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1998
47. Jahrgang
Ausgabe 7/8
Juli/August (Inhalt)

© nmz und
autoren 1998

  nmz - neue musikzeitung

Berichte
Seite 44

Autor:
Wolfgang Sparrer

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Rosinen im Kopf und bombige Promotion

Die politische Indienstnahme des Bundesjugendorchesters · Von Wolfgang Sparrer

Daß politisch’ Lied nicht notwendig ein garstig’ Lied sein muß, zeigte die erfolgreiche Inszenierung des Abschlußkonzerts der "Thank you America"-Tour des Bundesjugendorchesters in Berlin. Auf dem schönen Gendarmenmarkt, im historischen Ambiente von Schinkels Schauspielhaus, Französischem und Deutschem Dom, wurde die Reihe "Classic Open Air" pünktlich zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Luftbrücke am 26. Juni 1998 mit einem "Freedom Concert" eröffnet.

 

Eroica, Stars and Stripes: BJO-PlakatVerschränkt und getränkt war das politisch’ Lied mit Historie: Der Dank galt zunächst den US-Amerikanern, die Berlin als Pfahl im Fleisch des Kommunismus mitnichten selbstlos unterstützt haben. Zweiminütigen Applaus erhielten da vor allem rund 250 Veteranen mit ihren Familien, die von weither angereist waren und ihre (von der "Stiftung Luftbrückendank" finanzierte) Präsenz durch Aufstehen während der Rede von Bundesaußenminister Kinkel den Anwesenden noch sichtbarer machen durften. Weil aber alle Alliierten der deutschen Wiedervereinigung zugestimmt haben, wurde der Dank – obwohl vor Kinkels Rede nur die amerikanische und die deutsche Nationalhymne erklungen waren – sodann zum Dank an alle vier Siegermächte erweitert, Rußland inbegriffen.

Den Hymnen in Wort und Musik folgte ein (fast) regelrechtes Sinfoniekonzert, das der Danksagung an die USA mit Werken von Copland, Hindemith, Jerome Kern und Beethoven zu entsprechen suchte. Von Aaron Copland gab es die "Fanfare for the Common Man" sowie das Monodram "A Lincoln Portrait" (1942). Das "Lincoln Portrait" zählt keineswegs zu seinen besten Hervorbringungen. Doch mochten die von Simon Estes sonor vorgetragenen Lincoln-Zitate um Macht und Verantwortung, gegen Sklaverei und Tyrannei, für Demokratie und Nationale "Wiedergeburt der Freiheit" den einen oder anderen über die schwache musikalische Substanz hinwegtrösten. Daß das Orchester trotz des üppig inszenierten Projekts keinen Schaden genommen hat, zeigte die schlanke, mit flexibler Tongebung gut balancierte Aufführung der auch "Bostoner Symphonie" genannten Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser op. 50 (1930). Hindemiths gelegentlich mechanistisch hohle "Einheitsabläufe" gewannen hier manchmal sogar morbiden Charme. Vor der Pause gab es noch einen kurzen Reißer: Simon Estes erfreute mit Jerome Kerns Song "Old Man River".

Kurt Masur, der die im Mai vorausgegangene US-Arbeitsphase mit Konzerten des Bundesjugendorchesters in New York, Washington und Boston dirigiert hatte, ließ sich durch einen seiner Schüler vertreten, den in Lima gebürtigen Miguel Harth-Bedoya, der inzwischen vor allem als versierter Operndirigent gilt. Das Heroische ging seiner Aufführung der "Eroica" zwar ab, doch mied er dankenswerterweise auch alles Plakative. Die schmissige Zugabe, John Philip Sousas Marschmusik "Stars and Stripes", ermöglichte dem bisher zurückhaltend reagierenden Publikum dann doch noch den Kick des Außer-Sich-Geratens.

