1998
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Von der Faszination des Unveränderlichen Aus dem Briefwechsel zwischen Alfred Schnittke und Tilo Medek |
Am Tag nach Alfred Schnittkes Todeserlösung (hier trifft wohl das Wort zu) rief mich die 89jährige Brunhilde Hebel, Mutter einer einstigen Freundin aus Berlin an, um sich an Alfred Schnittke 1936 in Engels zu erinnern: Der Vater Harry schob stets stolz den Kinderwagen mit dem gerade zweijährigen Alf. Seltsamerweise habe sie Alfreds Mutter nie zu Gesicht bekommen, auch abends nicht, wenn sie im immer gleichen Restaurant zusammensaßen und dem Musiker David lauschten, der bald darauf erschossen wurde! Die Berlinerin war ihrem kranken Mann (er war der jüngste kommunistische Reichstagsabgeordnete gewesen) in die Sowjetunion nachgereist, nicht ahnend, was sie dort erwarten würde. In Engels saßen sie und ihr Mann im Gefängnis. Durch eine Schwangerschaft kam sie frei und in der Redaktion der deutschsprachigen Zeitung Die Nachrichten (später Neues Leben) unter. Harry Schnittke war dort leitender Redakteur und hielt engen Kontakt mit den beargwöhnten Kommunisten aus Deutschland, die fälschlicherweise geglaubt hatten, vor Hitler sicher zu sein. 1972 traf sich die Mutter meiner Freundin mit Alfred Schnittke in Moskau, wollte aber dem Vater nicht begegnen. Dadurch angeregt, reiste Max Dünow aus der DDR nach Moskau, klingelte an der Wohnungstüre von Schnittkes Vater und wurde abgewiesen dieser lehnte es ab, ihn je gekannt zu haben (dabei war es der engste Arbeitskollege in der Redaktion gewesen Dünow war zuvor drei Jahre in Engels im Gefängnis!). Dieser Zufallsbericht von Zeitgenossen läßt erahnen, unter welch schweren Verstrickungen Schnittkes Vater in Engels (Hauptstadt der wolgadeutschen Sowjetrepublik) lebte und 1941 auch bleiben konnte, als nahezu alle übrigen auch die Schnittke-Verwandtschaft nach Sibirien und Mittelasien vertrieben wurde. 1946 ging es dann mit der sowjetischen Besatzungsmacht nach Wien, wo Alfred seinen ersten Klavier- und Akkordeonunterricht erhielt, aber auch (wie er gern erzählte) in alle Kinos gehen konnte, weil man russischen Besatzungskindern den Zutritt nicht verwehrte. Am 24. Mai 1981 schrieb mir Alfred aus Moskau:
Als Alfred Schnittke im Herbst 1967 die DDR erstmals bereisen durfte, wurde er in der Sowjetischen Botschaft am Ende seines Aufenthaltes gefragt, welches der DDR-Werke, die anläßlich des 50jährigen Revolutionsjubiläums entstanden sind, er für das Beste halte. Er sagte: Tilo Müller-Medeks Dekret über den Frieden. Das Stück war in den Nachtkonzerten der Komischen Oper auftragslos uraufgeführt worden und durfte in der DDR nicht wieder gespielt werden (man brachte es mit den Ideen des Prager Frühlings in Zusammenhang). Es war die Geburtsstunde unserer Freundschaft. Ich schlug ihm am 18. August 1968 vor, eine Gemeinschaftskomposition zu starten. Sie kam am 16. November 1968 in Form eines großen Briefes und einer vokal-instrumentalen Umsetzung desselben Briefs in Partitur. Das entsprach nicht meiner Vorstellung, so daß unser Plan mit seiner (bislang noch nicht gespielten und nicht veröffentlichten) Einzelleistung als schöne Utopie steckenblieb. Im gleichen Brief ist bereits das Schnittke-Assoziationswort von der Polystilistik bei der Quasi una Sonata zu lesen: ...ein polystilistischer Versuch mit Quasi-Zitaten aus Bach, Beethoven, Brahms, Chatschaturjan, Penderecki, Schostakowitsch, Ligeti, Jazz et cetera und mit ausdrucksvollen wie die Löcher im Käse Pausen. Nach Schnittkes erstem Schlaganfall plante ich ein Stück für ihn es wurde das Konzert für Pauken und Orchester, in dessen erstem Satz Der eiserne Wille(Leskow) das Monogramm Schnittkes und zweimal die Note f (für Freundschaft) im Oktavabstand den Themengrund der sechs Pauken abgeben (durch das gemeinsame Sch ist das Monogramm mit dem viel und auch von Schnittke benutzten Schostakowitsch-Klangsymbol verwandt). Schon 1968 schrieb Schnittke über das bekannte polnische Musikfest:
Mehrfach konnte ich Schnittke in Moskau besuchen, seine Hilfsbereitschaft war auffallend. Beargwöhnt wurde aber mein gleichzeitiges Besuchen von Edisson Denissow, denn das war eine andauernde Konkurrenzbeziehung. Da Denissow keinerlei Deutsch sprach, war die Verständigung begrenzt. Wie leicht hätte Schnittke dolmetschen können, aber das kam für ihn nicht in Frage. Am 5. Mai 1969 heißt es:
