1999
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Die lange Zeit einer unvollendeten Reise
Zum Tode des Geigers, Dirigenten und Menschenfreundes Yehudi Menuhin Charakteristisch für Yehudi Menuhin war ein Auftritt bei den Salzburger Festspielen 1991. Menuhin, der ein Mozartkonzert mit den Wiener Philharmonikern zu dirigieren hatte, lud spontan und unerwartet zu einer Pressekonferenz ein. Gab es eine Krise? Mißhelligkeiten? Nichts davon. Lord Yehudi verkündete den anwesenden Kritikern eine neue, ebenso spontane Idee: Tantiemengebühren für die Aufführungen von Mozarts Werken sollten erhoben werden und in eine Stiftung fließen, die sich humanitären und ökologischen Zielen verpflichtet fühlt. Mozart als Retter des Regenwalds eine wunderbare Vorstellung. Menuhins Begeisterung wischte zaghafte Fragen und Bedenken virtuos hinweg. Am Abend klang sein Mozart wunderbar, noch nicht wegen der Tantiemen, sondern wegen der Wiener Philharmoniker, die den verehrten Dirigenten auf ihrem Wiener Streicherklang in himmlische Sphären hoben. Was aus der Mozart-Idee geworden ist, entzieht sich der Kenntnis. Wahrscheinlich war sie zu schön für diese Welt, die zu verbessern Menuhins lebenslanges Streben diente. Mit Yehudi Menuhin, der am 12. März 1999 in einem Berliner Krankenhaus im Alter von 82 Jahren einer fiebrigen Bronchitis mit akutem Herzversagen erlag, verlor die Welt einen Künstler, der wie kein zweiter den Glauben an die humane, versöhnende, bildende Kraft der großen abendländischen Musik gleichsam vorlebte. Menuhin predigte nicht, er setzte sich selbst mit äußerster Konsequenz und Radikalität dem eigenen Anspruch aus. Während des Zweiten Weltkriegs spielte Menuhin über 500 Konzerte vor den alliierten Soldaten und für das Rote Kreuz, nach dem Kriegsende trat er als erster Künstler im befreiten Paris, in Brüssel, Antwerpen, Bukarest und Budapest auf. Nach Deutschland kam er 1947, was ihm manche verübelten. Berühmt wurde sein Auftritt in Moskau 1971 bei der Eröffnung des IMR-Kongresses: Ohne Umschweife plädierte er engagiert für Weltoffenheit, geistige Freiheit und Vertrauen unter den Völkern ein Marquis Posa des Geigenspiels. Er konnte aber auch auf umgekehrte Weise konsequent sein: aus Protest gegen die Unterdrückung der Demokratiebewegung in China sagte er 1989 eine Orchestertournee kurzerhand ab. Menuhin sah in der Musik nicht nur einen idealistischen Gegenstand zur Weltverbesserung. Das wurde und wird oft zu eindimensional dargestellt. Musik war für ihn auch eine Waffe, eine Art Konterbande, die man in die menschliche Sozietät einzuschmuggeln hatte, weil diese Sozietät dazu neigt, Musik und Kunst allein als schöne Beigabe zum Leben zu betrachten. Musik war für Menuhin ein unverzichtbares Instrument zur Erziehung des Menschen, der Ausbildung emotionaler und sozialer Charaktere, des Verstehens des anderen über alle Grenzen hinweg. Menuhin als Orpheus und Tamino, die mit ihrem Spiel Furien und Wildheit bezwangen. Der Pädagoge Menuhin fühlte sich einer ganzheitlichen Erziehung des Menschen verbunden. Kennenlernen, gegenseitiges Begreifen, Eindringen in das Wesen des anderen das waren seine Glaubenssätze. In London gründetet er 1963 die Yehudi Menuhin School, die kurz darauf nach Stoke dAbernon/Surrey verlegt wurde. Es war eine Internatsschule, an der musikalisch begabte Kinder neben der üblichen Schulausbildung einen besonders intensiven Musikunterricht erhielten. Eine andere Gründung war die philantropisch orientierte Live Music Now-Institution, die jungen Instrumentalisten Auftritte in Krankenhäusern und Gefängnissen, in Fabriken und an Arbeitsplätzen ermöglichte, mit dem zusätzlichen Effekt, daß auf diese Weise Menschen mit Musik, die sie sonst nie hörten, bekannt gemacht wurden. Im Jahr 1992 etablierte sich in München eine deutsche Zweigstelle dieser Live Music Now-Bewegung. Über den Geigenvirtuosen Yehudi Menuhin braucht hier nicht noch einmal alles gesagt werden. Die Wunderkindzeiten, die Überforderungen des jungen Menuhin durch strapaziöse Welttourneen, technische Probleme und Erschöpfungen der Physis das gehört inzwischen zum Legenden-Kapitel. Man kann Menuhins Vortragsstil altmodisch und retrospektiv finden, man kann aber auch in den einzelnen Ton hineinhorchen, in das Geheimnis des Klanges. Dann erfährt man außerhalb aller Stilfragen etwas von dem tiefmenschlichen Wesen des Künstlers Menuhin, aus dem sich alles herleitet und in die Zukunft weist: als konkrete Utopie eines von Humanität geprägten Lebens. Menuhins erste Lebenserinnerungen tragen den Titel Unvollendete Reise, das zweite Memoirenbuch heißt kurz und bündig Unterwegs. Yehudi Menuhin ist tot, aber die Buchtitel wirken weiter, sie müssen von uns übernommen werden: als kategorischer Imperativ, den Weg zu einem fernen Ziel weiterzugehen. Gerhard Rohde |
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