Ohne Candys oder Care-Pakete abzuwerfen, hatte vor Konzertbeginn ein "Rosinenbomber" eine Ehrenrunde über den Gendarmenmarkt gedreht. Nach der Pause, kurz nach 22 Uhr, kündigte Irene Schulte-Hillen, die rührige Vorsitzende der "Deutschen Stiftung Musikleben", die "als Veranstalter die alleinige Verantwortung für dieses Großprojekt" trägt, dann eine Programmänderung an: Sie bestand auf dem Auftritt der "soeben gelandeten" Crew des Rosinenbombers, der im Nachvollzug der historischen Ereignisse artig applaudiert werden mußte. Am Rande des Rummelplatzes standen dem zahlenden Fußvolk Verkaufsbuden fürs leibliche Wohl zur Verfügung. Zum Kommen und Gehen wurden ihm nicht nur ausreichend viele Öffnungen der Draht-Absperrungen angeboten, sondern es erhielt auch Druckerzeugnisse zum Geschenk. Insbesondere stiftete die "Sparkasse Finanzgruppe" den ansonsten für 8,80 Mark käuflich zu erwerbenden "Amadeo. Das Musikmagazin vom Stern".

Das gesellschaftliche Ereignis lag ganz auf der kulturpolitischen Linie, die neben anderen zum Beispiel der derzeitige Berliner Kultursenator Radunski propagiert. "Wenn nun auch noch Diepgen ein paar Worte sagt, dann wähle ich ihn sicher", kommentierte das ein Besucher gut berlinisch.

In einer Pressemitteilung der "Deutschen Stiftung Musikleben" ist zu lesen: "Die Tournee steht unter der Schirmherrschaft des amerikanischen Präsidenten und des deutschen Bundeskanzlers und wird gefördert von der Gruner + Jahr AG, der Hoechst Foundation, der Daimler Benz AG, Tengelmann / A&P Enterprises, der Deutschen Lufthansa AG und dem Auswärtigen Amt." Daß das Bundesjugendorchester eine Einrichtung des (finanzschwächeren) Deutschen Musikrats ist und von diesem ebenfalls gefördert wird, braucht da wohl keine Erwähnung mehr, gibt es doch "kaum einen deutschen Musiker, der nicht mit der Stiftung Kontakt gehabt hätte" (Irene Schulte-Hillen).

Der Deutsche Musikrat, vertreten durch Hans Timm, hat sich durch die "Deutsche Stiftung Musikleben", vertreten durch Irene Schulte-Hillen, gründlich über den Tisch ziehen lassen. Problematisch ist nicht nur das "was" der Inhalte, sondern vor allem das "wie" der Repräsentation. Mit dem vielen Geld, das Frau Schulte-Hillen, Gattin des Gruner + Jahr Chefs Gerd Schulte-Hillen, offenbar aufzutreiben imstande ist, wäre auch eine sachbezogene, der Musik und dem Orchester dienende Repräsentation mit Niveau möglich gewesen. Erfahrungen und Modelle liegen hier längst vor in dem von Joy Bryer initiierten ECYO, dem Jugendorchester der EG, oder dem nach dem Muster des ECYO gegründeten Gustav-Mahler-Jugendorchester.

 

Skandalös ist vor allem die Verteilung von Geldern in schwindelerregenden Höhen für das "außermusikalische" Drumherum, die für andere, weniger spektakuläre kulturelle Fördermaßnahmen hätten ausgegeben werden können. Wenig überzeugund ist der Einwand, daß die für dieses "Großprojekt" verwendeten Summen für andere Zwecke womöglich oder sogar wahrscheinlich nicht zusammengekommen wären. Er bestätigt allein das Repräsentationsbedürfnis von "in dieser komplizierten Welt aufeinander angewiesenen Menschen", die ihre Ratlosigkeit durch geschmacklos ausgerichtete Festivitäten glauben kompensieren zu müssen oder sich – schlimmer noch – eitel selber feiern. Vielleicht ist das politische Lied eben doch garstig.

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