In den zeitgleichen Briefen Denissows an mich vernimmt man nicht die geringste Antipathie zu Schnittke:
Leider vereinte später die Komponisten ein gleicher Schicksalstag: Denissows schwerer Autounfall am 5. Juli 1994 bei Moskau, von dessen Folgen er sich nie mehr erholte und taggleich Schnittkes dritter Schlaganfall, dessen schwere Folgen ihn dann anderthalb Jahre länger in jeder Hinsicht fesselten, ohne daß bei beiden die Produktivität versiegte. Man wird sie beide weiter in einem Atemzug nennen und das zu Recht! Man mag nur an einer Bemerkung erkennen, unter welchen Schwierigkeiten Kommunikation in unseren östlichen Bruderländern ablief; Anfang 1971 schrieb Alfred:
Mit 37 Jahren erstmals ein Telefon! Mit 38 Jahren erstmals eine so große Wohnung, daß er jemanden aus einem befreundeten Land bei sich wohnen lassen durfte (nach der Größe des Wohnraumes richtete sich die Aufenthaltsgenehmigung). Von nun an wohnten wir, wenn es ging, beieinander. Noch mitten in meiner Ausbürgerungs-phase 1977 lebte das Ehepaar Schnittke in meiner Junggesellenwohnung, wurde in die Sowjetische Botschaft bestellt und mußte sofort die Hauptstadt der DDR in Richtung Moskau verlassen. Am 2. Juli notierte er:
Schon im November 1977 erwirkte Gidon Kremer (er war auch privat mit in Ostberlin dabeigewesen), daß Alfred als Cembalist in die Bundesrepublik mitreisen durfte: Ich hätte nie glauben können, daß ich auch in das andere Deutschland komme und auch Dich, Tilo, sehen werde! Wie schnell kam dann der Ruhm, der vor allem durch Kremer ausgelöst wurde Dank an diesen originellen Virtuosen! Wirkt es da nicht komisch, wenn Alfred am 27. Juni 1974 noch aus Moskau schreiben mußte:
Das Zeitfressen wurzelte im häuslichen Abspielen des Mitschnittes, wenn er am 2. März 1974 klagte: Ob es zu einer Aufführung in Moskau kommt, ist noch unbestimmt, aber es hat sich schon herumgesprochen und zur Zeit habe ich die Sorge, die unendliche Zahl der Bekannten abzuschütteln, die die Aufnahme hören wollen ich kann doch meine Wohnung nicht zu einem Ohnepausekino machen. Brecht umschrieb diesen Zustand einmal als Abstieg in den Ruhm... Immer wieder wurde die kompositorische Arbeit durch Gebrauchsmusikarbeit unterbrochen, vor allem häuften sich die Filmmusiken. Aber gerade darin wurzelte die Fähigkeit, Polystilistik überhaupt angehen zu können. Daß es dabei gelegentlich zu Extremfällen kam, lag in der Natur einer solchen Ästhetik, die Schnittke bereits 1968 im zitierten Brief als willkürliche Romantik voraussah. Ohne das Handwerk angewandter Musik keine polystilistisch-pluralistische Postmoderne! Doch bevor dieser Durchbruch kam, litt Schnittke in Moskau an der typisch russischen Angst, mit einer Idee nicht schnell genug in der Welt anzukommen. Ich sehe uns noch Anfang der siebziger Jahre auf dem Kalininprospekt schreiten, als er sagte, jede Idee werde gleichzeitig mehrfach auf der Welt geboren. So könne man noch so modern sein, ein westlicher Komponist sei wie beim Hase und Igel-Wettlauf immer bereits schon da! Umgekehrt war es so, daß wir alle hinter dem Eisernen Vorhang neugierig auf den Westen schauten, uns listenreich informierten, umgekehrt aber nur Arroganz und Desinteresse am östlichen Schaffen waltete. Alfred Schnittkes kompositorisches Werk begann in sozialistischer Ergebenheit, die er schon bald überwand und deren frühe Produkte er wohl auch tilgte. Er verzeihe sich nicht, sagte er mir einmal, Stalingedichte vertont zu haben. Die Wut über den Kinderglauben, durch den stalintreuen Vater vermittelt, ließ ihn Trost und Heimat in Religion finden, zuletzt in der katholischen, was er durch eine Taufe bei Kremers Lockenhaus-Pfarrer besiegeln ließ ein Dissidenten-Phänomen. Sich intensiv mit westlichen Stilrichtungen auseinandersetzend, fand er den Weg zu seinem verzweigten Selbst. Dicht hinter Schostakowitsch eroberte er die Konzertsäle der Welt, befriedigte zum einen religiöse Gefühle, zum anderen eine vergessene Schauerromantik (in herbstlichem Tango- und Walzerduktus) und traf im Zentrum den klanggewordenen Zeit- und Erlebnisgeist der siebziger und achtziger Jahre, so daß er zu einem musikalischen Dokumentaristen dieser vorkommenden, um nicht zu sagen: verkommenen Welt wurde. |
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