeit kontinuierlich und in pädagogisch verantwortlicher Form gewährleisten würde. Stattdessen muß viel Kraft aufgewandt werden, um das Geld bei häufig wechselnden Sponsoren immer wieder zusammenzubetteln. Gelegentlich mit Folgen, wie oben beschrieben. Aber was soll man von einer Bundesregierung, die ihre Kultur- und Außenpolitik offensichtlich längst an die Industrie abgetreten hat, auch anderes erwarten. Thank you, America.
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